Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. durch die Idee der strengen processualischen Gerechtigkeit, durch diedas ältere Recht sich in so hohem Maße leiten ließ (S. 51 flg.), entschieden geboten ist. Die Tendenz des späteren Rechts, den einen Weg mehr und mehr durch den andern zu ersetzen, gereicht, wie ich schon früher bemerkte, demselben keineswegs zur Ehre, und Justinian oder seine Gehülfen haben ihre vermeintliche Ueberlegenheit über die ältere Jurisprudenz in sehr zweifelhafter Weise documentirt, wenn sie, befangen von dem Eindruck der Weitläuftigkeit, den dieser Mechanismus auf sie ausübte, dem ältern Recht den Vorwurf machen: 166) es habe in widersinniger und höchst unzweckmäßiger Weise durch die eine Klage genom- men, was es mit der andern gegeben. -- Jeder Jurist aus der alten Zeit würde dem Tadler die Augen haben öffnen können! Ueberschauen wir jetzt den gesammten Inhalt dieses Paragra- einander gerade entgegengesetzt vor, indem man, mit falschem Schluß von der Stelle in Note 39, in der act. das stärkere, in der except. das schwächere Rechtsmittel erblickt, allein ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine bis- herigen Ausführungen über den Mechanismus des altrömischen Processes den Nachweis geliefert haben, daß von seinem Standpunkt aus eine Anfechtung auf dem Wege der Klage ungleich früher möglich war, als auf dem der Ein- rede. Derselben Ansicht ist auch Bähr Anerkennung S. 94 Note 6. Jahr- bücher für Dogmat. II. S. 376, 378. 166) L. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) .... secundum antiquam re-
ceptitiam actionem res exigebatur, etiam si quid non fuerat debitum, cum satis absurdum et tam nostris temporibus quam justis legibus con- trarium sit permittere per actionem receptitiam res indebitas consequi et iterum multas proponere condictiones, quae et pecunias indebitas et promissiones corrumpi et restitui definiunt. A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. durch die Idee der ſtrengen proceſſualiſchen Gerechtigkeit, durch diedas ältere Recht ſich in ſo hohem Maße leiten ließ (S. 51 flg.), entſchieden geboten iſt. Die Tendenz des ſpäteren Rechts, den einen Weg mehr und mehr durch den andern zu erſetzen, gereicht, wie ich ſchon früher bemerkte, demſelben keineswegs zur Ehre, und Juſtinian oder ſeine Gehülfen haben ihre vermeintliche Ueberlegenheit über die ältere Jurisprudenz in ſehr zweifelhafter Weiſe documentirt, wenn ſie, befangen von dem Eindruck der Weitläuftigkeit, den dieſer Mechanismus auf ſie ausübte, dem ältern Recht den Vorwurf machen: 166) es habe in widerſinniger und höchſt unzweckmäßiger Weiſe durch die eine Klage genom- men, was es mit der andern gegeben. — Jeder Juriſt aus der alten Zeit würde dem Tadler die Augen haben öffnen können! Ueberſchauen wir jetzt den geſammten Inhalt dieſes Paragra- einander gerade entgegengeſetzt vor, indem man, mit falſchem Schluß von der Stelle in Note 39, in der act. das ſtärkere, in der except. das ſchwächere Rechtsmittel erblickt, allein ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine bis- herigen Ausführungen über den Mechanismus des altrömiſchen Proceſſes den Nachweis geliefert haben, daß von ſeinem Standpunkt aus eine Anfechtung auf dem Wege der Klage ungleich früher möglich war, als auf dem der Ein- rede. Derſelben Anſicht iſt auch Bähr Anerkennung S. 94 Note 6. Jahr- bücher für Dogmat. II. S. 376, 378. 166) L. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) .... secundum antiquam re-
ceptitiam actionem res exigebatur, etiam si quid non fuerat debitum, cum satis absurdum et tam nostris temporibus quam justis legibus con- trarium sit permittere per actionem receptitiam res indebitas consequi et iterum multas proponere condictiones, quae et pecunias indebitas et promissiones corrumpi et restitui definiunt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0135" n="119"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A</hi>. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.</fw><lb/> durch die Idee der ſtrengen proceſſualiſchen Gerechtigkeit, durch die<lb/> das ältere Recht ſich in ſo hohem Maße leiten ließ (S. 51 flg.),<lb/> entſchieden geboten iſt. Die Tendenz des ſpäteren Rechts, den<lb/> einen Weg mehr und mehr durch den andern zu erſetzen, gereicht,<lb/> wie ich ſchon früher bemerkte, demſelben keineswegs zur Ehre,<lb/> und Juſtinian oder ſeine Gehülfen haben ihre vermeintliche<lb/> Ueberlegenheit über die ältere Jurisprudenz in ſehr zweifelhafter<lb/> Weiſe documentirt, wenn ſie, befangen von dem Eindruck der<lb/> Weitläuftigkeit, den dieſer Mechanismus auf ſie ausübte, dem<lb/> ältern Recht den Vorwurf machen: <note place="foot" n="166)"><hi rendition="#aq">L. