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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik.
und Regelmäßigkeit die Freiheit und Schönheit hinzufügen und
ihre Linien, statt nach der Richtschnur, in den kühnsten Wendun-
gen und Verschlingungen sich bewegen lassen, ohne Unordnung
zu befürchten.

Versuchen wir es, das Bild der alten juristischen Kunst etwas
genauer zu entwerfen; die speciellere Darstellung der folgenden
Paragraphen wird demselben Farben und Leben geben.

Von den verschiedenen Seiten und Operationen der juristi-
schen Technik, die wir bei unserer allgemeinen Schilderung der-
selben (§. 38) aufgeführt haben, finden wir bei diesem ihrem
ersten Auftreten nur zwei in nachweisbarer, aber um so ausge-
prägterer Gestalt vor: die juristische Analyse und die juristische
Oekonomie (a. a. O. S. 345). Daß gerade sie historisch zuerst
auftreten, hat in ihnen selbst ihren tieferen Grund (§. 49 u. 55),
die Gestalt aber, in der sie es thun, ist bestimmt theils durch die
Zeit, in die diese Thatsache fällt, theils durch ein für die Ent-
wicklung einer jeden Kunst geltendes Gesetz. Wie nach unsern
frühern Untersuchungen (§. 43--48) die Zeit allem, was die ältere
Jurisprudenz schuf, ihren Stempel aufdrückte, nämlich den der
Aeußerlichkeit, so auch ihrer Technik. Diesen Charakter trägt zu-
nächst und vor allem ihre Analyse; unsere heutige Jurisprudenz
und auch die spätere römische, soweit das ererbte Recht nicht im
Wege steht, scheidet auf innerlichem, begrifflichem Wege, aber
das alte Recht scheidet äußerlich, d. h. es hält nicht, wie wir,
die Begriffe, wo sie in einem einzelnen Fall zusammen auftre-
ten, innerlich auseinander, sondern es macht ihr äußeres
Zusammentreffen unmöglich, indem es sie zwingt einfach aufzu-
treten. Dies geschieht einmal durch die Theorie der Rechtsge-
schäfte (§. 53): jedes Rechtsgeschäft ist nur für einen recht-
lichen Zweck bestimmt, und sodann durch die Organisation des
processualischen Verfahrens (§. 50, 51): jeder Proceß behandelt
nur einen einzigen Anspruch, und weder von Seiten des Klä-
gers, noch des Beklagten dürfen Gesichtspunkte eingemischt
werden, die sich nicht unmittelbar auf diesen Anspruch beziehen.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik.
und Regelmäßigkeit die Freiheit und Schönheit hinzufügen und
ihre Linien, ſtatt nach der Richtſchnur, in den kühnſten Wendun-
gen und Verſchlingungen ſich bewegen laſſen, ohne Unordnung
zu befürchten.

Verſuchen wir es, das Bild der alten juriſtiſchen Kunſt etwas
genauer zu entwerfen; die ſpeciellere Darſtellung der folgenden
Paragraphen wird demſelben Farben und Leben geben.

