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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
(B. 2 §. 33) ist sie keineswegs geboten. Wie ließe sich auch der
Anspruch rechtfertigen bei Verhältnissen, die ganz auf die Zukunft
gestellt sind, derselben Sicherheit theilhaftig zu werden, die das
Recht für diejenigen bietet, welche auf dem realen Boden der Ge-
genwart ruhen, worauf die Berechtigung sich gründen, statt der
gegenwärtigen Person des Versprechenden bereits die künftigen
Verhältnisse, bevor sie noch existiren, in Bande zu schlagen? So
kann ich also mein Gesammturtheil nur dahin abgeben, daß die
alte Jurisprudenz im Wesentlichen das völlig Richtige traf, wenn
sie die Dispositionen über künftige Verhältnisse in die Form der
bedingten und betagten Obligation verwies.

Vom Standpunkt der Technik aus knüpft sich an die bedingte
Obligation ein eigenthümliches Interesse, nämlich das einer Er-
scheinung, zu der uns das alte Recht sonst kein Gegenstück dar-
bietet: der successiven Entstehung des Rechtsgeschäfts. Denn
während die betagte Obligation bereits sofort zur Existenz ge-
langt, und der Tag nur ihre Erfüllung hinausschiebt (s. u.),
befindet sich die bedingte bis zum Eintritt der Bedingung in dem
Zustand des Werdens, der Bildung -- ein Zustand, den
das Recht (ich möchte fast sagen: ähnlich wie beim nasciturus!)
durch das Verbot aller störenden Eingriffe in den ruhigen Ver-
lauf des Entwicklungsprocesses in Schutz nimmt. 212) Wie beim
nasciturus von der Conception bis zur Geburt zieht sich hier der
Entstehungsproceß des Rechtsgeschäfts von dem Akt seiner Vor-
nahme bis zum Eintritt der Bedingung hin, er füllt einen Zeit-
raum, keinen bloßen Zeitpunkt. Consequenterweise verlangen
daher die römischen Juristen, daß die Erfordernisse der Mög-
lichkeit
der Entstehung des Rechtsgeschäfts von Anfang bis zu
Ende fortdauern müssen 213) -- ein Satz, zu dem uns sofort das
Testament eine Parallele liefern wird. Und nicht minder kann

212) Die bekannte Regel der L. 161 de R. J. (50. 17).
213) z. B. die Existenz der verkauften Sache; ihr Untergang hebt den
Vertrag auf, L. 8 pr. de peric. (18. 6). Dagegen ist die Willensänderung

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
(B. 2 §. 33) iſt ſie keineswegs geboten. Wie ließe ſich auch der
Anſpruch rechtfertigen bei Verhältniſſen, die ganz auf die Zukunft
geſtellt ſind, derſelben Sicherheit theilhaftig zu werden, die das
Recht für diejenigen bietet, welche auf dem realen Boden der Ge-
genwart ruhen, worauf die Berechtigung ſich gründen, ſtatt der
gegenwärtigen Perſon des Verſprechenden bereits die künftigen
Verhältniſſe, bevor ſie noch exiſtiren, in Bande zu ſchlagen? So
kann ich alſo mein Geſammturtheil nur dahin abgeben, daß die
alte Jurisprudenz im Weſentlichen das völlig Richtige traf, wenn
ſie die Dispoſitionen über künftige Verhältniſſe in die Form der
bedingten und betagten Obligation verwies.

