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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
u. s. w., sondern den Styl derselben. Der Styl des Ge-
setzes
war ein anderer, als der eines Senatsbeschlusses
oder Edictes, der des Testaments ein anderer, als einer
Vertragsurkunde, und zwar nicht etwa in Folge einer will-
kührlichen Convention, sondern als Ausfluß und Ausdruck ihrer
inneren Verschiedenheit, kurz er beruht auf jener stylisti-
schen Individualisirung
, deren ich oben bereits gedachte.

Diese Individualisirung beruhte aber ihrerseits wiederum
vorzugsweise auf dem Gebrauch der verschiedenen Verbalfor-
men
. Der Imperativ war für andere Verhältnisse bestimmt,
als der Infinitiv, der Indicativ für andere, als der Conjunctiv,
das Futurum, als das Präsens u. s. w., wie dies jetzt im Ein-
zelnen nachgewiesen werden soll.

1. Der Imperativ. Er ist die Form des Befehls und
der kategorischen Aufforderung. Darum gebührt er vor allem dem
Volk für seine Beschlüsse (leges, Plebiscita),817) mögen diesel-
ben die Aufstellung eigentlicher Rechtsgeschäfte oder sonstige
Verfügungen818) zum Inhalt haben. Ebenso den Göttern,
d. h. er ist auch die Form der Gebote des geistlichen Rechts.819)
Dagegen hat der Senat bei seinen Beschlüssen und der Prätor
in seinem Edicte sich desselben zu enthalten, denn der staats-
rechtlichen Theorie nach haben beide keine gesetzgebende Ge-
walt.820)

Innerhalb der Schranken seiner Competenz hat auch der
Magistrat das Recht zu befehlen, und so namentlich der Prä-
tor für die Rechtspflege. Darum lauten seine Anweisun-
gen sowohl an den Richter (judex esto -- condemna, ab-

817) Z. B. sacer, parricida, damnas, talio esto; cogito, reddito, ad-
judicato
u. s. w. Briss. II, 20 u. fl. 32 u. fl.
818) Z. B. auch bei dem Votum eines Ver sacrum. Liv. XXII, 10.
819) Z. B. piaculum dato, aram ne tangito.
820) In Senatsbeschlüssen und im prätorischen Edict habe ich ihn
vergebens gesucht, dagegen kömmt im Edict der Aedilen zwei Mal der Im-
perativ pronuncianto und mit Bezug darauf eadem faciunto vor, während
dasselbe sonst den Sprachgebrauch des prätorischen (s. u.) beobachtet.
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
u. ſ. w., ſondern den Styl derſelben. Der Styl des Ge-
ſetzes
war ein anderer, als der eines Senatsbeſchluſſes
oder Edictes, der des Teſtaments ein anderer, als einer
Vertragsurkunde, und zwar nicht etwa in Folge einer will-
kührlichen Convention, ſondern als Ausfluß und Ausdruck ihrer
inneren Verſchiedenheit, kurz er beruht auf jener ſtyliſti-
ſchen Individualiſirung
, deren ich oben bereits gedachte.

Dieſe Individualiſirung beruhte aber ihrerſeits wiederum
vorzugsweiſe auf dem Gebrauch der verſchiedenen Verbalfor-
men
. Der Imperativ war für andere Verhältniſſe beſtimmt,
als der Infinitiv, der Indicativ für andere, als der Conjunctiv,
das Futurum, als das Präſens u. ſ. w., wie dies jetzt im Ein-
zelnen nachgewieſen werden ſoll.

