Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. nian, um unsern Vergleich mit dem Wechsel weiter fortzuführen,die passive Wechselfähigkeit auf diejenigen Personen beschränkte, welche durch ihr Geschäft und ihre Verbindungen die geeigneten Vermittler des Wechselverkehrs waren: Geldwechsler (argenti distractores) und Handelsleute (alii negotiatores). So ferner die Erscheinung, daß gerade in diesem Verhältniß, für welches die strenge Durchführung des Begriffs der abstracten Obliga- tion allerdings eine Lebensfrage ist, eine Strenge sich zu erhal- ten vermochte, die das römische Recht für den gewöhnlichen Ver- kehr verworfen hatte. Der formelle Charakter der Klage (solen- nibus verbis composita) und ihr an die Valutaclausel erinnern- der Name erhöht die Aehnlichkeit mit unserem modernen Wechsel. In unserer heutigen Sprache ausgedrückt würde darnach der Inhalt der justinianischen Verfügung sich dahin angeben lassen: die passive Wechselfähigkeit ist auf Wechsler und Kaufleute be- schränkt, die Schuldverschreibungen des gewöhnlichen Lebens sollen nicht in die Form von Wechseln gebracht werden. Die beiden bisher betrachteten Verhältnisse: die abstracte In Verhältnissen gemeinschaftlicher Berechtigung und Ver- Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 14
C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55. nian, um unſern Vergleich mit dem Wechſel weiter fortzuführen,die paſſive Wechſelfähigkeit auf diejenigen Perſonen beſchränkte, welche durch ihr Geſchäft und ihre Verbindungen die geeigneten Vermittler des Wechſelverkehrs waren: Geldwechſler (argenti distractores) und Handelsleute (alii negotiatores). So ferner die Erſcheinung, daß gerade in dieſem Verhältniß, für welches die ſtrenge Durchführung des Begriffs der abſtracten Obliga- tion allerdings eine Lebensfrage iſt, eine Strenge ſich zu erhal- ten vermochte, die das römiſche Recht für den gewöhnlichen Ver- kehr verworfen hatte. Der formelle Charakter der Klage (solen- nibus verbis composita) und ihr an die Valutaclauſel erinnern- der Name erhöht die Aehnlichkeit mit unſerem modernen Wechſel. In unſerer heutigen Sprache ausgedrückt würde darnach der Inhalt der juſtinianiſchen Verfügung ſich dahin angeben laſſen: die paſſive Wechſelfähigkeit iſt auf Wechſler und Kaufleute be- ſchränkt, die Schuldverſchreibungen des gewöhnlichen Lebens ſollen nicht in die Form von Wechſeln gebracht werden. Die beiden bisher betrachteten Verhältniſſe: die abſtracte In Verhältniſſen gemeinſchaftlicher Berechtigung und Ver- Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 14
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0225" n="209"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">C.</hi> Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.</fw><lb/> nian, um unſern Vergleich mit dem Wechſel weiter fortzuführen,<lb/> die paſſive Wechſelfähigkeit auf diejenigen Perſonen beſchränkte,<lb/> welche durch ihr Geſchäft und ihre Verbindungen die geeigneten<lb/> Vermittler des Wechſelverkehrs waren: Geldwechſler (<hi rendition="#aq">argenti<lb/> distractores</hi>) und Handelsleute (<hi rendition="#aq">alii negotiatores</hi>). So ferner<lb/> die Erſcheinung, daß gerade in dieſem Verhältniß, für welches<lb/> die ſtrenge Durchführung des Begriffs der abſtracten Obliga-<lb/> tion allerdings eine Lebensfrage iſt, eine Strenge ſich zu erhal-<lb/> ten vermochte, die das römiſche Recht für den gewöhnlichen Ver-<lb/> kehr verworfen hatte. Der formelle Charakter der Klage (<hi rendition="#aq">solen-<lb/> nibus verbis composita</hi>) und ihr an die Valutaclauſel erinnern-<lb/> der Name erhöht die Aehnlichkeit mit unſerem modernen Wechſel.