Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. auf ihre Vorgänger, denn die bei weitem meisten Eintheilungenund Begriffsspaltungen, welche in den Schriften der ersteren vorkommen, stammten aus alter Zeit und gehörten nicht sowohl der Schule, als dem Recht an, sie waren, wie z. B. vorzugs- weise die Klagen (§. 51), praktische Potenzen, nicht theo- retische Ideen. Was aber Cicero'n hier als Gebrechen der juri- stischen Wissenschaft seiner Zeit erschien, war nichts, als der analytisch-juristische Geist des römischen Rechts, und nur indem er die totale Verschiedenheit des Gesichtspunktes, von dem der Philosoph und von dem der Jurist sich bei seiner Begriffszersetzung leiten zu lassen hat, übersah, konnte er dahin gelangen, der Jurisprudenz zum Vorwurf anzurechnen, was das Lebensgesetz des Rechts ausmacht und ihr zur ewigen, unver- gänglichen Ehre gereicht. Berechtigt wäre der Tadel nur dann gewesen, wenn die Jurisprudenz bei ihren Eintheilungen den praktischen Zweck außer Augen gelassen und sich von einer sol- chen formal-dialektischen Scheidewuth hätte hinreißen lassen, wie sie in Zeiten wissenschaftlicher Impotenz als Zerrbild wah- ren Denkens wohl aufzutreten pflegt. Das alte Recht, welches uns sonst ein so reiches Material für die Zeichnung der analy- tischen Methode an die Hand gibt, bietet für diesen Vorwurf auch nicht den geringsten Anhalt dar, im Gegentheil alle seine Begriffe, so fein gespalten sie auch sein mögen, finden in einem praktischen Motiv ihre Rechtfertigung, wie dies der Verlauf der Darstellung lehren wird (§. 51). Daß gerade Cicero's Zeitgenossen in der angegebenen Richtung viel gethan, haben wir allen Grund zu bezweifeln. Zwar der Stoff hatte sich zu ihrer Zeit mehr angehäuft, als einige Jahrhunderte vorher, allein sie selber hatten gewiß nur das wenigste dazu gethan, denn zu ihrer Zeit war bereits der Umschwung eingetreten, wel- cher, indem er der Wissenschaft andere Ziele, Ideen und Wege eröffnete, der ausschließlichen oder auch nur vorherrschenden Richtung der wissenschaftlichen Kräfte auf die Analyse ein Ende machte. Gerade die sonstige Gedankenarmuth und Beschränkt- Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. auf ihre Vorgänger, denn die bei weitem meiſten Eintheilungenund Begriffsſpaltungen, welche in den Schriften der erſteren vorkommen, ſtammten aus alter Zeit und gehörten nicht ſowohl der Schule, als dem Recht an, ſie waren, wie z. B. vorzugs- weiſe die Klagen (§. 51), praktiſche Potenzen, nicht theo- retiſche Ideen. Was aber Cicero’n hier als Gebrechen der juri- ſtiſchen Wiſſenſchaft ſeiner Zeit erſchien, war nichts, als der analytiſch-juriſtiſche Geiſt des römiſchen Rechts, und nur indem er die totale Verſchiedenheit des Geſichtspunktes, von dem der Philoſoph und von dem der Juriſt ſich bei ſeiner Begriffszerſetzung leiten zu laſſen hat, überſah, konnte er dahin gelangen, der Jurisprudenz zum Vorwurf anzurechnen, was das Lebensgeſetz des Rechts ausmacht und ihr zur ewigen, unver- gänglichen Ehre gereicht. Berechtigt wäre der Tadel nur dann geweſen, wenn die Jurisprudenz bei ihren Eintheilungen den praktiſchen Zweck außer Augen gelaſſen und ſich von einer ſol- chen formal-dialektiſchen Scheidewuth hätte hinreißen laſſen, wie ſie in Zeiten wiſſenſchaftlicher Impotenz als Zerrbild wah- ren Denkens wohl aufzutreten pflegt. Das alte Recht, welches uns ſonſt ein ſo reiches Material für die Zeichnung der analy- tiſchen Methode an die Hand gibt, bietet für dieſen Vorwurf auch nicht den geringſten Anhalt dar, im Gegentheil alle ſeine Begriffe, ſo fein geſpalten ſie auch ſein mögen, finden in einem praktiſchen Motiv ihre Rechtfertigung, wie dies der Verlauf der Darſtellung lehren wird (§. 