Von den verſchiedenen Seiten und Operationen der juriſti-
ſchen Technik, die wir bei unſerer allgemeinen Schilderung der-
ſelben (§. 38) aufgeführt haben, finden wir bei dieſem ihrem
erſten Auftreten nur zwei in nachweisbarer, aber um ſo ausge-
prägterer Geſtalt vor: die juriſtiſche Analyſe und die juriſtiſche
Oekonomie (a. a. O. S. 345). Daß gerade ſie hiſtoriſch zuerſt
auftreten, hat in ihnen ſelbſt ihren tieferen Grund (§. 49 u. 55),
die Geſtalt aber, in der ſie es thun, iſt beſtimmt theils durch die
Zeit, in die dieſe Thatſache fällt, theils durch ein für die Ent-
wicklung einer jeden Kunſt geltendes Geſetz. Wie nach unſern
frühern Unterſuchungen (§. 43—48) die Zeit allem, was die ältere
Jurisprudenz ſchuf, ihren Stempel aufdrückte, nämlich den der
Aeußerlichkeit, ſo auch ihrer Technik. Dieſen Charakter trägt zu-
nächſt und vor allem ihre Analyſe; unſere heutige Jurisprudenz
und auch die ſpätere römiſche, ſoweit das ererbte Recht nicht im
Wege ſteht, ſcheidet auf innerlichem, begrifflichem Wege, aber
das alte Recht ſcheidet äußerlich, d. h. es hält nicht, wie wir,
die Begriffe, wo ſie in einem einzelnen Fall zuſammen auftre-
ten, innerlich auseinander, ſondern es macht ihr äußeres
Zuſammentreffen unmöglich, indem es ſie zwingt einfach aufzu-
treten. Dies geſchieht einmal durch die Theorie der Rechtsge-
ſchäfte (§. 53): jedes Rechtsgeſchäft iſt nur für einen recht-
lichen Zweck beſtimmt, und ſodann durch die Organiſation des
proceſſualiſchen Verfahrens (§. 50, 51): jeder Proceß behandelt
nur einen einzigen Anſpruch, und weder von Seiten des Klä-
gers, noch des Beklagten dürfen Geſichtspunkte eingemiſcht
werden, die ſich nicht unmittelbar auf dieſen Anſpruch beziehen.

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[8/0024] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. und Regelmäßigkeit die Freiheit und Schönheit hinzufügen und ihre Linien, ſtatt nach der Richtſchnur, in den kühnſten Wendun- gen und Verſchlingungen ſich bewegen laſſen, ohne Unordnung zu befürchten. Verſuchen wir es, das Bild der alten juriſtiſchen Kunſt etwas genauer zu entwerfen; die ſpeciellere Darſtellung der folgenden Paragraphen wird demſelben Farben und Leben geben. Von den verſchiedenen Seiten und Operationen der juriſti- ſchen Technik, die wir bei unſerer allgemeinen Schilderung der- ſelben (§. 38) aufgeführt haben, finden wir bei dieſem ihrem erſten Auftreten nur zwei in nachweisbarer, aber um ſo ausge- prägterer Geſtalt vor: die juriſtiſche Analyſe und die juriſtiſche Oekonomie (a. a. O. S. 345). Daß gerade ſie hiſtoriſch zuerſt auftreten, hat in ihnen ſelbſt ihren tieferen Grund (§. 49 u. 55), die Geſtalt aber, in der ſie es thun, iſt beſtimmt theils durch die Zeit, in die dieſe Thatſache fällt, theils durch ein für die Ent- wicklung einer jeden Kunſt geltendes Geſetz. Wie nach unſern frühern Unterſuchungen (§. 43—48) die Zeit allem, was die ältere Jurisprudenz ſchuf, ihren Stempel aufdrückte, nämlich den der Aeußerlichkeit, ſo auch ihrer Technik. Dieſen Charakter trägt zu- nächſt und vor allem ihre Analyſe; unſere heutige Jurisprudenz und auch die ſpätere römiſche, ſoweit das ererbte Recht nicht im Wege ſteht, ſcheidet auf innerlichem, begrifflichem Wege, aber das alte Recht ſcheidet äußerlich, d. h. es hält nicht, wie wir, die Begriffe, wo ſie in einem einzelnen Fall zuſammen auftre- ten, innerlich auseinander, ſondern es macht ihr äußeres Zuſammentreffen unmöglich, indem es ſie zwingt einfach aufzu- treten. Dies geſchieht einmal durch die Theorie der Rechtsge- ſchäfte (§. 53): jedes Rechtsgeſchäft iſt nur für einen recht- lichen Zweck beſtimmt, und ſodann durch die Organiſation des proceſſualiſchen Verfahrens (§. 50, 51): jeder Proceß behandelt nur einen einzigen Anſpruch, und weder von Seiten des Klä- gers, noch des Beklagten dürfen Geſichtspunkte eingemiſcht werden, die ſich nicht unmittelbar auf dieſen Anſpruch beziehen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/24>, abgerufen am 21.11.2024.