Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
der XII Tafeln, der sich dazu eignete, erwuchs eine eigene legis
actio,
und zur vollständigen Bearbeitung des Gesetzes gehörte
neben der Interpretation auch die Angabe der Klagformeln, wie
denn z. B. die älteste juristische Schrift, von der wir Kunde
haben, der Zwölftafeln-Kommentar des Aelius, in dieser Weise
angelegt war.880)

Es war im bisherigen ausschließlich von der Erhebung der
Klage die Rede. Daß auch das fernere Verfahren, das sich
an die Klagerhebung anschloß, neben dem Raum, den es der
freien Verhandlung gewährte (S. 612), verschiedentlich zum
Gebrauch von Formeln führte, z. B. bei der Bestellung des
Richters, des Vindex, Vas, beim Richterspruch (Note 821)
u. s. w. wird schwerlich bezweifelt werden. Dagegen öffnete sich
für die legis actio noch ein anderes Gebiet außerhalb des
Processes
. Ich meine nicht sowohl das der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit (die in jure cessio S. 579), denn hier handelte
es sich nur um eine andere Anwendung processualischer For-
meln, sondern die solennen, außergerichtlichen Hand-
lungen
, welche das gerichtliche Verfahren theils ergänzten,
vorbereiteten, begleiteten
, theils völlig ersetzten.

Ueber das wahre Verhältniß derselben hat das Mißver-
ständniß der in der Note mitgetheilten Stelle von Gajus881)

880) Die Tripartita des Aelius (L. 2 §. 38 de O. J.) aus der man selt-
samer Weise ein Werk aus drei Büchern gemacht hat, in deren erstem der
Verf. die ganzen XII Tafeln abgeschrieben hätte! Tripartitum heißt hier drei-
schichtig, drei Bestandtheile umfassend wie in §. 4 I. de jure nat. (1. 1).
Die drei Bestandtheile sind in L. 2 §. 6 ibid. (tria haec jura) genannt. --
So jetzt auch Rudorff in seiner [inzwischen erschienenen] römischen Rechtsge-
schichte B. 1 S. 158.
881) Gaj. IV, 29. Ex omnibus autem istis causis certis verbis
pignus capiebatur et ob id plerisque placebat, hanc quoque actionem legis
actionem esse, quibusdam autem non placebat, primum quod pignoris
captio extra jus peragebatur i. e. non apud Praetorem, plerumque etiam
absente adversario, cum alioquin ceteris actionibus non aliter uti pos-
sent quam apud Praetorem praesente adversario, praeterea nefasto quo-
que die i. e. quo non licebat lege agere, pignus capi poterat.

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
der XII Tafeln, der ſich dazu eignete, erwuchs eine eigene legis
actio,
und zur vollſtändigen Bearbeitung des Geſetzes gehörte
neben der Interpretation auch die Angabe der Klagformeln, wie
denn z. B. die älteſte juriſtiſche Schrift, von der wir Kunde
haben, der Zwölftafeln-Kommentar des Aelius, in dieſer Weiſe
angelegt war.880)

Es war im bisherigen ausſchließlich von der Erhebung der
Klage die Rede. Daß auch das fernere Verfahren, das ſich
an die Klagerhebung anſchloß, neben dem Raum, den es der
freien Verhandlung gewährte (S. 612), verſchiedentlich zum
Gebrauch von Formeln führte, z. B. bei der Beſtellung des
Richters, des Vindex, Vas, beim Richterſpruch (Note 821)
u. ſ. w. wird ſchwerlich bezweifelt werden. Dagegen öffnete ſich
für die legis actio noch ein anderes Gebiet außerhalb des
Proceſſes
. Ich meine nicht ſowohl das der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit (die in jure cessio S. 579), denn hier handelte
es ſich nur um eine andere Anwendung proceſſualiſcher For-
meln, ſondern die ſolennen, außergerichtlichen Hand-
lungen
, welche das gerichtliche Verfahren theils ergänzten,
vorbereiteten, begleiteten
, theils völlig erſetzten.

