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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.
war erst nach der Antretung möglich, eine in jure cessio der-
selben nur vor der Antretung und auch dies nur bei der here-
ditas legitima
.

Doch genug der Belege für eine Behauptung, die Jedem,
der die römischen Juristen kennt, kaum eines Beweises bedürftig
erscheinen wird. So wenig wie sie sich bei der Interpretation der
Gesetze blindlings dem Buchstaben gefangen gaben, unbekümmert
um das praktische Resultat, das zu Tage kam (Bd. 2 S. 487),
so wenig bei dem Scheingeschäfte der leidigen Consequenz. Wo
dieselbe zu Resultaten führte, die, obschon durch den Zweck des
Scheingeschäfts nicht gerade geboten, doch mit demselben wenig-
stens nicht in Widerspruch traten, vergönnten sie ihr freien
Spielraum; über diese Gränze hinaus (Bd. 2 S. 560--562)
versperrten sie ihr den Weg. Eben daß die Juristen dies
thaten, daß sie die Theorie des Scheingeschäfts in der Weise
gestalteten, wie sie dem Zweck desselben entsprach, daß es also
nicht erst Sache der Partheien war, alle unbequemen Wirkun-
gen, die das originäre Geschäft in seiner wirklichen Anwendung
erzeugte, auf allerhand Umwegen zu beseitigen -- eben dieser
Umstand enthält in meinen Augen die eigentliche Signatur des
Scheingeschäfts und damit zugleich das specifische Merkmal,
welches die Scheingeschäfte des Rechts von den Schleichwegen
des Lebens den simulirten Geschäften unterscheidet.400) Th.

400) Wenn Th. Mommsen Röm. Forschungen Aufl. 2 S. 408 die
Behauptung aufstellt, daß die Partheien "in dem einen wie in dem andern Fall
ganz unter denselben Rechtssatzungen gestanden hätten, aber bei den denaturir-
ten Geschäften sich auf diesem oder jenem Wege denjenigen thatsächlichen
Consequenzen entzogen hätten, um derentwillen jene Satzungen aufgestellt
worden seien oder daß beide Arten von Geschäften sich nicht durch die Ver-
schiedenheit der Rechts folgen, sondern lediglich der thatsächlichen Folgen
unterschieden hätten", so geht aus der Limitation, die er sofort hinzufügt:
"daß bei denjenigen Scheinformen, die das Recht tolerirt und weiter ent-
wickelt, allmählig auch die rechtlichen Consequenzen mehr oder minder alterirt
worden seien", hervor, daß er der im Text entwickelten Auffassung nicht so fern
steht, als es jenen Aeußerungen nach scheinen möchte. Auch L. Lange, der

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
war erſt nach der Antretung möglich, eine in jure cessio der-
ſelben nur vor der Antretung und auch dies nur bei der here-
ditas legitima
.

Doch genug der Belege für eine Behauptung, die Jedem,
der die römiſchen Juriſten kennt, kaum eines Beweiſes bedürftig
erſcheinen wird. So wenig wie ſie ſich bei der Interpretation der
Geſetze blindlings dem Buchſtaben gefangen gaben, unbekümmert
um das praktiſche Reſultat, das zu Tage kam (Bd. 2 S. 487),
ſo wenig bei dem Scheingeſchäfte der leidigen Conſequenz. Wo
dieſelbe zu Reſultaten führte, die, obſchon durch den Zweck des
Scheingeſchäfts nicht gerade geboten, doch mit demſelben wenig-
ſtens nicht in Widerſpruch traten, vergönnten ſie ihr freien
Spielraum; über dieſe Gränze hinaus (Bd. 2 S. 560—562)
verſperrten ſie ihr den Weg. Eben daß die Juriſten dies
thaten, daß ſie die Theorie des Scheingeſchäfts in der Weiſe
geſtalteten, wie ſie dem Zweck deſſelben entſprach, daß es alſo
nicht erſt Sache der Partheien war, alle unbequemen Wirkun-
gen, die das originäre Geſchäft in ſeiner wirklichen Anwendung
erzeugte, auf allerhand Umwegen zu beſeitigen — eben dieſer
Umſtand enthält in meinen Augen die eigentliche Signatur des
Scheingeſchäfts und damit zugleich das ſpecifiſche Merkmal,
welches die Scheingeſchäfte des Rechts von den Schleichwegen
des Lebens den ſimulirten Geſchäften unterſcheidet.400) Th.

