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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem.
quantitativen und qualitativen Vereinfachung
des Rechts
. In dieser Formel ist uns die geistige Herrschaft
über das Recht gegeben, in ihr läßt sich die ganze Aufgabe der
juristischen Technik nach dieser Seite hin zusammenfassen.

I. Die quantitative Vereinfachung. Sie bezweckt
eine Verringerung der Masse des Stoffs, natürlich unbeschadet
der mit demselben zu gewinnenden Resultate. Ihr Gesetz ist: mit
möglichst wenig möglichst viel auszurichten. Je weniger Stoff
und Mittel wir bedürfen, um die gewünschten Resultate zu er-
zielen, desto leichter die Handhabung und Beherrschung des Ap-
parats; je mehr, desto schwieriger. Die Kunst besteht darin, die
extensive Reichhaltigkeit des Stoffs möglichst durch seine in-
tensive
Brauchbarkeit zu ersetzen, mit Einem Begriff oder
Prinzip dasselbe zu erreichen, wozu der weniger Geschickte einen
ganzen Apparat von Mitteln nöthig hat. Es verhält sich damit
ebenso, wie mit der Construction einer Maschine. Je einfacher
die Maschinerie bei sonstiger Gleichheit ihrer Brauchbarkeit,
desto vollkommner ist sie.

Ich nenne dies das Gesetz der Sparsamkeit und er-
blicke darin eins der Lebensgesetze aller Jurisprudenz. Eine Ju-
risprudenz, die dies Gesetz nicht begriffen hat, die es nicht ver-
steht, mit dem Material zu ökonomisiren, wird von der anschwel-
lenden Masse des Stoffs zu Boden gedrückt und erliegt ihrem
eignen Reichthum. Für das richtige Verständniß der altrömi-
schen Technik ist die Kenntniß dieses Gesetzes geradezu unent-
behrlich. Je mehr man sich durch die pedantische und ans Lächer-
liche streifende Weise, wie die ältere Jurisprudenz dasselbe zur An-
wendung brachte, täuschen lassen kann, je weniger die Umwege,
die sie einschlug, die verzweifelten Anstrengungen, die sie machte,
um ein neues Bedürfniß mit den vorhandenen Mitteln zu be-
friedigen und sich, so zu sagen, die Anleihe eines neuen Be-
griffs oder einer neuen Geschäftsform zu ersparen, je weniger
alles dies uns von vornherein natürlich und verständlich er-
scheint, um so mehr muß ich darauf dringen, daß man sich den

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
quantitativen und qualitativen Vereinfachung
des Rechts
. In dieſer Formel iſt uns die geiſtige Herrſchaft
über das Recht gegeben, in ihr läßt ſich die ganze Aufgabe der
juriſtiſchen Technik nach dieſer Seite hin zuſammenfaſſen.

I. Die quantitative Vereinfachung. Sie bezweckt
eine Verringerung der Maſſe des Stoffs, natürlich unbeſchadet
der mit demſelben zu gewinnenden Reſultate. Ihr Geſetz iſt: mit
möglichſt wenig möglichſt viel auszurichten. Je weniger Stoff
und Mittel wir bedürfen, um die gewünſchten Reſultate zu er-
zielen, deſto leichter die Handhabung und Beherrſchung des Ap-
parats; je mehr, deſto ſchwieriger. Die Kunſt beſteht darin, die
extenſive Reichhaltigkeit des Stoffs möglichſt durch ſeine in-
tenſive
Brauchbarkeit zu erſetzen, mit Einem Begriff oder
Prinzip daſſelbe zu erreichen, wozu der weniger Geſchickte einen
ganzen Apparat von Mitteln nöthig hat. Es verhält ſich damit
ebenſo, wie mit der Conſtruction einer Maſchine. Je einfacher
die Maſchinerie bei ſonſtiger Gleichheit ihrer Brauchbarkeit,
deſto vollkommner iſt ſie.