Ueber das wahre Verhältniß derſelben hat das Mißver-
ſtändniß der in der Note mitgetheilten Stelle von Gajus881)

880) Die Tripartita des Aelius (L. 2 §. 38 de O. J.) aus der man ſelt-
ſamer Weiſe ein Werk aus drei Büchern gemacht hat, in deren erſtem der
Verf. die ganzen XII Tafeln abgeſchrieben hätte! Tripartitum heißt hier drei-
ſchichtig, drei Beſtandtheile umfaſſend wie in §. 4 I. de jure nat. (1. 1).
Die drei Beſtandtheile ſind in L. 2 §. 6 ibid. (tria haec jura) genannt. —
So jetzt auch Rudorff in ſeiner [inzwiſchen erſchienenen] römiſchen Rechtsge-
ſchichte B. 1 S. 158.
881) Gaj. IV, 29. Ex omnibus autem istis causis certis verbis
pignus capiebatur et ob id plerisque placebat, hanc quoque actionem legis
actionem esse, quibusdam autem non placebat, primum quod pignoris
captio extra jus peragebatur i. e. non apud Praetorem, plerumque etiam
absente adversario, cum alioquin ceteris actionibus non aliter uti pos-
sent quam apud Praetorem praesente adversario, praeterea nefasto quo-
que die i. e. quo non licebat lege agere, pignus capi poterat.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0361" n="655"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 47.</fw><lb/>
der <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln, der &#x017F;ich dazu eignete, erwuchs eine eigene <hi rendition="#aq">legis<lb/>
actio,</hi> und zur voll&#x017F;tändigen Bearbeitung des Ge&#x017F;etzes gehörte<lb/>
neben der Interpretation auch die Angabe der Klagformeln, wie<lb/>
denn z. B. die älte&#x017F;te juri&#x017F;ti&#x017F;che Schrift, von der wir Kunde<lb/>
haben, der Zwölftafeln-Kommentar des Aelius, in die&#x017F;er Wei&#x017F;e<lb/>
angelegt war.<note place="foot" n="880)">Die <hi rendition="#aq">Tripartita</hi> des Aelius <hi rendition="#aq">(L. 2 §. 38 de O. J.)</hi> aus der man &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;amer Wei&#x017F;e ein Werk aus drei Büchern gemacht hat, in deren er&#x017F;tem der<lb/>
Verf. die ganzen <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln abge&#x017F;chrieben hätte! <hi rendition="#aq">Tripartitum</hi> heißt hier drei-<lb/>
&#x017F;chichtig, drei <hi rendition="#g">Be&#x017F;tandtheile</hi> umfa&#x017F;&#x017F;end wie in §. 4 <hi rendition="#aq">I. de jure nat. (1. 1).</hi><lb/>
Die drei Be&#x017F;tandtheile &#x017F;ind in <hi rendition="#aq">L. 2 §. 6 ibid. (tria haec jura)</hi> genannt. &#x2014;<lb/>
So jetzt auch Rudorff in &#x017F;einer [inzwi&#x017F;chen er&#x017F;chienenen] römi&#x017F;chen Rechtsge-<lb/>
&#x017F;chichte B. 1 S. 158.</note></p><lb/>
                        <p>Es war im bisherigen aus&#x017F;chließlich von der Erhebung der<lb/><hi rendition="#g">Klage</hi> die Rede. Daß auch das fernere Verfahren, das &#x017F;ich<lb/>
an die Klagerhebung an&#x017F;chloß, neben dem Raum, den es der<lb/>
freien Verhandlung gewährte (S. 612), ver&#x017F;chiedentlich zum<lb/>
Gebrauch von Formeln führte, z. B. bei der Be&#x017F;tellung des<lb/>
Richters, des Vindex, Vas, beim Richter&#x017F;pruch (Note 821)<lb/>
u. &#x017F;. w. wird &#x017F;chwerlich bezweifelt werden. Dagegen öffnete &#x017F;ich<lb/>
für die <hi rendition="#aq">legis actio</hi> noch ein anderes Gebiet <hi rendition="#g">außerhalb des<lb/>
Proce&#x017F;&#x017F;es</hi>. Ich meine nicht &#x017F;owohl das der freiwilligen Ge-<lb/>
richtsbarkeit (die <hi rendition="#aq">in jure cessio</hi> S. 579), denn hier handelte<lb/>
es &#x017F;ich nur um eine andere <hi rendition="#g">Anwendung</hi> proce&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;cher For-<lb/>