Vom Standpunkt der Technik aus knüpft ſich an die bedingte
Obligation ein eigenthümliches Intereſſe, nämlich das einer Er-
ſcheinung, zu der uns das alte Recht ſonſt kein Gegenſtück dar-
bietet: der ſucceſſiven Entſtehung des Rechtsgeſchäfts. Denn
während die betagte Obligation bereits ſofort zur Exiſtenz ge-
langt, und der Tag nur ihre Erfüllung hinausſchiebt (ſ. u.),
befindet ſich die bedingte bis zum Eintritt der Bedingung in dem
Zuſtand des Werdens, der Bildung — ein Zuſtand, den
das Recht (ich möchte faſt ſagen: ähnlich wie beim nasciturus!)
durch das Verbot aller ſtörenden Eingriffe in den ruhigen Ver-
lauf des Entwicklungsproceſſes in Schutz nimmt. 212) Wie beim
nasciturus von der Conception bis zur Geburt zieht ſich hier der
Entſtehungsproceß des Rechtsgeſchäfts von dem Akt ſeiner Vor-
nahme bis zum Eintritt der Bedingung hin, er füllt einen Zeit-
raum, keinen bloßen Zeitpunkt. Conſequenterweiſe verlangen
daher die römiſchen Juriſten, daß die Erforderniſſe der Mög-
lichkeit
der Entſtehung des Rechtsgeſchäfts von Anfang bis zu
Ende fortdauern müſſen 213) — ein Satz, zu dem uns ſofort das
Teſtament eine Parallele liefern wird. Und nicht minder kann

212) Die bekannte Regel der L. 161 de R. J. (50. 17).
213) z. B. die Exiſtenz der verkauften Sache; ihr Untergang hebt den
Vertrag auf, L. 8 pr. de peric. (18. 6). Dagegen iſt die Willensänderung
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[160/0176] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. (B. 2 §. 33) iſt ſie keineswegs geboten. Wie ließe ſich auch der Anſpruch rechtfertigen bei Verhältniſſen, die ganz auf die Zukunft geſtellt ſind, derſelben Sicherheit theilhaftig zu werden, die das Recht für diejenigen bietet, welche auf dem realen Boden der Ge- genwart ruhen, worauf die Berechtigung ſich gründen, ſtatt der gegenwärtigen Perſon des Verſprechenden bereits die künftigen Verhältniſſe, bevor ſie noch exiſtiren, in Bande zu ſchlagen? So kann ich alſo mein Geſammturtheil nur dahin abgeben, daß die alte Jurisprudenz im Weſentlichen das völlig Richtige traf, wenn ſie die Dispoſitionen über künftige Verhältniſſe in die Form der bedingten und betagten Obligation verwies. Vom Standpunkt der Technik aus knüpft ſich an die bedingte Obligation ein eigenthümliches Intereſſe, nämlich das einer Er- ſcheinung, zu der uns das alte Recht ſonſt kein Gegenſtück dar- bietet: der ſucceſſiven Entſtehung des Rechtsgeſchäfts. Denn während die betagte Obligation bereits ſofort zur Exiſtenz ge- langt, und der Tag nur ihre Erfüllung hinausſchiebt (ſ. u.), befindet ſich die bedingte bis zum Eintritt der Bedingung in dem Zuſtand des Werdens, der Bildung — ein Zuſtand, den das Recht (ich möchte faſt ſagen: ähnlich wie beim nasciturus!) durch das Verbot aller ſtörenden Eingriffe in den ruhigen Ver- lauf des Entwicklungsproceſſes in Schutz nimmt. 212) Wie beim nasciturus von der Conception bis zur Geburt zieht ſich hier der Entſtehungsproceß des Rechtsgeſchäfts von dem Akt ſeiner Vor- nahme bis zum Eintritt der Bedingung hin, er füllt einen Zeit- raum, keinen bloßen Zeitpunkt. Conſequenterweiſe verlangen daher die römiſchen Juriſten, daß die Erforderniſſe der Mög- lichkeit der Entſtehung des Rechtsgeſchäfts von Anfang bis zu Ende fortdauern müſſen 213) — ein Satz, zu dem uns ſofort das Teſtament eine Parallele liefern wird. Und nicht minder kann 212) Die bekannte Regel der L. 161 de R. J. (50. 17). 213) z. B. die Exiſtenz der verkauften Sache; ihr Untergang hebt den Vertrag auf, L. 8 pr. de peric. (18. 6). Dagegen iſt die Willensänderung

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/176>, abgerufen am 21.11.2024.