Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. 4. Die juristische Terminologie. Eine scharf bestimmte und reich entwickelte Terminologie ist nicht genug hervorheben. Das Interesse der richtigen systematischen Stellung eines Instituts ist kein anderes, als das der richtigen materiellen Erkenntniß und Darstellung desselben. Wer irgend einen Gegenstand falsch classificirt, z. B. einen Vogel zu den Säugethieren stellt, sagt damit von dem Gegenstand etwas materiell Falsches aus, und dieser Eine Irrthum kann die Quelle von unzähligen andern werden. Systematische Versehen sind daher nicht harmlose, unschuldige Irrthümer, sondern mit die gefährlichsten, die es gibt, und die Sorgfalt, welche die Theorie auf die systematische Frage verwendet, ist im höchsten Grade gerechtfertigt. Ich glaube, daß es ein höchst ergiebiges und dankbares Thema sein würde, eine Geschichte der Irrthümer zu liefern, die lediglich aus einer falschen systematischen Stellung hervorgegangen sind. Man erinnere sich z. B. einmal der früheren verkehrten Stellung des Retentions- rechts beim Besitz; welche verkehrte Ideen über dies Recht sind dadurch ver- anlaßt, und welchen Halt hatten sie, und wie wurden sie stets genährt bloß durch den systematischen Mißgriff. Jeder systematische Fehler ist das Product und zugleich die Quelle einer mangelhaften Erkenntniß des Gegenstandes, ein falscher Wegweiser, und so lange die Wissenschaft noch die rechte systematische Stelle für den Gegenstand nicht gefunden, hat sie ihn auch noch nicht recht begriffen, denn begreifen heißt nicht, den Gegenstand bloß an und für sich er- fassen, sondern auch in seinem Zusammenhange mit andern. 481) Wie viel Worte hätten wir nöthig, um z. B. den Satz: die Evic- tionsleistung erstreckt sich nicht auf necessariae impensae, in die Sprache des Laien zu übersetzen. 482) Der Eifer gegen die juristische Terminologie, das Verlangen, daß
die Jurisprudenz möglichst sich der Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens bedie- Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. 4. Die juriſtiſche Terminologie. Eine ſcharf beſtimmte und reich entwickelte Terminologie iſt nicht genug hervorheben. Das Intereſſe der richtigen ſyſtematiſchen Stellung eines Inſtituts iſt kein anderes, als das der richtigen materiellen Erkenntniß und Darſtellung deſſelben. Wer irgend einen Gegenſtand falſch claſſificirt, z. B. einen Vogel zu den Säugethieren ſtellt, ſagt damit von dem Gegenſtand etwas materiell Falſches aus, und dieſer Eine Irrthum kann die Quelle von unzähligen andern werden. Syſtematiſche Verſehen ſind daher nicht harmloſe, unſchuldige Irrthümer, ſondern mit die gefährlichſten, die es gibt, und die Sorgfalt, welche die Theorie auf die ſyſtematiſche Frage verwendet, iſt im höchſten Grade gerechtfertigt. Ich glaube, daß es ein höchſt ergiebiges und dankbares Thema ſein würde, eine Geſchichte der Irrthümer zu liefern, die lediglich aus einer falſchen ſyſtematiſchen Stellung hervorgegangen ſind. Man erinnere ſich z. B. einmal der früheren verkehrten Stellung des Retentions- rechts beim Beſitz; welche verkehrte Ideen über dies Recht ſind dadurch ver- anlaßt, und welchen Halt hatten ſie, und wie wurden ſie ſtets genährt bloß durch den ſyſtematiſchen Mißgriff. Jeder ſyſtematiſche Fehler iſt das Product und zugleich die Quelle einer mangelhaften Erkenntniß des Gegenſtandes, ein falſcher Wegweiſer, und ſo lange die Wiſſenſchaft noch die rechte ſyſtematiſche Stelle für den Gegenſtand nicht gefunden, hat ſie ihn auch noch nicht recht begriffen, denn begreifen heißt nicht, den Gegenſtand bloß an und für ſich er- faſſen, ſondern auch in ſeinem Zuſammenhange mit andern. 481) Wie viel Worte hätten wir nöthig, um z. B. den Satz: die Evic- tionsleiſtung erſtreckt ſich nicht auf necessariae impensae, in die Sprache des Laien zu überſetzen. 482) Der Eifer gegen die juriſtiſche Terminologie, das Verlangen, daß
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
4. Die juriſtiſche Terminologie.
Eine ſcharf beſtimmte und reich entwickelte Terminologie iſt
wie für jede Wiſſenſchaft, ſo auch für die Jurisprudenz von äu-
ßerſter Wichtigkeit. Welch ein Mittel zur Kürze ſie iſt, 481) bedarf
ebenſowenig der Ausführung, als daß die Kürze nicht der ein-
zige Vortheil derſelben iſt. Was das Bett dem Strom, iſt ſie
den Gedanken d. h. ſie drängt ihn nicht bloß zuſammen, ver-
mindert nicht bloß den Raum, den er einnimmt, ſondern ſie
hält und ſichert ihn ſelbſt und erleichtert die Controle und die
Ueberſicht. Ein ſicheres Operiren iſt erſt dann und erſt da mög-
lich, wann und wo es Kunſtausdrücke gibt. 482) Auch die Wiſ-
ſenſchaft muß taufen, die Geburt allein genügt nicht!
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481) Wie viel Worte hätten wir nöthig, um z. B. den Satz: die Evic-
tionsleiſtung erſtreckt ſich nicht auf necessariae impensae, in die Sprache
des Laien zu überſetzen.
482) Der Eifer gegen die juriſtiſche Terminologie, das Verlangen, daß
die Jurisprudenz möglichſt ſich der Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens bedie-
480) nicht genug hervorheben. Das Intereſſe der richtigen ſyſtematiſchen Stellung
eines Inſtituts iſt kein anderes, als das der richtigen materiellen Erkenntniß
und Darſtellung deſſelben. Wer irgend einen Gegenſtand falſch claſſificirt,
z. B. einen Vogel zu den Säugethieren ſtellt, ſagt damit von dem Gegenſtand
etwas materiell Falſches aus, und dieſer Eine Irrthum kann die Quelle von
unzähligen andern werden. Syſtematiſche Verſehen ſind daher nicht harmloſe,
unſchuldige Irrthümer, ſondern mit die gefährlichſten, die es gibt, und die
Sorgfalt, welche die Theorie auf die ſyſtematiſche Frage verwendet, iſt im
höchſten Grade gerechtfertigt. Ich glaube, daß es ein höchſt ergiebiges und
dankbares Thema ſein würde, eine Geſchichte der Irrthümer zu liefern, die
lediglich aus einer falſchen ſyſtematiſchen Stellung hervorgegangen ſind. Man
erinnere ſich z. B. einmal der früheren verkehrten Stellung des Retentions-
rechts beim Beſitz; welche verkehrte Ideen über dies Recht ſind dadurch ver-
anlaßt, und welchen Halt hatten ſie, und wie wurden ſie ſtets genährt bloß
durch den ſyſtematiſchen Mißgriff. Jeder ſyſtematiſche Fehler iſt das Product
und zugleich die Quelle einer mangelhaften Erkenntniß des Gegenſtandes, ein
falſcher Wegweiſer, und ſo lange die Wiſſenſchaft noch die rechte ſyſtematiſche
Stelle für den Gegenſtand nicht gefunden, hat ſie ihn auch noch nicht recht
begriffen, denn begreifen heißt nicht, den Gegenſtand bloß an und für ſich er-
faſſen, ſondern auch in ſeinem Zuſammenhange mit andern.
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