Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. dern sogar die Annahme (das "capere" 144)) des Hinterlasse-nen zu untersagen? Genügte es nicht vollkommen, ihm die Klage zu entziehen? Die Frage muß verneint werden. Mit der Klage würde das Gesetz bloß den rechtlichen Zwang zur Auszahlung der Legate beseitigt haben, nicht den moralischen und socialen, den die Achtung vor dem Willen des Testators und die Rücksichten auf die Legatare und das Urtheil der Welt dem Erben auferlegte. Wollte es diese Einflüsse paralysiren, so blieb nichts übrig, als dem Honorirten die Annahme des Legats bei Strafe zu untersagen. 145) Ein Seitenstück aus unsern Tagen wird dies erläutern. Neuere Gesetzgebungen haben mit Recht den Satz des kanonischen Rechts, daß der promissorische Eid den Rechtsgeschäften, denen er hinzugefügt werde, eine rechtliche Erzwingbarkeit verleihe, aufgehoben. Allein damit ist die gefährliche Tauglichkeit dieses Mittels für Geschäfte, die das Gesetz verhindern will, z. B. das Nehmen wucherischer Zinsen, nur um ein Geringes abgeschwächt, denn der gewissen- hafte Mensch erfüllt auch den rechtlich unverbindlichen Eid. Wie dem begegnen und damit dem Mißbrauch des Eides steuern? Die Antwort ertheilen einige andere Gesetzgebungen, indem sie dem Gläubiger bei Strafe verbieten, sich einen Eid schwören zu lassen -- also ganz derselbe Weg, den die lex Furia einzu- schlagen für nöthig hielt! Ob die lex Furia die Klage aufs Vierfache auch als Popu- 144) Daß dies der Ausdruck des Gesetzes war, dafür sprechen nicht bloß die directen Zeugnisse von Gajus und Ulpian, sondern auch das indirecte der lex Falcidia (Note 137). 145) Besonders nöthig war dies für eine Form der letztwilligen Zuwen-
dung, das s. g. conditionis implendae causa datum ("wenn A dem B 10000 As gibt, soll er mein Erbe sein"). Hier hatte der Honorirte weder eine Klage, noch bedurfte er derselben, denn der dem Erben auferlegte indirecte Zwang genügte vollkommen. Wollte er hier nicht dem Gesetz verfallen, so mußte er das Anerbieten der Zahlung der ganzen Summe (zu dem der Erbe, um die Bedingung zu erfüllen, genöthigt war) zurückweisen und sich mit 1000 As begnügen; die Bedingung galt trotzdem als erfüllt, s. B. 2 S. 176. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. dern ſogar die Annahme (das „capere“ 144)) des Hinterlaſſe-nen zu unterſagen? Genügte es nicht vollkommen, ihm die Klage zu entziehen? Die Frage muß verneint werden. Mit der Klage würde das Geſetz bloß den rechtlichen Zwang zur Auszahlung der Legate beſeitigt haben, nicht den moraliſchen und ſocialen, den die Achtung vor dem Willen des Teſtators und die Rückſichten auf die Legatare und das Urtheil der Welt dem Erben auferlegte. Wollte es dieſe Einflüſſe paralyſiren, ſo blieb nichts übrig, als dem Honorirten die Annahme des Legats bei Strafe zu unterſagen. 