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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte.
die Antretung der Erbschaft unter der Rechtswohlthat des Inven-
tars mit einem Federstrich die Idee der erbrechtlichen Succes-
sion in einer Weise alterirt, gegen die hunderte von sonstigen
Reformen nicht in Betracht kommen. Der Begriff des Erben,
der (von dem besondern Recht der Soldaten abgesehen) ein
Jahrtausend lang unverändert derselbe geblieben war, ist damit
ein völlig anderer geworden. Für die Geschichte des Universal-
fideicommisses machten in praktischer Beziehung das SC. Trebel-
lianum
und Pegasianum in gleicher Weise Epoche, aber für die
begriffliche Entwicklung dieses Instituts hat letzteres gar keine
Bedeutung, das Universalfideicommiß als selbständiger erbrecht-
licher Begriff verdankt seinen Ursprung lediglich dem ersteren.

Wie nun? Sind die Begriffe in Wirklichkeit noch dieselben,
nachdem sie eine solche Umgestaltung erfahren haben? Und ver-
ändern sie sich nicht täglich unter unsern Augen? Ist denn der
Begriff der römischen Obligation heutzutage noch derselbe, wie
zur Zeit der klassischen römischen Juristen? Man denke an die
Papiere auf den Innehaber, die Reallasten, die Auslobungen,
um sich von dem gewaltigen Umschwung zu überzeugen, der mit
diesem Begriff vor sich gegangen. Und ähnliche Erscheinungen
wiederholen sich auf allen Gebieten. Wer kann unsere heutigen
Hypothekenbriefe und Handfesten juristisch begreifen, wenn er
an dem römischen Begriff des Pfandrechts als eines Rechts an
fremder Sache festhält, wie ließe sich die Uebertragung der
Papiere auf den Inhaber unter den römischen Begriff der Ces-
sion bringen?

Kurz die juristischen Grundbegriffe verändern sich im Lauf
der Zeit eben so gut, wie die Rechtssätze, und sie müssen es,
denn sie sind ja keine bloßen logischen Kategorien, sondern die
Concentrationsform materieller Rechtssätze, die Rechtssätze aber
wechseln mit den Verhältnissen. An die Unveränderlichkeit der
römischen Rechtsbegriffe zu glauben ist eine kindliche Vorstel-
lung, die von einem völlig unkritischen Studium der Ge-
schichte zeugt.

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
die Antretung der Erbſchaft unter der Rechtswohlthat des Inven-
tars mit einem Federſtrich die Idee der erbrechtlichen Succeſ-
ſion in einer Weiſe alterirt, gegen die hunderte von ſonſtigen
Reformen nicht in Betracht kommen. Der Begriff des Erben,
der (von dem beſondern Recht der Soldaten abgeſehen) ein
Jahrtauſend lang unverändert derſelbe geblieben war, iſt damit
ein völlig anderer geworden. Für die Geſchichte des Univerſal-
fideicommiſſes machten in praktiſcher Beziehung das SC. Trebel-
lianum
und Pegasianum in gleicher Weiſe Epoche, aber für die
begriffliche Entwicklung dieſes Inſtituts hat letzteres gar keine
Bedeutung, das Univerſalfideicommiß als ſelbſtändiger erbrecht-
licher Begriff verdankt ſeinen Urſprung lediglich dem erſteren.

Wie nun? Sind die Begriffe in Wirklichkeit noch dieſelben,
nachdem ſie eine ſolche Umgeſtaltung erfahren haben? Und ver-
ändern ſie ſich nicht täglich unter unſern Augen? Iſt denn der
Begriff der römiſchen Obligation heutzutage noch derſelbe, wie
zur Zeit der klaſſiſchen römiſchen Juriſten? Man denke an die
Papiere auf den Innehaber, die Reallaſten, die Auslobungen,
um ſich von dem gewaltigen Umſchwung zu überzeugen, der mit
dieſem Begriff vor ſich gegangen. Und ähnliche Erſcheinungen
wiederholen ſich auf allen Gebieten. Wer kann unſere heutigen
Hypothekenbriefe und Handfeſten juriſtiſch begreifen, wenn er
an dem römiſchen Begriff des Pfandrechts als eines Rechts an
fremder Sache feſthält, wie ließe ſich die Uebertragung der
Papiere auf den Inhaber unter den römiſchen Begriff der Ceſ-
ſion bringen?

Kurz die juriſtiſchen Grundbegriffe verändern ſich im Lauf
der Zeit eben ſo gut, wie die Rechtsſätze, und ſie müſſen es,
denn ſie ſind ja keine bloßen logiſchen Kategorien, ſondern die
Concentrationsform materieller Rechtsſätze, die Rechtsſätze aber
wechſeln mit den Verhältniſſen. An die Unveränderlichkeit der
römiſchen Rechtsbegriffe zu glauben iſt eine kindliche Vorſtel-
lung, die von einem völlig unkritiſchen Studium der Ge-
ſchichte zeugt.

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[296/0312] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. die Antretung der Erbſchaft unter der Rechtswohlthat des Inven- tars mit einem Federſtrich die Idee der erbrechtlichen Succeſ- ſion in einer Weiſe alterirt, gegen die hunderte von ſonſtigen Reformen nicht in Betracht kommen. Der Begriff des Erben, der (von dem beſondern Recht der Soldaten abgeſehen) ein Jahrtauſend lang unverändert derſelbe geblieben war, iſt damit ein völlig anderer geworden. Für die Geſchichte des Univerſal- fideicommiſſes machten in praktiſcher Beziehung das SC. Trebel- lianum und Pegasianum in gleicher Weiſe Epoche, aber für die begriffliche Entwicklung dieſes Inſtituts hat letzteres gar keine Bedeutung, das Univerſalfideicommiß als ſelbſtändiger erbrecht- licher Begriff verdankt ſeinen Urſprung lediglich dem erſteren. Wie nun? Sind die Begriffe in Wirklichkeit noch dieſelben, nachdem ſie eine ſolche Umgeſtaltung erfahren haben? Und ver- ändern ſie ſich nicht täglich unter unſern Augen? Iſt denn der Begriff der römiſchen Obligation heutzutage noch derſelbe, wie zur Zeit der klaſſiſchen römiſchen Juriſten? Man denke an die Papiere auf den Innehaber, die Reallaſten, die Auslobungen, um ſich von dem gewaltigen Umſchwung zu überzeugen, der mit dieſem Begriff vor ſich gegangen. Und ähnliche Erſcheinungen wiederholen ſich auf allen Gebieten. Wer kann unſere heutigen Hypothekenbriefe und Handfeſten juriſtiſch begreifen, wenn er an dem römiſchen Begriff des Pfandrechts als eines Rechts an fremder Sache feſthält, wie ließe ſich die Uebertragung der Papiere auf den Inhaber unter den römiſchen Begriff der Ceſ- ſion bringen? Kurz die juriſtiſchen Grundbegriffe verändern ſich im Lauf der Zeit eben ſo gut, wie die Rechtsſätze, und ſie müſſen es, denn ſie ſind ja keine bloßen logiſchen Kategorien, ſondern die Concentrationsform materieller Rechtsſätze, die Rechtsſätze aber wechſeln mit den Verhältniſſen. An die Unveränderlichkeit der römiſchen Rechtsbegriffe zu glauben iſt eine kindliche Vorſtel- lung, die von einem völlig unkritiſchen Studium der Ge- ſchichte zeugt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/312>, abgerufen am 21.11.2024.