Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. Ehre, das man nicht in den Staub gezogen, um irgend einenschnöden Zweck damit zu erreichen, und ohne es zu wissen, mußte oft selbst die Obrigkeit ihre Hand dazu bieten, die Verfolgung illegaler Zwecke durch das Urtheil in einem abgekarteten Proceß zu fördern. 340) Den äußersten Tiefegrad erreichte dieser Unfug allerdings erst in der Zeit der sittlichen Versunkenheit und Ver- wilderung, als alle Bande der Zucht und Schaam zerrissen waren. Damals schrak die entartete Damenwelt der höheren Kreise eben- so wenig davor zurück, sich durch Anmeldung beim Aedilen unter die Zahl öffentlicher Dirnen einen Freibrief von den Unzucht- gesetzen, als die ihrer würdige männliche Jugend vor der Schande der Infamie, um sich dadurch den Zutritt zur Bühne zu er- kaufen. 341) Aber selbst die gute alte Zeit ist von dem Vor- wurf, das erste Beispiel zu einer solchen Versündigung gegeben zu haben, nicht frei zu sprechen, und die Jurisprudenz trägt daran ebenfalls einen Antheil der Schuld. Es ist dies ein für die ganze Weise der Römer und damit auch der römischen Juristen höchst bezeichnender Punkt. Ueber dem strengen Festhalten des juristischen Moments haben sie, ohne es zu wissen und wollen, das ethische preisgegeben. Die Benutzung der Ehe als bloßer Scheinehe für die Verfolgung gewisser legislativ nicht zu be- anstandender Zwecke (§. 58) mochte immerhin vom einseitigen Standpunkt juristischer Technik sich noch so sehr empfehlen, eine Jurisprudenz, die sich auf den höhern legislativ-politischen und ethischen Standpunkt gestellt hätte, würde nie ihre Zustimmung 340) Hier ist natürlich nicht an die in jure cessio gedacht, bei welcher der Zweck ja ein erlaubter und der Obrigkeit bekannter, sondern an solche Fälle, wo dies nicht der Fall war z. B. Anstellung einer act. famosa in der Absicht, damit der Beklagte infam und dadurch von gewissen Beschränkungen frei werde. Sueton. Tiber. c. 35: quo minus in opera scenae arenaeque edenda senatusconsulto tenerentur, famosi judicii notam sponte subi- bant; Anstellung des judicium liberale, damit der Freigelassene die Rechte des Freigebornen erhalte, L. 1, 5 de coll. deteg. (40. 16), Suet. Aug. c. 74: asserto in ingenuitatem. 341) Ueber beides das Citat der vorigen Note von Sueton.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. Ehre, das man nicht in den Staub gezogen, um irgend einenſchnöden Zweck damit zu erreichen, und ohne es zu wiſſen, mußte oft ſelbſt die Obrigkeit ihre Hand dazu bieten, die Verfolgung illegaler Zwecke durch das Urtheil in einem abgekarteten Proceß zu fördern. 340) Den äußerſten Tiefegrad erreichte dieſer Unfug allerdings erſt in der Zeit der ſittlichen Verſunkenheit und Ver- wilderung, als alle Bande der Zucht und Schaam zerriſſen waren. Damals ſchrak die entartete Damenwelt der höheren Kreiſe eben- ſo wenig davor zurück, ſich durch Anmeldung beim Aedilen unter die Zahl öffentlicher Dirnen einen Freibrief von den Unzucht- geſetzen, als die ihrer würdige männliche Jugend vor der Schande der Infamie, um ſich dadurch den Zutritt zur Bühne zu er- kaufen. 341) Aber ſelbſt die gute alte Zeit iſt von dem Vor- wurf, das erſte Beiſpiel zu einer ſolchen Verſündigung gegeben zu haben, nicht frei zu ſprechen, und die Jurisprudenz trägt daran ebenfalls einen Antheil der Schuld. Es iſt dies ein für die ganze Weiſe der Römer und damit auch der römiſchen Juriſten höchſt bezeichnender Punkt. Ueber dem ſtrengen Feſthalten des juriſtiſchen Moments haben ſie, ohne es zu wiſſen und wollen, das ethiſche preisgegeben. Die Benutzung der Ehe als bloßer Scheinehe für die Verfolgung gewiſſer legislativ nicht zu be- anſtandender Zwecke (§. 58) mochte immerhin vom einſeitigen Standpunkt juriſtiſcher Technik ſich noch ſo ſehr empfehlen, eine Jurisprudenz, die ſich auf den höhern legislativ-politiſchen und ethiſchen Standpunkt geſtellt hätte, würde nie ihre Zuſtimmung 340) Hier iſt natürlich nicht an die in jure cessio gedacht, bei welcher der Zweck ja ein erlaubter und der Obrigkeit bekannter, ſondern an ſolche Fälle, wo dies nicht der Fall war z. B. Anſtellung einer act. famosa in der Abſicht, damit der Beklagte infam und dadurch von gewiſſen Beſchränkungen frei werde. Sueton. Tiber. c. 35: quo minus in opera scenae arenaeque edenda senatusconsulto tenerentur, famosi judicii notam sponte subi- bant; Anſtellung des judicium liberale, damit der Freigelaſſene die Rechte des Freigebornen erhalte, L. 1, 5 de coll. deteg. (40. 16), Suet. Aug. c. 74: asserto in ingenuitatem. 341) Ueber beides das Citat der vorigen Note von Sueton.
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Ehre, das man nicht in den Staub gezogen, um irgend einen
ſchnöden Zweck damit zu erreichen, und ohne es zu wiſſen, mußte
oft ſelbſt die Obrigkeit ihre Hand dazu bieten, die Verfolgung
illegaler Zwecke durch das Urtheil in einem abgekarteten Proceß
zu fördern. 340) Den äußerſten Tiefegrad erreichte dieſer Unfug
allerdings erſt in der Zeit der ſittlichen Verſunkenheit und Ver-
wilderung, als alle Bande der Zucht und Schaam zerriſſen waren.
Damals ſchrak die entartete Damenwelt der höheren Kreiſe eben-
ſo wenig davor zurück, ſich durch Anmeldung beim Aedilen unter
die Zahl öffentlicher Dirnen einen Freibrief von den Unzucht-
geſetzen, als die ihrer würdige männliche Jugend vor der Schande
der Infamie, um ſich dadurch den Zutritt zur Bühne zu er-
kaufen. 341) Aber ſelbſt die gute alte Zeit iſt von dem Vor-
wurf, das erſte Beiſpiel zu einer ſolchen Verſündigung gegeben
zu haben, nicht frei zu ſprechen, und die Jurisprudenz trägt
daran ebenfalls einen Antheil der Schuld. Es iſt dies ein für
die ganze Weiſe der Römer und damit auch der römiſchen Juriſten
höchſt bezeichnender Punkt. Ueber dem ſtrengen Feſthalten des
juriſtiſchen Moments haben ſie, ohne es zu wiſſen und wollen,
das ethiſche preisgegeben. Die Benutzung der Ehe als bloßer
Scheinehe für die Verfolgung gewiſſer legislativ nicht zu be-
anſtandender Zwecke (§. 58) mochte immerhin vom einſeitigen
Standpunkt juriſtiſcher Technik ſich noch ſo ſehr empfehlen, eine
Jurisprudenz, die ſich auf den höhern legislativ-politiſchen und
ethiſchen Standpunkt geſtellt hätte, würde nie ihre Zuſtimmung
340) Hier iſt natürlich nicht an die in jure cessio gedacht, bei welcher
der Zweck ja ein erlaubter und der Obrigkeit bekannter, ſondern an ſolche
Fälle, wo dies nicht der Fall war z. B. Anſtellung einer act. famosa in der
Abſicht, damit der Beklagte infam und dadurch von gewiſſen Beſchränkungen
frei werde. Sueton. Tiber. c. 35: quo minus in opera scenae arenaeque
edenda senatusconsulto tenerentur, famosi judicii notam sponte subi-
bant; Anſtellung des judicium liberale, damit der Freigelaſſene die Rechte
des Freigebornen erhalte, L. 1, 5 de coll. deteg. (40. 16), Suet. Aug. c.
74: asserto in ingenuitatem.
341) Ueber beides das Citat der vorigen Note von Sueton.
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