145) Ein Seitenſtück aus unſern Tagen wird dies erläutern. Neuere Geſetzgebungen haben mit Recht den Satz des kanoniſchen Rechts, daß der promiſſoriſche Eid den Rechtsgeſchäften, denen er hinzugefügt werde, eine rechtliche Erzwingbarkeit verleihe, aufgehoben. Allein damit iſt die gefährliche Tauglichkeit dieſes Mittels für Geſchäfte, die das Geſetz verhindern will, z. B. das Nehmen wucheriſcher Zinſen, nur um ein Geringes abgeſchwächt, denn der gewiſſen- hafte Menſch erfüllt auch den rechtlich unverbindlichen Eid. Wie dem begegnen und damit dem Mißbrauch des Eides ſteuern? Die Antwort ertheilen einige andere Geſetzgebungen, indem ſie dem Gläubiger bei Strafe verbieten, ſich einen Eid ſchwören zu laſſen — alſo ganz derſelbe Weg, den die lex Furia einzu- ſchlagen für nöthig hielt! Ob die lex Furia die Klage aufs Vierfache auch als Popu- 144) Daß dies der Ausdruck des Geſetzes war, dafür ſprechen nicht bloß die directen Zeugniſſe von Gajus und Ulpian, ſondern auch das indirecte der lex Falcidia (Note 137). 145) Beſonders nöthig war dies für eine Form der letztwilligen Zuwen-
dung, das ſ. g. conditionis implendae causa datum („wenn A dem B 10000 As gibt, ſoll er mein Erbe ſein“). Hier hatte der Honorirte weder eine Klage, noch bedurfte er derſelben, denn der dem Erben auferlegte indirecte Zwang genügte vollkommen. Wollte er hier nicht dem Geſetz verfallen, ſo mußte er das Anerbieten der Zahlung der ganzen Summe (zu dem der Erbe, um die Bedingung zu erfüllen, genöthigt war) zurückweiſen und ſich mit 1000 As begnügen; die Bedingung galt trotzdem als erfüllt, ſ. B. 2 S. 176. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0126" n="110"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III</hi>. Die Technik. <hi rendition="#aq">A</hi>. Die Analytik.</fw><lb/> dern ſogar die <hi rendition="#g">Annahme</hi> (das <hi rendition="#aq">„capere“</hi> <note place="foot" n="144)">Daß dies der Ausdruck des Geſetzes war, dafür ſprechen nicht bloß<lb/> die directen Zeugniſſe von Gajus und Ulpian, ſondern auch das indirecte der<lb/><hi rendition="#aq">lex Falcidia</hi> (Note 137).</note>) des Hinterlaſſe-<lb/> nen zu unterſagen? Genügte es nicht vollkommen, ihm die<lb/><hi rendition="#g">Klage</hi> zu entziehen? Die Frage muß verneint werden. Mit<lb/> der <hi rendition="#g">Klage</hi> würde das Geſetz bloß den <hi rendition="#g">rechtlichen</hi> Zwang zur<lb/> Auszahlung der Legate beſeitigt haben, nicht den <hi rendition="#g">moraliſchen</hi><lb/> und <hi rendition="#g">ſocialen</hi>, den die Achtung vor dem Willen des Teſtators<lb/> und die Rückſichten auf die Legatare und das Urtheil der Welt<lb/> dem Erben auferlegte. Wollte es <hi rendition="#g">dieſe</hi> Einflüſſe paralyſiren, ſo<lb/> blieb nichts übrig, als dem Honorirten die Annahme des Legats<lb/> bei Strafe zu <hi rendition="#g">unterſagen</hi>. <note place="foot" n="145)">Beſonders nöthig war dies für <hi rendition="#g">eine</hi> Form der letztwilligen Zuwen-<lb/> dung, das ſ. g. <hi rendition="#aq">conditionis implendae causa datum</hi> („wenn <hi rendition="#aq">A</hi> dem <hi rendition="#aq">B</hi><lb/> 10000 As gibt, ſoll er mein Erbe ſein“). Hier hatte der Honorirte weder<lb/> eine Klage, noch bedurfte er derſelben, denn der dem Erben auferlegte indirecte<lb/> Zwang genügte vollkommen. Wollte er hier nicht dem Geſetz verfallen, ſo<lb/> mußte er das Anerbieten der Zahlung der ganzen Summe (zu dem der Erbe,<lb/> um die Bedingung zu erfüllen, genöthigt war) zurückweiſen und ſich mit<lb/> 1000 As begnügen; die Bedingung galt trotzdem als erfüllt, ſ. B. 2 S. 176.