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) .... secundum antiquam re-<lb/> ceptitiam actionem res exigebatur, etiam si quid non fuerat debitum,<lb/> cum satis absurdum et tam nostris temporibus quam justis legibus con-<lb/> trarium sit permittere per actionem receptitiam res indebitas consequi<lb/> et iterum multas proponere condictiones, quae et pecunias indebitas et<lb/> promissiones corrumpi et restitui definiunt</hi>.</note> es habe in widerſinniger<lb/> und höchſt unzweckmäßiger Weiſe durch die eine Klage genom-<lb/> men, was es mit der andern gegeben. — Jeder Juriſt aus der<lb/> alten Zeit würde dem Tadler die Augen haben öffnen können!</p><lb/> <p>Ueberſchauen wir jetzt den geſammten Inhalt dieſes Paragra-<lb/> phen, ſo wird der Ausſpruch des Gajus, den wir an die Spitze<lb/> deſſelben geſetzt haben: <hi rendition="#aq">„<hi rendition="#g">nec omnino</hi> ita, ut nunc, usus erat<lb/> illis temporibus exceptionum“,</hi> nicht bloß in <hi rendition="#g">dem</hi> Sinn ſeine<lb/> Erklärung gefunden haben, daß das alte Recht keine eigentlichen<lb/> Exceptionen gekannt, ſondern auch in <hi rendition="#g">dem</hi>, daß es an Stelle<lb/> derſelben etwas anderes beſeſſen habe, mit dem es ebenſo weit<lb/> gereicht iſt, wie das neuere mit den Exceptionen.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_13_2" prev="#seg2pn_13_1" place="foot" n="165)">einander gerade entgegengeſetzt vor, indem man, mit falſchem Schluß von der<lb/> Stelle in Note 39, in der <hi rendition="#aq">act</hi>. das ſtärkere, in der <hi rendition="#aq">except</hi>. das ſchwächere<lb/> Rechtsmittel erblickt, allein ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine bis-<lb/> herigen Ausführungen über den Mechanismus des altrömiſchen Proceſſes den<lb/> Nachweis geliefert haben, daß von <hi rendition="#g">ſeinem</hi> Standpunkt aus eine Anfechtung<lb/> auf dem Wege der Klage ungleich früher möglich war, als auf dem der Ein-<lb/> rede. Derſelben Anſicht iſt auch <hi rendition="#g">Bähr</hi> Anerkennung S. 94 Note 6. Jahr-<lb/> bücher für Dogmat. <hi rendition="#aq">II</hi>. S. 376, 378.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0135]
A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
durch die Idee der ſtrengen proceſſualiſchen Gerechtigkeit, durch die
das ältere Recht ſich in ſo hohem Maße leiten ließ (S. 51 flg.),
entſchieden geboten iſt. Die Tendenz des ſpäteren Rechts, den
einen Weg mehr und mehr durch den andern zu erſetzen, gereicht,
wie ich ſchon früher bemerkte, demſelben keineswegs zur Ehre,
und Juſtinian oder ſeine Gehülfen haben ihre vermeintliche
Ueberlegenheit über die ältere Jurisprudenz in ſehr zweifelhafter
Weiſe documentirt, wenn ſie, befangen von dem Eindruck der
Weitläuftigkeit, den dieſer Mechanismus auf ſie ausübte, dem
ältern Recht den Vorwurf machen: 166) es habe in widerſinniger
und höchſt unzweckmäßiger Weiſe durch die eine Klage genom-
men, was es mit der andern gegeben. — Jeder Juriſt aus der
alten Zeit würde dem Tadler die Augen haben öffnen können!
Ueberſchauen wir jetzt den geſammten Inhalt dieſes Paragra-
phen, ſo wird der Ausſpruch des Gajus, den wir an die Spitze
deſſelben geſetzt haben: „nec omnino ita, ut nunc, usus erat
illis temporibus exceptionum“, nicht bloß in dem Sinn ſeine
Erklärung gefunden haben, daß das alte Recht keine eigentlichen
Exceptionen gekannt, ſondern auch in dem, daß es an Stelle
derſelben etwas anderes beſeſſen habe, mit dem es ebenſo weit
gereicht iſt, wie das neuere mit den Exceptionen.
165)
166) L. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) .... secundum antiquam re-
ceptitiam actionem res exigebatur, etiam si quid non fuerat debitum,
cum satis absurdum et tam nostris temporibus quam justis legibus con-
trarium sit permittere per actionem receptitiam res indebitas consequi
et iterum multas proponere condictiones, quae et pecunias indebitas et
promissiones corrumpi et restitui definiunt.
165) einander gerade entgegengeſetzt vor, indem man, mit falſchem Schluß von der
Stelle in Note 39, in der act. das ſtärkere, in der except. das ſchwächere
Rechtsmittel erblickt, allein ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine bis-
herigen Ausführungen über den Mechanismus des altrömiſchen Proceſſes den
Nachweis geliefert haben, daß von ſeinem Standpunkt aus eine Anfechtung
auf dem Wege der Klage ungleich früher möglich war, als auf dem der Ein-
rede. Derſelben Anſicht iſt auch Bähr Anerkennung S. 94 Note 6. Jahr-
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