meln, &#x017F;ondern die &#x017F;olennen, <hi rendition="#g">außergerichtlichen Hand-<lb/>
lungen</hi>, welche das gerichtliche Verfahren theils <hi rendition="#g">ergänzten,<lb/>
vorbereiteten, begleiteten</hi>, theils völlig <hi rendition="#g">er&#x017F;etzten</hi>.</p><lb/>
                        <p>Ueber das wahre Verhältniß der&#x017F;elben hat das Mißver-<lb/>
&#x017F;tändniß der in der Note mitgetheilten Stelle von Gajus<note place="foot" n="881)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV, 29. Ex omnibus autem istis causis certis verbis<lb/>
pignus capiebatur et ob id plerisque placebat, hanc quoque actionem legis<lb/>
actionem esse, quibusdam autem non placebat, primum quod pignoris<lb/>
captio extra jus peragebatur i. e. non apud Praetorem, plerumque etiam<lb/>
absente adversario, cum alioquin ceteris actionibus non aliter uti pos-<lb/>
sent quam apud Praetorem praesente adversario, praeterea nefasto quo-<lb/>
que die i. e. quo non licebat lege agere, pignus capi poterat.</hi></note><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[655/0361] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. der XII Tafeln, der ſich dazu eignete, erwuchs eine eigene legis actio, und zur vollſtändigen Bearbeitung des Geſetzes gehörte neben der Interpretation auch die Angabe der Klagformeln, wie denn z. B. die älteſte juriſtiſche Schrift, von der wir Kunde haben, der Zwölftafeln-Kommentar des Aelius, in dieſer Weiſe angelegt war. 880) Es war im bisherigen ausſchließlich von der Erhebung der Klage die Rede. Daß auch das fernere Verfahren, das ſich an die Klagerhebung anſchloß, neben dem Raum, den es der freien Verhandlung gewährte (S. 612), verſchiedentlich zum Gebrauch von Formeln führte, z. B. bei der Beſtellung des Richters, des Vindex, Vas, beim Richterſpruch (Note 821) u. ſ. w. wird ſchwerlich bezweifelt werden. Dagegen öffnete ſich für die legis actio noch ein anderes Gebiet außerhalb des Proceſſes. Ich meine nicht ſowohl das der freiwilligen Ge- richtsbarkeit (die in jure cessio S. 579), denn hier handelte es ſich nur um eine andere Anwendung proceſſualiſcher For- meln, ſondern die ſolennen, außergerichtlichen Hand- lungen, welche das gerichtliche Verfahren theils ergänzten, vorbereiteten, begleiteten, theils völlig erſetzten. Ueber das wahre Verhältniß derſelben hat das Mißver- ſtändniß der in der Note mitgetheilten Stelle von Gajus 881) 880) Die Tripartita des Aelius (L. 2 §. 38 de O. J.) aus der man ſelt- ſamer Weiſe ein Werk aus drei Büchern gemacht hat, in deren erſtem der Verf. die ganzen XII Tafeln abgeſchrieben hätte! Tripartitum heißt hier drei- ſchichtig, drei Beſtandtheile umfaſſend wie in §. 4 I. de jure nat. (1. 1). Die drei Beſtandtheile ſind in L. 2 §. 6 ibid. (tria haec jura) genannt. — So jetzt auch Rudorff in ſeiner [inzwiſchen erſchienenen] römiſchen Rechtsge- ſchichte B. 1 S. 158. 881) Gaj. IV, 29. Ex omnibus autem istis causis certis verbis pignus capiebatur et ob id plerisque placebat, hanc quoque actionem legis actionem esse, quibusdam autem non placebat, primum quod pignoris captio extra jus peragebatur i. e. non apud Praetorem, plerumque etiam absente adversario, cum alioquin ceteris actionibus non aliter uti pos- sent quam apud Praetorem praesente adversario, praeterea nefasto quo- que die i. e. quo non licebat lege agere, pignus capi poterat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/361
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/361>, abgerufen am 24.11.2024.