Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. auch ihnen einen Blick zuzuwerfen. Einmal nämlich die That-sache, daß manche von ihnen im Laufe der Zeit als Schein- geschäfte, d. h. als vom Recht und von der Jurisprudenz adoptirte Geschäftsformen (§. 58) eine gewohnheitsrecht- liche Geltung erlangten, und sodann der Umstand, daß sie, in- dem sie das Recht und die Jurisprudenz in die Lage versetzten, ihnen entgegenzutreten, dadurch die Veranlassung und Quelle mancher nur von diesem Gesichtspunkt aus zu erklärender Rechts- sätze wurden. Die römische Schlauheit war in der Entdeckung solcher Schleichwege ungemein erfinderisch, kaum war ihr der eine abgeschnitten, so war bald ein anderer wiederum da, kaum aus diesem Schlupfwinkel durch das Gesetz vertrieben, hatte sie sofort wiederum einen andern in Besitz genommen -- ein Schau- spiel, das unwillkührlich das Bild eines in seinem Bau um- stellten und angegriffenen Fuchses hervorruft. Wem es gelänge, diesen Kampf bis in seine Einzelnheiten zu verfolgen und zu schildern, dem römischen Fuchse in alle seine gewundenen Gänge und Wege nachzuschleichen, würde damit ein fast noch leeres Blatt römischer Rechtsgeschichte beschrieben haben, das uns nothwendigerweise wichtige Aufschlüsse geben, uns den Sinn so mancher Rechtssätze enthüllen würde, die für uns, so lange wir gewohnt sind, den Zugang zu ihnen, statt unter der Erde, auf ebnem Boden oder wohl gar mit Hülfe des Luftballons 338) von oben zu suchen, ewige Räthsel bleiben werden. Ich hatte mir vorgenommen, an dieser Stelle das Material, das ich mir für diesen Zweck gesammelt habe, vollständig zu verwerthen, dasselbe ist jedoch so angewachsen, und der Versuch der Ver- arbeitung desselben hat mich so sehr in Einzelnheiten und ins Weite geführt, daß ich Anstand nehme, ihn hier einzufügen und mich lieber auf eine kurze Skizze beschränke. 338) Ein celebres Beispiel einer solchen Luftballonserklärung in einem
Fall, in dem der Zugang allein unter der Erde zu suchen war, liefert in meinen Augen der oben S. 141 besprochene Satz: nemo pro parte testatus u. s. w. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. auch ihnen einen Blick zuzuwerfen. Einmal nämlich die That-ſache, daß manche von ihnen im Laufe der Zeit als Schein- geſchäfte, d. h. als vom Recht und von der Jurisprudenz adoptirte Geſchäftsformen (§. 58) eine gewohnheitsrecht- liche Geltung erlangten, und ſodann der Umſtand, daß ſie, in- dem ſie das Recht und die Jurisprudenz in die Lage verſetzten, ihnen entgegenzutreten, dadurch die Veranlaſſung und Quelle mancher nur von dieſem Geſichtspunkt aus zu erklärender Rechts- ſätze wurden. Die römiſche Schlauheit war in der Entdeckung ſolcher Schleichwege ungemein erfinderiſch, kaum war ihr der eine abgeſchnitten, ſo war bald ein anderer wiederum da, kaum aus dieſem Schlupfwinkel durch das Geſetz vertrieben, hatte ſie ſofort wiederum einen andern in Beſitz genommen — ein Schau- ſpiel, das unwillkührlich das Bild eines in ſeinem Bau um- ſtellten und angegriffenen Fuchſes hervorruft. Wem es gelänge, dieſen Kampf bis in ſeine Einzelnheiten zu verfolgen und zu ſchildern, dem römiſchen Fuchſe in alle ſeine gewundenen Gänge und Wege nachzuſchleichen, würde damit ein faſt noch leeres Blatt römiſcher Rechtsgeſchichte beſchrieben haben, das uns nothwendigerweiſe wichtige Aufſchlüſſe geben, uns den Sinn ſo mancher Rechtsſätze enthüllen würde, die für uns, ſo lange wir gewohnt ſind, den Zugang zu ihnen, ſtatt unter der Erde, auf ebnem Boden oder wohl gar mit Hülfe des Luftballons 338) von oben zu ſuchen, ewige Räthſel bleiben werden. Ich hatte mir vorgenommen, an dieſer Stelle das Material, das ich mir für dieſen Zweck geſammelt habe, vollſtändig zu verwerthen, daſſelbe iſt jedoch ſo angewachſen, und der Verſuch der Ver- arbeitung deſſelben hat mich ſo ſehr in Einzelnheiten und ins Weite geführt, daß ich Anſtand nehme, ihn hier einzufügen und mich lieber auf eine kurze Skizze beſchränke. 338) Ein celebres Beiſpiel einer ſolchen Luftballonserklärung in einem
Fall, in dem der Zugang allein unter der Erde zu ſuchen war, liefert in meinen Augen der oben S. 141 beſprochene Satz: nemo pro parte testatus u. ſ. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0264" n="248"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III. B</hi>. Die juriſtiſche Oekonomie.</fw><lb/> auch ihnen einen Blick zuzuwerfen. Einmal nämlich die That-<lb/> ſache, daß manche von ihnen im Laufe der Zeit als <hi rendition="#g">Schein-<lb/> geſchäfte</hi>, d. h. als vom Recht und von der Jurisprudenz<lb/> adoptirte <hi rendition="#g">Geſchäftsformen</hi> (§. 58) eine gewohnheitsrecht-<lb/> liche Geltung erlangten, und ſodann der Umſtand, daß ſie, in-<lb/> dem ſie das Recht und die Jurisprudenz in die Lage verſetzten,<lb/> ihnen entgegenzutreten, dadurch die Veranlaſſung und Quelle<lb/> mancher nur von dieſem Geſichtspunkt aus zu erklärender Rechts-<lb/> ſätze wurden. Die römiſche Schlauheit war in der Entdeckung<lb/> ſolcher Schleichwege ungemein erfinderiſch, kaum war ihr der<lb/> eine abgeſchnitten, ſo war bald ein anderer wiederum da, kaum<lb/> aus dieſem Schlupfwinkel durch das Geſetz vertrieben, hatte ſie<lb/> ſofort wiederum einen andern in Beſitz genommen — ein Schau-<lb/> ſpiel, das unwillkührlich das Bild eines in ſeinem Bau um-<lb/> ſtellten und angegriffenen Fuchſes hervorruft. Wem es gelänge,<lb/> dieſen Kampf bis in ſeine Einzelnheiten zu verfolgen und zu<lb/> ſchildern, dem römiſchen Fuchſe in alle ſeine gewundenen<lb/> Gänge und Wege nachzuſchleichen, würde damit ein faſt noch<lb/> leeres Blatt römiſcher Rechtsgeſchichte beſchrieben haben, das<lb/> uns nothwendigerweiſe wichtige Aufſchlüſſe geben, uns den Sinn<lb/> ſo mancher Rechtsſätze enthüllen würde, die für uns, ſo lange<lb/> wir gewohnt ſind, den Zugang zu ihnen, ſtatt <hi rendition="#g">unter</hi> der Erde,<lb/> auf ebnem Boden oder wohl gar mit Hülfe des Luftballons <note place="foot" n="338)">Ein celebres Beiſpiel einer ſolchen Luftballonserklärung in einem<lb/> Fall, in dem der Zugang allein <hi rendition="#g">unter</hi> der Erde zu ſuchen war, liefert in<lb/> meinen Augen der oben S. 141 beſprochene Satz: <hi rendition="#aq">nemo pro parte testatus</hi><lb/> u. ſ. w.</note><lb/> von oben zu ſuchen, ewige Räthſel bleiben werden. Ich hatte<lb/> mir vorgenommen, an dieſer Stelle das Material, das ich mir<lb/> für dieſen Zweck geſammelt habe, vollſtändig zu verwerthen,<lb/> daſſelbe iſt jedoch ſo angewachſen, und der Verſuch der Ver-<lb/> arbeitung deſſelben hat mich ſo ſehr in Einzelnheiten und ins<lb/> Weite geführt, daß ich Anſtand nehme, ihn hier einzufügen und<lb/> mich lieber auf eine kurze Skizze beſchränke.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0264]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
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ſache, daß manche von ihnen im Laufe der Zeit als Schein-
geſchäfte, d. h. als vom Recht und von der Jurisprudenz
adoptirte Geſchäftsformen (§. 58) eine gewohnheitsrecht-
liche Geltung erlangten, und ſodann der Umſtand, daß ſie, in-
dem ſie das Recht und die Jurisprudenz in die Lage verſetzten,
ihnen entgegenzutreten, dadurch die Veranlaſſung und Quelle
mancher nur von dieſem Geſichtspunkt aus zu erklärender Rechts-
ſätze wurden. Die römiſche Schlauheit war in der Entdeckung
ſolcher Schleichwege ungemein erfinderiſch, kaum war ihr der
eine abgeſchnitten, ſo war bald ein anderer wiederum da, kaum
aus dieſem Schlupfwinkel durch das Geſetz vertrieben, hatte ſie
ſofort wiederum einen andern in Beſitz genommen — ein Schau-
ſpiel, das unwillkührlich das Bild eines in ſeinem Bau um-
ſtellten und angegriffenen Fuchſes hervorruft. Wem es gelänge,
dieſen Kampf bis in ſeine Einzelnheiten zu verfolgen und zu
ſchildern, dem römiſchen Fuchſe in alle ſeine gewundenen
Gänge und Wege nachzuſchleichen, würde damit ein faſt noch
leeres Blatt römiſcher Rechtsgeſchichte beſchrieben haben, das
uns nothwendigerweiſe wichtige Aufſchlüſſe geben, uns den Sinn
ſo mancher Rechtsſätze enthüllen würde, die für uns, ſo lange
wir gewohnt ſind, den Zugang zu ihnen, ſtatt unter der Erde,
auf ebnem Boden oder wohl gar mit Hülfe des Luftballons 338)
von oben zu ſuchen, ewige Räthſel bleiben werden. Ich hatte
mir vorgenommen, an dieſer Stelle das Material, das ich mir
für dieſen Zweck geſammelt habe, vollſtändig zu verwerthen,
daſſelbe iſt jedoch ſo angewachſen, und der Verſuch der Ver-
arbeitung deſſelben hat mich ſo ſehr in Einzelnheiten und ins
Weite geführt, daß ich Anſtand nehme, ihn hier einzufügen und
mich lieber auf eine kurze Skizze beſchränke.
338) Ein celebres Beiſpiel einer ſolchen Luftballonserklärung in einem
Fall, in dem der Zugang allein unter der Erde zu ſuchen war, liefert in
meinen Augen der oben S. 141 beſprochene Satz: nemo pro parte testatus
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