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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Calumnianten wird auf sie das Brandmal eingebrannt. 763)
Das Ohr ist der Sitz des Gedächtnisses, und darum zupfte
man es dem Zeugen, um sein Erinnerungsvermögen anzu-
regen. 764)

Die hervorragendste Stellung nimmt aber die Hand ein,
sie folgt unmittelbar auf das Organ, das bei jedem Rechts-
geschäft in Thätigkeit treten muß, die Zunge, und steht mit ihr,
wie oben bemerkt, in engster Verbindung. Ist es die Zunge,
die den Entschluß verkündet, so ist es die Hand, welche ihn aus-
führt; sie ist recht eigentlich das Organ des Willens und vom
Standpunkt der natürlich-sinnlichen Auffassung ist "Hand-
eln" und die "Hand rühren" gleichbedeutend. Es ist hier nicht
meine Absicht, auf die unendlich reiche allen Völkern gemein-
same Zeichensprache der Hand weiter einzugehen; gibt es doch
kaum eine Gemüthsbewegung, die die Hand nicht in ausdrucks-
voller Weise zu sekundiren verstände, kaum einen solennen Act
aus der Kindheitszeit der Völker, bei dem die Hand nicht eine
Rolle spielte. Die dem Feinde dargebotene Hand gilt ihm als
Zeichen der Versöhnung, Handschlag als Unterpfand der Treue
bei Versprechungen, 765) das Schließen der beiden Hände muß
die Wehrlosigkeit und Ergebung, die Vereinigung der Hände
der beiden Gatten bei der Hochzeit 766) ihre Vereinigung aus-
drücken, bei der Anrufung der Götter strecken sich die Hände
gen Himmel, 767) bei der Devotio gegen die Brust oder das

763) Otto p. 132 sq.
764) Otto p. 141, 142.
765) Auch in Rom, s. Danz der sacrale Schutz S. 140. Daher fidem
und dextram dare gleichbedeutend. Die Zurückführung des Mandats auf
diese Sitte bei Isidor Orig. V, 24, 20 (man-dare) ist eines von den vielen
etymologischen Märchen, an denen dies Kapitel von Isidor so reich ist
(s. z. B. oben Note 747).
766) Roßbach a. a. O. S. 308. Ebenso bei Abschluß eines Friedens.
767) Brisson. de voc. ac form. I c. 62. Beim Votum I c. 179.
Bei dem Opfer vorheriges Waschen der Hände als Zeichen der Reinheit.
I c. 5.
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Calumnianten wird auf ſie das Brandmal eingebrannt. 763)
Das Ohr iſt der Sitz des Gedächtniſſes, und darum zupfte
man es dem Zeugen, um ſein Erinnerungsvermögen anzu-
regen. 764)

Die hervorragendſte Stellung nimmt aber die Hand ein,
ſie folgt unmittelbar auf das Organ, das bei jedem Rechts-
geſchäft in Thätigkeit treten muß, die Zunge, und ſteht mit ihr,
wie oben bemerkt, in engſter Verbindung. Iſt es die Zunge,
die den Entſchluß verkündet, ſo iſt es die Hand, welche ihn aus-
führt; ſie iſt recht eigentlich das Organ des Willens und vom
Standpunkt der natürlich-ſinnlichen Auffaſſung iſt „Hand-
eln“ und die „Hand rühren“ gleichbedeutend. Es iſt hier nicht
meine Abſicht, auf die unendlich reiche allen Völkern gemein-
ſame Zeichenſprache der Hand weiter einzugehen; gibt es doch
kaum eine Gemüthsbewegung, die die Hand nicht in ausdrucks-
voller Weiſe zu ſekundiren verſtände, kaum einen ſolennen Act
aus der Kindheitszeit der Völker, bei dem die Hand nicht eine
Rolle ſpielte. Die dem Feinde dargebotene Hand gilt ihm als
Zeichen der Verſöhnung, Handſchlag als Unterpfand der Treue
bei Verſprechungen, 765) das Schließen der beiden Hände muß
die Wehrloſigkeit und Ergebung, die Vereinigung der Hände
der beiden Gatten bei der Hochzeit 766) ihre Vereinigung aus-
drücken, bei der Anrufung der Götter ſtrecken ſich die Hände
gen Himmel, 767) bei der Devotio gegen die Bruſt oder das

763) Otto p. 132 sq.
764) Otto p. 141, 142.
765) Auch in Rom, ſ. Danz der ſacrale Schutz S. 140. Daher fidem
und dextram dare gleichbedeutend. Die Zurückführung des Mandats auf
dieſe Sitte bei Isidor Orig. V, 24, 20 (man-dare) iſt eines von den vielen
etymologiſchen Märchen, an denen dies Kapitel von Iſidor ſo reich iſt
(ſ. z. B. oben Note 747).
766) Roßbach a. a. O. S. 308. Ebenſo bei Abſchluß eines Friedens.
767) Brisson. de voc. ac form. I c. 62. Beim Votum I c. 179.
Bei dem Opfer vorheriges Waſchen der Hände als Zeichen der Reinheit.
I c. 5.
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[595/0301] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Calumnianten wird auf ſie das Brandmal eingebrannt. 763) Das Ohr iſt der Sitz des Gedächtniſſes, und darum zupfte man es dem Zeugen, um ſein Erinnerungsvermögen anzu- regen. 764) Die hervorragendſte Stellung nimmt aber die Hand ein, ſie folgt unmittelbar auf das Organ, das bei jedem Rechts- geſchäft in Thätigkeit treten muß, die Zunge, und ſteht mit ihr, wie oben bemerkt, in engſter Verbindung. Iſt es die Zunge, die den Entſchluß verkündet, ſo iſt es die Hand, welche ihn aus- führt; ſie iſt recht eigentlich das Organ des Willens und vom Standpunkt der natürlich-ſinnlichen Auffaſſung iſt „Hand- eln“ und die „Hand rühren“ gleichbedeutend. Es iſt hier nicht meine Abſicht, auf die unendlich reiche allen Völkern gemein- ſame Zeichenſprache der Hand weiter einzugehen; gibt es doch kaum eine Gemüthsbewegung, die die Hand nicht in ausdrucks- voller Weiſe zu ſekundiren verſtände, kaum einen ſolennen Act aus der Kindheitszeit der Völker, bei dem die Hand nicht eine Rolle ſpielte. Die dem Feinde dargebotene Hand gilt ihm als Zeichen der Verſöhnung, Handſchlag als Unterpfand der Treue bei Verſprechungen, 765) das Schließen der beiden Hände muß die Wehrloſigkeit und Ergebung, die Vereinigung der Hände der beiden Gatten bei der Hochzeit 766) ihre Vereinigung aus- drücken, bei der Anrufung der Götter ſtrecken ſich die Hände gen Himmel, 767) bei der Devotio gegen die Bruſt oder das 763) Otto p. 132 sq. 764) Otto p. 141, 142. 765) Auch in Rom, ſ. Danz der ſacrale Schutz S. 140. Daher fidem und dextram dare gleichbedeutend. Die Zurückführung des Mandats auf dieſe Sitte bei Isidor Orig. V, 24, 20 (man-dare) iſt eines von den vielen etymologiſchen Märchen, an denen dies Kapitel von Iſidor ſo reich iſt (ſ. z. B. oben Note 747). 766) Roßbach a. a. O. S. 308. Ebenſo bei Abſchluß eines Friedens. 767) Brisson. de voc. ac form. I c. 62. Beim Votum I c. 179. Bei dem Opfer vorheriges Waſchen der Hände als Zeichen der Reinheit. I c. 5. 38*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/301>, abgerufen am 21.11.2024.