1. Der Imperativ. Er iſt die Form des Befehls und
der kategoriſchen Aufforderung. Darum gebührt er vor allem dem
Volk für ſeine Beſchlüſſe (leges, Plebiscita),817) mögen dieſel-
ben die Aufſtellung eigentlicher Rechtsgeſchäfte oder ſonſtige
Verfügungen818) zum Inhalt haben. Ebenſo den Göttern,
d. h. er iſt auch die Form der Gebote des geiſtlichen Rechts.819)
Dagegen hat der Senat bei ſeinen Beſchlüſſen und der Prätor
in ſeinem Edicte ſich deſſelben zu enthalten, denn der ſtaats-
rechtlichen Theorie nach haben beide keine geſetzgebende Ge-
walt.820)

Innerhalb der Schranken ſeiner Competenz hat auch der
Magiſtrat das Recht zu befehlen, und ſo namentlich der Prä-
tor für die Rechtspflege. Darum lauten ſeine Anweiſun-
gen ſowohl an den Richter (judex esto — condemna, ab-

817) Z. B. sacer, parricida, damnas, talio esto; cogito, reddito, ad-
judicato
u. ſ. w. Briss. II, 20 u. fl. 32 u. fl.
818) Z. B. auch bei dem Votum eines Ver ſacrum. Liv. XXII, 10.
819) Z. B. piaculum dato, aram ne tangito.
820) In Senatsbeſchlüſſen und im prätoriſchen Edict habe ich ihn
vergebens geſucht, dagegen kömmt im Edict der Aedilen zwei Mal der Im-
perativ pronuncianto und mit Bezug darauf eadem faciunto vor, während
daſſelbe ſonſt den Sprachgebrauch des prätoriſchen (ſ. u.) beobachtet.
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[627/0333] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. u. ſ. w., ſondern den Styl derſelben. Der Styl des Ge- ſetzes war ein anderer, als der eines Senatsbeſchluſſes oder Edictes, der des Teſtaments ein anderer, als einer Vertragsurkunde, und zwar nicht etwa in Folge einer will- kührlichen Convention, ſondern als Ausfluß und Ausdruck ihrer inneren Verſchiedenheit, kurz er beruht auf jener ſtyliſti- ſchen Individualiſirung, deren ich oben bereits gedachte. Dieſe Individualiſirung beruhte aber ihrerſeits wiederum vorzugsweiſe auf dem Gebrauch der verſchiedenen Verbalfor- men. Der Imperativ war für andere Verhältniſſe beſtimmt, als der Infinitiv, der Indicativ für andere, als der Conjunctiv, das Futurum, als das Präſens u. ſ. w., wie dies jetzt im Ein- zelnen nachgewieſen werden ſoll. 1. Der Imperativ. Er iſt die Form des Befehls und der kategoriſchen Aufforderung. Darum gebührt er vor allem dem Volk für ſeine Beſchlüſſe (leges, Plebiscita), 817) mögen dieſel- ben die Aufſtellung eigentlicher Rechtsgeſchäfte oder ſonſtige Verfügungen 818) zum Inhalt haben. Ebenſo den Göttern, d. h. er iſt auch die Form der Gebote des geiſtlichen Rechts. 819) Dagegen hat der Senat bei ſeinen Beſchlüſſen und der Prätor in ſeinem Edicte ſich deſſelben zu enthalten, denn der ſtaats- rechtlichen Theorie nach haben beide keine geſetzgebende Ge- walt. 820) Innerhalb der Schranken ſeiner Competenz hat auch der Magiſtrat das Recht zu befehlen, und ſo namentlich der Prä- tor für die Rechtspflege. Darum lauten ſeine Anweiſun- gen ſowohl an den Richter (judex esto — condemna, ab- 817) Z. B. sacer, parricida, damnas, talio esto; cogito, reddito, ad- judicato u. ſ. w. Briss. II, 20 u. fl. 32 u. fl. 818) Z. B. auch bei dem Votum eines Ver ſacrum. Liv. XXII, 10. 819) Z. B. piaculum dato, aram ne tangito. 820) In Senatsbeſchlüſſen und im prätoriſchen Edict habe ich ihn vergebens geſucht, dagegen kömmt im Edict der Aedilen zwei Mal der Im- perativ pronuncianto und mit Bezug darauf eadem faciunto vor, während daſſelbe ſonſt den Sprachgebrauch des prätoriſchen (ſ. u.) beobachtet. 40*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/333>, abgerufen am 21.11.2024.