51). Daß gerade Cicero’s Zeitgenoſſen in der angegebenen Richtung viel gethan, haben wir allen Grund zu bezweifeln. Zwar der Stoff hatte ſich zu ihrer Zeit mehr angehäuft, als einige Jahrhunderte vorher, allein ſie ſelber hatten gewiß nur das wenigſte dazu gethan, denn zu ihrer Zeit war bereits der Umſchwung eingetreten, wel- cher, indem er der Wiſſenſchaft andere Ziele, Ideen und Wege eröffnete, der ausſchließlichen oder auch nur vorherrſchenden Richtung der wiſſenſchaftlichen Kräfte auf die Analyſe ein Ende machte. Gerade die ſonſtige Gedankenarmuth und Beſchränkt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0030" n="14"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/> auf ihre Vorgänger, denn die bei weitem meiſten Eintheilungen<lb/> und Begriffsſpaltungen, welche in den Schriften der erſteren<lb/> vorkommen, ſtammten aus alter Zeit und gehörten nicht ſowohl<lb/> der Schule, als dem Recht an, ſie waren, wie z. 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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
auf ihre Vorgänger, denn die bei weitem meiſten Eintheilungen
und Begriffsſpaltungen, welche in den Schriften der erſteren
vorkommen, ſtammten aus alter Zeit und gehörten nicht ſowohl
der Schule, als dem Recht an, ſie waren, wie z. B. vorzugs-
weiſe die Klagen (§. 51), praktiſche Potenzen, nicht theo-
retiſche Ideen. Was aber Cicero’n hier als Gebrechen der juri-
ſtiſchen Wiſſenſchaft ſeiner Zeit erſchien, war nichts, als der
analytiſch-juriſtiſche Geiſt des römiſchen Rechts,
und nur indem er die totale Verſchiedenheit des Geſichtspunktes,
von dem der Philoſoph und von dem der Juriſt ſich bei ſeiner
Begriffszerſetzung leiten zu laſſen hat, überſah, konnte er dahin
gelangen, der Jurisprudenz zum Vorwurf anzurechnen, was das
Lebensgeſetz des Rechts ausmacht und ihr zur ewigen, unver-
gänglichen Ehre gereicht. Berechtigt wäre der Tadel nur dann
geweſen, wenn die Jurisprudenz bei ihren Eintheilungen den
praktiſchen Zweck außer Augen gelaſſen und ſich von einer ſol-
chen formal-dialektiſchen Scheidewuth hätte hinreißen laſſen,
wie ſie in Zeiten wiſſenſchaftlicher Impotenz als Zerrbild wah-
ren Denkens wohl aufzutreten pflegt. Das alte Recht, welches
uns ſonſt ein ſo reiches Material für die Zeichnung der analy-
tiſchen Methode an die Hand gibt, bietet für dieſen Vorwurf
auch nicht den geringſten Anhalt dar, im Gegentheil alle ſeine
Begriffe, ſo fein geſpalten ſie auch ſein mögen, finden in einem
praktiſchen Motiv ihre Rechtfertigung, wie dies der Verlauf
der Darſtellung lehren wird (§. 51). Daß gerade Cicero’s
Zeitgenoſſen in der angegebenen Richtung viel gethan, haben
wir allen Grund zu bezweifeln. Zwar der Stoff hatte ſich zu
ihrer Zeit mehr angehäuft, als einige Jahrhunderte vorher,
allein ſie ſelber hatten gewiß nur das wenigſte dazu gethan,
denn zu ihrer Zeit war bereits der Umſchwung eingetreten, wel-
cher, indem er der Wiſſenſchaft andere Ziele, Ideen und Wege
eröffnete, der ausſchließlichen oder auch nur vorherrſchenden
Richtung der wiſſenſchaftlichen Kräfte auf die Analyſe ein Ende
machte. Gerade die ſonſtige Gedankenarmuth und Beſchränkt-
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