<lb/> In unſerer heutigen Sprache ausgedrückt würde darnach der<lb/> Inhalt der juſtinianiſchen Verfügung ſich dahin angeben laſſen:<lb/> die paſſive Wechſelfähigkeit iſt auf Wechſler und Kaufleute be-<lb/> ſchränkt, die Schuldverſchreibungen des gewöhnlichen Lebens<lb/> ſollen nicht in die Form von Wechſeln gebracht werden.</p><lb/> <p>Die beiden bisher betrachteten Verhältniſſe: die abſtracte<lb/> Eigenthumsübertragung und die abſtracte Obligation enthalten<lb/> die Hauptfälle, in denen der Gedanke der analytiſchen Verein-<lb/> fachung des Thatbeſtandes im ältern Recht zur Verwirklichung<lb/> gelangt, aber keineswegs die einzigen. Es möge mir erlaubt<lb/> ſein, noch einen dritten Fall hervorzuheben, bei dem die Be-<lb/> ziehung zu unſerem Geſichtspunkt ungleich verſteckter iſt.</p><lb/> <p>In Verhältniſſen gemeinſchaftlicher Berechtigung und Ver-<lb/> pflichtung wird die Verfolgung der Rechte und Verbindlichkeiten<lb/> in eben dem Maße erſchwert, als die Zahl der Intereſſenten<lb/> wächſt, doppelt wenn gar der Kreis dieſer Perſonen dem beſtän-<lb/> digen Wechſel ausgeſetzt, oder das Theilverhältniß, in dem ſie an<lb/> den Rechten und Pflichten participiren, ein unſicheres, ſchwan-<lb/> kendes iſt. Für ſie ſelber zwar, wenn ſie klagend auftreten wol-<lb/> len, iſt die Schwierigkeit nicht ſo erheblich, theils weil ſie ſelber<lb/> ihr inneres Verhältniß kennen, theils weil ſie ſich durch einen<lb/> gemeinſamen Stellvertreter vertreten laſſen können. Anders aber<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">III.</hi> 14</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [209/0225]
C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
nian, um unſern Vergleich mit dem Wechſel weiter fortzuführen,
die paſſive Wechſelfähigkeit auf diejenigen Perſonen beſchränkte,
welche durch ihr Geſchäft und ihre Verbindungen die geeigneten
Vermittler des Wechſelverkehrs waren: Geldwechſler (argenti
distractores) und Handelsleute (alii negotiatores). So ferner
die Erſcheinung, daß gerade in dieſem Verhältniß, für welches
die ſtrenge Durchführung des Begriffs der abſtracten Obliga-
tion allerdings eine Lebensfrage iſt, eine Strenge ſich zu erhal-
ten vermochte, die das römiſche Recht für den gewöhnlichen Ver-
kehr verworfen hatte. Der formelle Charakter der Klage (solen-
nibus verbis composita) und ihr an die Valutaclauſel erinnern-
der Name erhöht die Aehnlichkeit mit unſerem modernen Wechſel.
In unſerer heutigen Sprache ausgedrückt würde darnach der
Inhalt der juſtinianiſchen Verfügung ſich dahin angeben laſſen:
die paſſive Wechſelfähigkeit iſt auf Wechſler und Kaufleute be-
ſchränkt, die Schuldverſchreibungen des gewöhnlichen Lebens
ſollen nicht in die Form von Wechſeln gebracht werden.
Die beiden bisher betrachteten Verhältniſſe: die abſtracte
Eigenthumsübertragung und die abſtracte Obligation enthalten
die Hauptfälle, in denen der Gedanke der analytiſchen Verein-
fachung des Thatbeſtandes im ältern Recht zur Verwirklichung
gelangt, aber keineswegs die einzigen. Es möge mir erlaubt
ſein, noch einen dritten Fall hervorzuheben, bei dem die Be-
ziehung zu unſerem Geſichtspunkt ungleich verſteckter iſt.
In Verhältniſſen gemeinſchaftlicher Berechtigung und Ver-
pflichtung wird die Verfolgung der Rechte und Verbindlichkeiten
in eben dem Maße erſchwert, als die Zahl der Intereſſenten
wächſt, doppelt wenn gar der Kreis dieſer Perſonen dem beſtän-
digen Wechſel ausgeſetzt, oder das Theilverhältniß, in dem ſie an
den Rechten und Pflichten participiren, ein unſicheres, ſchwan-
kendes iſt. Für ſie ſelber zwar, wenn ſie klagend auftreten wol-
len, iſt die Schwierigkeit nicht ſo erheblich, theils weil ſie ſelber
ihr inneres Verhältniß kennen, theils weil ſie ſich durch einen
gemeinſamen Stellvertreter vertreten laſſen können. Anders aber
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 14
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |