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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem.
lichen Ausgangspunkt, der Verwirklichung der Idee des Alpha-
bets im Recht, zurück.

Nehmen wir an, daß die Zersetzung des Rechtsstoffs in der
angegebenen Weise vollkommen gelungen ist, so stellt sich das
Recht dar als eine Summe von einfachen, nicht weiter aufzu-
lösenden Elementen, die wie die Buchstaben sich zu zusammen-
gesetzten Einheiten vereinigen können und uns wie sie in Stand
setzen, alle, auch die complicirtesten und ungewöhnlichsten Com-
binationen des Lebens zu entziffern. Wir wollen die Beschaf-
fenheit, Brauchbarkeit und Benutzung dieses Rechtsalphabets
unter beständigem Hinblick auf das der Sprache etwas näher
erläutern.

Dasselbe besteht aus Bestandtheilen doppelter Art, aus Be-
griffen und Rechtssätzen von localer und von abstracter Anwend-
barkeit. Erstere lassen sich, da sie als solche im Leben ohne wei-
tern Zusatz vorkommen können, auch als selbständige oder
concrete Rechtskörper bezeichnen. Beispiele gewähren der
Kaufcontract, die Weggerechtigkeit, das Testament. Die ab-
stracten hingegen gelangen nie für sich allein zur Erscheinung, so
wenig wie eine Eigenschaft, sondern immer nur in und an selbst-
ständigen Körpern. Beispiele gewähren der Irrthum, die Nich-
tigkeit, Mora. Ein Irrthum als solcher d. h. unabhängig von
einem concreten Rechtsverhältniß, eine Mora als solche d. h.
ohne Beziehung auf eine bestehende Obligation ist ein praktisches
Unding, beide müssen sich mit selbständigen Körpern verbinden.
Letztere also treten nur in Zusammensetzungen auf, erstere hin-
gegen rein, isolirt. Wenn wir den Vergleich mit den Buchstaben
hierauf ausdehnen wollen, was aber in anderer Beziehung leicht
irre führen kann, so können wir die abstracten die Consonanten,
die concreten die Vocale nennen. Hiermit hängt ein anderer
Unterschied derselben zusammen. Die abstracten Elemente näm-
lich haben eine ungleich größere Anwendbarkeit, weil sie nicht
an ein einzelnes Verhältniß gebunden sind; der Irrthum z. B.
kann bei einem Contract, einer Tradition, einer Zahlung, einem

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
lichen Ausgangspunkt, der Verwirklichung der Idee des Alpha-
bets im Recht, zurück.

Nehmen wir an, daß die Zerſetzung des Rechtsſtoffs in der
angegebenen Weiſe vollkommen gelungen iſt, ſo ſtellt ſich das
Recht dar als eine Summe von einfachen, nicht weiter aufzu-
löſenden Elementen, die wie die Buchſtaben ſich zu zuſammen-
geſetzten Einheiten vereinigen können und uns wie ſie in Stand
ſetzen, alle, auch die complicirteſten und ungewöhnlichſten Com-
binationen des Lebens zu entziffern. Wir wollen die Beſchaf-
fenheit, Brauchbarkeit und Benutzung dieſes Rechtsalphabets
unter beſtändigem Hinblick auf das der Sprache etwas näher
erläutern.

Daſſelbe beſteht aus Beſtandtheilen doppelter Art, aus Be-
griffen und Rechtsſätzen von localer und von abſtracter Anwend-
barkeit. Erſtere laſſen ſich, da ſie als ſolche im Leben ohne wei-
tern Zuſatz vorkommen können, auch als ſelbſtändige oder
concrete Rechtskörper bezeichnen. Beiſpiele gewähren der
Kaufcontract, die Weggerechtigkeit, das Teſtament. Die ab-
ſtracten hingegen gelangen nie für ſich allein zur Erſcheinung, ſo
wenig wie eine Eigenſchaft, ſondern immer nur in und an ſelbſt-
ſtändigen Körpern. Beiſpiele gewähren der Irrthum, die Nich-
tigkeit, Mora. Ein Irrthum als ſolcher d. h. unabhängig von
einem concreten Rechtsverhältniß, eine Mora als ſolche d. h.
ohne Beziehung auf eine beſtehende Obligation iſt ein praktiſches
Unding, beide müſſen ſich mit ſelbſtändigen Körpern verbinden.
Letztere alſo treten nur in Zuſammenſetzungen auf, erſtere hin-
gegen rein, iſolirt. Wenn wir den Vergleich mit den Buchſtaben
hierauf ausdehnen wollen, was aber in anderer Beziehung leicht
irre führen kann, ſo können wir die abſtracten die Conſonanten,
die concreten die Vocale nennen. Hiermit hängt ein anderer
Unterſchied derſelben zuſammen. Die abſtracten Elemente näm-
lich haben eine ungleich größere Anwendbarkeit, weil ſie nicht
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kann bei einem Contract, einer Tradition, einer Zahlung, einem

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[372/0078] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. lichen Ausgangspunkt, der Verwirklichung der Idee des Alpha- bets im Recht, zurück. Nehmen wir an, daß die Zerſetzung des Rechtsſtoffs in der angegebenen Weiſe vollkommen gelungen iſt, ſo ſtellt ſich das Recht dar als eine Summe von einfachen, nicht weiter aufzu- löſenden Elementen, die wie die Buchſtaben ſich zu zuſammen- geſetzten Einheiten vereinigen können und uns wie ſie in Stand ſetzen, alle, auch die complicirteſten und ungewöhnlichſten Com- binationen des Lebens zu entziffern. Wir wollen die Beſchaf- fenheit, Brauchbarkeit und Benutzung dieſes Rechtsalphabets unter beſtändigem Hinblick auf das der Sprache etwas näher erläutern. Daſſelbe beſteht aus Beſtandtheilen doppelter Art, aus Be- griffen und Rechtsſätzen von localer und von abſtracter Anwend- barkeit. Erſtere laſſen ſich, da ſie als ſolche im Leben ohne wei- tern Zuſatz vorkommen können, auch als ſelbſtändige oder concrete Rechtskörper bezeichnen. Beiſpiele gewähren der Kaufcontract, die Weggerechtigkeit, das Teſtament. Die ab- ſtracten hingegen gelangen nie für ſich allein zur Erſcheinung, ſo wenig wie eine Eigenſchaft, ſondern immer nur in und an ſelbſt- ſtändigen Körpern. Beiſpiele gewähren der Irrthum, die Nich- tigkeit, Mora. Ein Irrthum als ſolcher d. h. unabhängig von einem concreten Rechtsverhältniß, eine Mora als ſolche d. h. ohne Beziehung auf eine beſtehende Obligation iſt ein praktiſches Unding, beide müſſen ſich mit ſelbſtändigen Körpern verbinden. Letztere alſo treten nur in Zuſammenſetzungen auf, erſtere hin- gegen rein, iſolirt. Wenn wir den Vergleich mit den Buchſtaben hierauf ausdehnen wollen, was aber in anderer Beziehung leicht irre führen kann, ſo können wir die abſtracten die Conſonanten, die concreten die Vocale nennen. Hiermit hängt ein anderer Unterſchied derſelben zuſammen. Die abſtracten Elemente näm- lich haben eine ungleich größere Anwendbarkeit, weil ſie nicht an ein einzelnes Verhältniß gebunden ſind; der Irrthum z. B. kann bei einem Contract, einer Tradition, einer Zahlung, einem

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/78>, abgerufen am 21.11.2024.