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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
auch der Mancipant zu reden hat, während er hier schweigt.
Nichts desto weniger läßt es sich aus allgemeinen Gründen kaum
bezweifeln, daß die Zeugen bei jeder solennen Handlung auch
in solenner Weise haben aufgefordert werden müssen. Es würde
zu der Genauigkeit, mit der die alte Jurisprudenz alles, was
geschah, auch durch Worte ausdrücken ließ, wenig stimmen,
wenn sie eine so wichtige Thatsache, wie die Zuziehung der
Zeugen zum Rechtsgeschäft, nicht durch eine Erklärung der Par-
thei constatirt hätte. Bei der Mancipation ging die Aufforde-
rung schwerlich, wie beim Testament, von dem Mancipanten
aus; das Interesse lag ausschließlich auf Seiten des Em-
pfängers.

Mußten die Zeugen ihrerseits, oder einer von ihnen im Na-
men aller, der an sie gerichteten Aufforderung mit Worten, und
zwar im Geist des ältern Rechts mit hergebrachten, fest be-
stimmten, entsprechen? Auch diese Frage würde ich schon aus
allgemeinen Gründen zu bejahen nicht anstehen, ein positives
Zeugniß aber dafür finde ich in der Bestimmung, 727) daß ein
Stummer beim Testament weder Zeuge, noch Libripens sein
durfte, was völlig unmotivirt gewesen wäre, wenn beide nichts
zu reden gehabt hätten. Der Schluß von dem Testament auf
die gewöhnliche Mancipation dürfte hier weniger gewagt sein,
als oben.

Die drei Elemente, welche wir bisher betrachtet haben, die
Scheinzahlung, das Ergreifen der Sache und die Zeugen nebst
den auf sie bezüglichen Formeln bildeten den unerläßlichen
Thatbestand einer jeden Mancipation, im übrigen aber scheint
es, als hätten die XII Tafeln mit dem bekannten Satz: Cum
nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus
esto
der Autonomie der Privaten einen unbeschränkten Spiel-
raum eingeräumt. Allein die Jurisprudenz führte denselben auf
sein natürliches Maß zurück. Alle Verabredungen, die sich mit

727) Ulp. XX, 7.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
auch der Mancipant zu reden hat, während er hier ſchweigt.
Nichts deſto weniger läßt es ſich aus allgemeinen Gründen kaum
bezweifeln, daß die Zeugen bei jeder ſolennen Handlung auch
in ſolenner Weiſe haben aufgefordert werden müſſen. Es würde
zu der Genauigkeit, mit der die alte Jurisprudenz alles, was
geſchah, auch durch Worte ausdrücken ließ, wenig ſtimmen,
wenn ſie eine ſo wichtige Thatſache, wie die Zuziehung der
Zeugen zum Rechtsgeſchäft, nicht durch eine Erklärung der Par-
thei conſtatirt hätte. Bei der Mancipation ging die Aufforde-
rung ſchwerlich, wie beim Teſtament, von dem Mancipanten
aus; das Intereſſe lag ausſchließlich auf Seiten des Em-
pfängers.

Mußten die Zeugen ihrerſeits, oder einer von ihnen im Na-
men aller, der an ſie gerichteten Aufforderung mit Worten, und
zwar im Geiſt des ältern Rechts mit hergebrachten, feſt be-
ſtimmten, entſprechen? Auch dieſe Frage würde ich ſchon aus
allgemeinen Gründen zu bejahen nicht anſtehen, ein poſitives
Zeugniß aber dafür finde ich in der Beſtimmung, 727) daß ein
Stummer beim Teſtament weder Zeuge, noch Libripens ſein
durfte, was völlig unmotivirt geweſen wäre, wenn beide nichts
zu reden gehabt hätten. Der Schluß von dem Teſtament auf
die gewöhnliche Mancipation dürfte hier weniger gewagt ſein,
als oben.

Die drei Elemente, welche wir bisher betrachtet haben, die
Scheinzahlung, das Ergreifen der Sache und die Zeugen nebſt
den auf ſie bezüglichen Formeln bildeten den unerläßlichen
Thatbeſtand einer jeden Mancipation, im übrigen aber ſcheint
es, als hätten die XII Tafeln mit dem bekannten Satz: Cum
nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus
esto
der Autonomie der Privaten einen unbeſchränkten Spiel-
raum eingeräumt. Allein die Jurisprudenz führte denſelben auf
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727) Ulp. XX, 7.
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[574/0280] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. auch der Mancipant zu reden hat, während er hier ſchweigt. Nichts deſto weniger läßt es ſich aus allgemeinen Gründen kaum bezweifeln, daß die Zeugen bei jeder ſolennen Handlung auch in ſolenner Weiſe haben aufgefordert werden müſſen. Es würde zu der Genauigkeit, mit der die alte Jurisprudenz alles, was geſchah, auch durch Worte ausdrücken ließ, wenig ſtimmen, wenn ſie eine ſo wichtige Thatſache, wie die Zuziehung der Zeugen zum Rechtsgeſchäft, nicht durch eine Erklärung der Par- thei conſtatirt hätte. Bei der Mancipation ging die Aufforde- rung ſchwerlich, wie beim Teſtament, von dem Mancipanten aus; das Intereſſe lag ausſchließlich auf Seiten des Em- pfängers. Mußten die Zeugen ihrerſeits, oder einer von ihnen im Na- men aller, der an ſie gerichteten Aufforderung mit Worten, und zwar im Geiſt des ältern Rechts mit hergebrachten, feſt be- ſtimmten, entſprechen? Auch dieſe Frage würde ich ſchon aus allgemeinen Gründen zu bejahen nicht anſtehen, ein poſitives Zeugniß aber dafür finde ich in der Beſtimmung, 727) daß ein Stummer beim Teſtament weder Zeuge, noch Libripens ſein durfte, was völlig unmotivirt geweſen wäre, wenn beide nichts zu reden gehabt hätten. Der Schluß von dem Teſtament auf die gewöhnliche Mancipation dürfte hier weniger gewagt ſein, als oben. Die drei Elemente, welche wir bisher betrachtet haben, die Scheinzahlung, das Ergreifen der Sache und die Zeugen nebſt den auf ſie bezüglichen Formeln bildeten den unerläßlichen Thatbeſtand einer jeden Mancipation, im übrigen aber ſcheint es, als hätten die XII Tafeln mit dem bekannten Satz: Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus esto der Autonomie der Privaten einen unbeſchränkten Spiel- raum eingeräumt. Allein die Jurisprudenz führte denſelben auf ſein natürliches Maß zurück. Alle Verabredungen, die ſich mit 727) Ulp. XX, 7.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/280>, abgerufen am 16.07.2024.