Ich nenne dies das Geſetz der Sparſamkeit und er-
blicke darin eins der Lebensgeſetze aller Jurisprudenz. Eine Ju-
risprudenz, die dies Geſetz nicht begriffen hat, die es nicht ver-
ſteht, mit dem Material zu ökonomiſiren, wird von der anſchwel-
lenden Maſſe des Stoffs zu Boden gedrückt und erliegt ihrem
eignen Reichthum. Für das richtige Verſtändniß der altrömi-
ſchen Technik iſt die Kenntniß dieſes Geſetzes geradezu unent-
behrlich. Je mehr man ſich durch die pedantiſche und ans Lächer-
liche ſtreifende Weiſe, wie die ältere Jurisprudenz daſſelbe zur An-
wendung brachte, täuſchen laſſen kann, je weniger die Umwege,
die ſie einſchlug, die verzweifelten Anſtrengungen, die ſie machte,
um ein neues Bedürfniß mit den vorhandenen Mitteln zu be-
friedigen und ſich, ſo zu ſagen, die Anleihe eines neuen Be-
griffs oder einer neuen Geſchäftsform zu erſparen, je weniger
alles dies uns von vornherein natürlich und verſtändlich er-
ſcheint, um ſo mehr muß ich darauf dringen, daß man ſich den

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[342/0048] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. quantitativen und qualitativen Vereinfachung des Rechts. In dieſer Formel iſt uns die geiſtige Herrſchaft über das Recht gegeben, in ihr läßt ſich die ganze Aufgabe der juriſtiſchen Technik nach dieſer Seite hin zuſammenfaſſen. I. Die quantitative Vereinfachung. Sie bezweckt eine Verringerung der Maſſe des Stoffs, natürlich unbeſchadet der mit demſelben zu gewinnenden Reſultate. Ihr Geſetz iſt: mit möglichſt wenig möglichſt viel auszurichten. Je weniger Stoff und Mittel wir bedürfen, um die gewünſchten Reſultate zu er- zielen, deſto leichter die Handhabung und Beherrſchung des Ap- parats; je mehr, deſto ſchwieriger. Die Kunſt beſteht darin, die extenſive Reichhaltigkeit des Stoffs möglichſt durch ſeine in- tenſive Brauchbarkeit zu erſetzen, mit Einem Begriff oder Prinzip daſſelbe zu erreichen, wozu der weniger Geſchickte einen ganzen Apparat von Mitteln nöthig hat. Es verhält ſich damit ebenſo, wie mit der Conſtruction einer Maſchine. Je einfacher die Maſchinerie bei ſonſtiger Gleichheit ihrer Brauchbarkeit, deſto vollkommner iſt ſie. Ich nenne dies das Geſetz der Sparſamkeit und er- blicke darin eins der Lebensgeſetze aller Jurisprudenz. Eine Ju- risprudenz, die dies Geſetz nicht begriffen hat, die es nicht ver- ſteht, mit dem Material zu ökonomiſiren, wird von der anſchwel- lenden Maſſe des Stoffs zu Boden gedrückt und erliegt ihrem eignen Reichthum. Für das richtige Verſtändniß der altrömi- ſchen Technik iſt die Kenntniß dieſes Geſetzes geradezu unent- behrlich. Je mehr man ſich durch die pedantiſche und ans Lächer- liche ſtreifende Weiſe, wie die ältere Jurisprudenz daſſelbe zur An- wendung brachte, täuſchen laſſen kann, je weniger die Umwege, die ſie einſchlug, die verzweifelten Anſtrengungen, die ſie machte, um ein neues Bedürfniß mit den vorhandenen Mitteln zu be- friedigen und ſich, ſo zu ſagen, die Anleihe eines neuen Be- griffs oder einer neuen Geſchäftsform zu erſparen, je weniger alles dies uns von vornherein natürlich und verſtändlich er- ſcheint, um ſo mehr muß ich darauf dringen, daß man ſich den

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/48>, abgerufen am 28.04.2024.