Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.II. Die Aufgabe derselben. §. 38. Die bisherige Darstellung hatte die innere Perfectibilität II. Die Praktikabilität des Stoffs. Es ist dies nur ein anderer, aber, wie ich glaube, besserer Das Recht anwenden heißt die abstracten Bestimmungen Das Recht kann nun, wie an jener Stelle bereits bemerkt II. Die Aufgabe derſelben. §. 38. Die bisherige Darſtellung hatte die innere Perfectibilität II. Die Praktikabilität des Stoffs. Es iſt dies nur ein anderer, aber, wie ich glaube, beſſerer Das Recht anwenden heißt die abſtracten Beſtimmungen Das Recht kann nun, wie an jener Stelle bereits bemerkt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0053" n="347"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Die Aufgabe derſelben. §. 38.</fw><lb/> <p>Die bisherige Darſtellung hatte die innere Perfectibilität<lb/> des Rechts als eines Objects der <hi rendition="#g">Erkenntniß</hi> zum Gegen-<lb/> ſtande. Wir haben aber oben bemerkt, daß ſich noch ein zweiter<lb/> Geſichtspunkt hinzugeſellt, nämlich</p> </div><lb/> <div n="7"> <head><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g">Die Praktikabilität des Stoffs</hi>.</head><lb/> <p>Es iſt dies nur ein anderer, aber, wie ich glaube, beſſerer<lb/> Ausdruck für das, was ich früher (B. 1. S. 42—47) die for-<lb/> male Realiſirbarkeit des Rechts genannt habe. An der angege-<lb/> benen Stelle habe ich das Weſentliche über dieſen Punkt zum<lb/> großen Theil bereits bemerkt, und um ſo weniger wird es erfor-<lb/> derlich ſein, ihm einen eignen Paragraphen zu widmen; ich<lb/> werde ihn daher hier ſofort abſolviren.</p><lb/> <p>Das Recht anwenden heißt die abſtracten Beſtimmungen<lb/> concret ausdrücken, und da jede geſetzliche Beſtimmung, wenn<lb/> auch nicht der Form, ſo doch der Sache nach an gewiſſe Vor-<lb/> ausſetzungen gewiſſe Folgen knüpft (z. B. „die Kinder ſollen<lb/> erben“ = <hi rendition="#g">wann</hi> Jemand geſtorben iſt und Kinder hinterlaſſen<lb/> hat, <hi rendition="#g">ſo</hi> ſollen letztere erben), ſo erfordert die Anwendung eines<lb/> jeden Rechtsſatzes zweierlei: die Unterſuchung der Frage, ob<lb/> die <hi rendition="#g">Vorausſetzungen</hi> im concreten Fall vorliegen (die<lb/> Diagnoſe), und die concrete Feſtſtellung deſſen, was nach Ab-<lb/> ſicht des Geſetzes eintreten ſoll z. B. die Feſtſtellung der Scha-<lb/> denserſatzſumme.</p><lb/> <p>Das Recht kann nun, wie an jener Stelle bereits bemerkt<lb/> iſt, beide Operationen außerordentlich erleichtern oder erſchwe-<lb/> ren. Je innerlicher beide Momente vom Geſetzgeber aufgefaßt<lb/> ſind, je mehr alſo z. B. die Vorausſetzungen nicht in eine äu-<lb/> ßerlich leicht erkennbare Form (Formulare, Worte z. B. <hi rendition="#aq">do lego,<lb/> damnas esto,</hi> „Wechſel“) ſondern in innerliche Momente z. B.<lb/> die Abſicht des Subjects (zu noviren, ſchenken, <hi rendition="#aq">animo domini</hi><lb/> zu beſitzen) oder den Zweck des Geſchäfts (Hingabe zum Zweck<lb/> der Sicherung des Empfangens für eine Forderung oder zum<lb/> Zweck der Aufbewahrung) geſetzt ſind, deſto ſchwieriger iſt die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [347/0053]
II. Die Aufgabe derſelben. §. 38.
Die bisherige Darſtellung hatte die innere Perfectibilität
des Rechts als eines Objects der Erkenntniß zum Gegen-
ſtande. Wir haben aber oben bemerkt, daß ſich noch ein zweiter
Geſichtspunkt hinzugeſellt, nämlich
II. Die Praktikabilität des Stoffs.
Es iſt dies nur ein anderer, aber, wie ich glaube, beſſerer
Ausdruck für das, was ich früher (B. 1. S. 42—47) die for-
male Realiſirbarkeit des Rechts genannt habe. An der angege-
benen Stelle habe ich das Weſentliche über dieſen Punkt zum
großen Theil bereits bemerkt, und um ſo weniger wird es erfor-
derlich ſein, ihm einen eignen Paragraphen zu widmen; ich
werde ihn daher hier ſofort abſolviren.
Das Recht anwenden heißt die abſtracten Beſtimmungen
concret ausdrücken, und da jede geſetzliche Beſtimmung, wenn
auch nicht der Form, ſo doch der Sache nach an gewiſſe Vor-
ausſetzungen gewiſſe Folgen knüpft (z. B. „die Kinder ſollen
erben“ = wann Jemand geſtorben iſt und Kinder hinterlaſſen
hat, ſo ſollen letztere erben), ſo erfordert die Anwendung eines
jeden Rechtsſatzes zweierlei: die Unterſuchung der Frage, ob
die Vorausſetzungen im concreten Fall vorliegen (die
Diagnoſe), und die concrete Feſtſtellung deſſen, was nach Ab-
ſicht des Geſetzes eintreten ſoll z. B. die Feſtſtellung der Scha-
denserſatzſumme.
Das Recht kann nun, wie an jener Stelle bereits bemerkt
iſt, beide Operationen außerordentlich erleichtern oder erſchwe-
ren. Je innerlicher beide Momente vom Geſetzgeber aufgefaßt
ſind, je mehr alſo z. B. die Vorausſetzungen nicht in eine äu-
ßerlich leicht erkennbare Form (Formulare, Worte z. B. do lego,
damnas esto, „Wechſel“) ſondern in innerliche Momente z. B.
die Abſicht des Subjects (zu noviren, ſchenken, animo domini
zu beſitzen) oder den Zweck des Geſchäfts (Hingabe zum Zweck
der Sicherung des Empfangens für eine Forderung oder zum
Zweck der Aufbewahrung) geſetzt ſind, deſto ſchwieriger iſt die
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