400) Wenn Th. Mommſen Röm. Forſchungen Aufl. 2 S. 408 die
Behauptung aufſtellt, daß die Partheien „in dem einen wie in dem andern Fall
ganz unter denſelben Rechtsſatzungen geſtanden hätten, aber bei den denaturir-
ten Geſchäften ſich auf dieſem oder jenem Wege denjenigen thatſächlichen
Conſequenzen entzogen hätten, um derentwillen jene Satzungen aufgeſtellt
worden ſeien oder daß beide Arten von Geſchäften ſich nicht durch die Ver-
ſchiedenheit der Rechts folgen, ſondern lediglich der thatſächlichen Folgen
unterſchieden hätten“, ſo geht aus der Limitation, die er ſofort hinzufügt:
„daß bei denjenigen Scheinformen, die das Recht tolerirt und weiter ent-
wickelt, allmählig auch die rechtlichen Conſequenzen mehr oder minder alterirt
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[278/0294] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. war erſt nach der Antretung möglich, eine in jure cessio der- ſelben nur vor der Antretung und auch dies nur bei der here- ditas legitima. Doch genug der Belege für eine Behauptung, die Jedem, der die römiſchen Juriſten kennt, kaum eines Beweiſes bedürftig erſcheinen wird. So wenig wie ſie ſich bei der Interpretation der Geſetze blindlings dem Buchſtaben gefangen gaben, unbekümmert um das praktiſche Reſultat, das zu Tage kam (Bd. 2 S. 487), ſo wenig bei dem Scheingeſchäfte der leidigen Conſequenz. Wo dieſelbe zu Reſultaten führte, die, obſchon durch den Zweck des Scheingeſchäfts nicht gerade geboten, doch mit demſelben wenig- ſtens nicht in Widerſpruch traten, vergönnten ſie ihr freien Spielraum; über dieſe Gränze hinaus (Bd. 2 S. 560—562) verſperrten ſie ihr den Weg. Eben daß die Juriſten dies thaten, daß ſie die Theorie des Scheingeſchäfts in der Weiſe geſtalteten, wie ſie dem Zweck deſſelben entſprach, daß es alſo nicht erſt Sache der Partheien war, alle unbequemen Wirkun- gen, die das originäre Geſchäft in ſeiner wirklichen Anwendung erzeugte, auf allerhand Umwegen zu beſeitigen — eben dieſer Umſtand enthält in meinen Augen die eigentliche Signatur des Scheingeſchäfts und damit zugleich das ſpecifiſche Merkmal, welches die Scheingeſchäfte des Rechts von den Schleichwegen des Lebens den ſimulirten Geſchäften unterſcheidet. 400) Th. 400) Wenn Th. Mommſen Röm. Forſchungen Aufl. 2 S. 408 die Behauptung aufſtellt, daß die Partheien „in dem einen wie in dem andern Fall ganz unter denſelben Rechtsſatzungen geſtanden hätten, aber bei den denaturir- ten Geſchäften ſich auf dieſem oder jenem Wege denjenigen thatſächlichen Conſequenzen entzogen hätten, um derentwillen jene Satzungen aufgeſtellt worden ſeien oder daß beide Arten von Geſchäften ſich nicht durch die Ver- ſchiedenheit der Rechts folgen, ſondern lediglich der thatſächlichen Folgen unterſchieden hätten“, ſo geht aus der Limitation, die er ſofort hinzufügt: „daß bei denjenigen Scheinformen, die das Recht tolerirt und weiter ent- wickelt, allmählig auch die rechtlichen Conſequenzen mehr oder minder alterirt worden ſeien“, hervor, daß er der im Text entwickelten Auffaſſung nicht ſo fern ſteht, als es jenen Aeußerungen nach ſcheinen möchte. Auch L. Lange, der

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/294>, abgerufen am 21.11.2024.