</note> Ein Seitenſtück aus unſern<lb/> Tagen wird dies erläutern. Neuere Geſetzgebungen haben mit<lb/> Recht den Satz des kanoniſchen Rechts, daß der promiſſoriſche<lb/> Eid den Rechtsgeſchäften, denen er hinzugefügt werde, eine<lb/><hi rendition="#g">rechtliche</hi> Erzwingbarkeit verleihe, aufgehoben. Allein damit<lb/> iſt die gefährliche Tauglichkeit dieſes Mittels für Geſchäfte, die<lb/> das Geſetz verhindern will, z. B. das Nehmen wucheriſcher<lb/> Zinſen, nur um ein Geringes abgeſchwächt, denn der gewiſſen-<lb/> hafte Menſch erfüllt auch den rechtlich <hi rendition="#g">unverbindlichen</hi> Eid.<lb/> Wie dem begegnen und damit dem Mißbrauch des Eides ſteuern?<lb/> Die Antwort ertheilen einige andere Geſetzgebungen, indem ſie<lb/> dem <hi rendition="#g">Gläubiger</hi> bei <hi rendition="#g">Strafe</hi> verbieten, ſich einen Eid ſchwören<lb/> zu laſſen — alſo ganz derſelbe Weg, den die <hi rendition="#aq">lex Furia</hi> einzu-<lb/> ſchlagen für nöthig hielt!</p><lb/> <p>Ob die <hi rendition="#aq">lex Furia</hi> die Klage aufs Vierfache auch als Popu-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0126]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
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nen zu unterſagen? Genügte es nicht vollkommen, ihm die
Klage zu entziehen? Die Frage muß verneint werden. Mit
der Klage würde das Geſetz bloß den rechtlichen Zwang zur
Auszahlung der Legate beſeitigt haben, nicht den moraliſchen
und ſocialen, den die Achtung vor dem Willen des Teſtators
und die Rückſichten auf die Legatare und das Urtheil der Welt
dem Erben auferlegte. Wollte es dieſe Einflüſſe paralyſiren, ſo
blieb nichts übrig, als dem Honorirten die Annahme des Legats
bei Strafe zu unterſagen. 145) Ein Seitenſtück aus unſern
Tagen wird dies erläutern. Neuere Geſetzgebungen haben mit
Recht den Satz des kanoniſchen Rechts, daß der promiſſoriſche
Eid den Rechtsgeſchäften, denen er hinzugefügt werde, eine
rechtliche Erzwingbarkeit verleihe, aufgehoben. Allein damit
iſt die gefährliche Tauglichkeit dieſes Mittels für Geſchäfte, die
das Geſetz verhindern will, z. B. das Nehmen wucheriſcher
Zinſen, nur um ein Geringes abgeſchwächt, denn der gewiſſen-
hafte Menſch erfüllt auch den rechtlich unverbindlichen Eid.
Wie dem begegnen und damit dem Mißbrauch des Eides ſteuern?
Die Antwort ertheilen einige andere Geſetzgebungen, indem ſie
dem Gläubiger bei Strafe verbieten, ſich einen Eid ſchwören
zu laſſen — alſo ganz derſelbe Weg, den die lex Furia einzu-
ſchlagen für nöthig hielt!
Ob die lex Furia die Klage aufs Vierfache auch als Popu-
144) Daß dies der Ausdruck des Geſetzes war, dafür ſprechen nicht bloß
die directen Zeugniſſe von Gajus und Ulpian, ſondern auch das indirecte der
lex Falcidia (Note 137).
145) Beſonders nöthig war dies für eine Form der letztwilligen Zuwen-
dung, das ſ. g. conditionis implendae causa datum („wenn A dem B
10000 As gibt, ſoll er mein Erbe ſein“). Hier hatte der Honorirte weder
eine Klage, noch bedurfte er derſelben, denn der dem Erben auferlegte indirecte
Zwang genügte vollkommen. Wollte er hier nicht dem Geſetz verfallen, ſo
mußte er das Anerbieten der Zahlung der ganzen Summe (zu dem der Erbe,
um die Bedingung zu erfüllen, genöthigt war) zurückweiſen und ſich mit
1000 As begnügen; die Bedingung galt trotzdem als erfüllt, ſ. B. 2 S. 176.
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