Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Processualischer Zersetzungszwang. §. 50. ihn, das Verschiedenartigste durcheinander zu werfen und wildeVerwirrung zu stiften. Kann denn der Proceß ihn zum Scheiden zwingen? -- höre Jene Maschine nämlich ist in der That von den Römern er- A. Der Proceß. Proceſſualiſcher Zerſetzungszwang. §. 50. ihn, das Verſchiedenartigſte durcheinander zu werfen und wildeVerwirrung zu ſtiften. Kann denn der Proceß ihn zum Scheiden zwingen? — höre Jene Maſchine nämlich iſt in der That von den Römern er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0037" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Proceſſualiſcher Zerſetzungszwang. §. 50.</fw><lb/> ihn, das Verſchiedenartigſte durcheinander zu werfen und wilde<lb/> Verwirrung zu ſtiften.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Kann</hi> denn der Proceß ihn zum Scheiden zwingen? — höre<lb/> ich fragen; wenn es eine ſolche proceſſualiſche Scheide-Maſchine<lb/> gäbe, die dem Richter das Zerſetzen abnähme oder auch nur er-<lb/> leichterte, würden wir uns dieſelbe entgehen laſſen? Vielleicht<lb/> doch — — vielleicht iſt uns nur der Preis zu theuer!</p><lb/> <p>Jene Maſchine nämlich iſt in der That von den Römern er-<lb/> funden worden und Jahrhunderte lang in Gebrauch geweſen.<lb/> Sie beruht auf dem oben in unſerm Motto von Seneca in Be-<lb/> zug auf die Gegenforderungen des Beklagten ausgeſprochenen<lb/> Gedanken, daß in je einem Proceß nur über je einen Anſpruch<lb/> verhandelt werden kann, daß alſo, wo ein Verhältniß mehre<lb/> Anſprüche in ſich ſchließt, daſſelbe in ebenſo viele ſeparate Kla-<lb/> gen und Proceſſe aufgelöſt werden muß, als ſolcher Anſprüche<lb/> vorhanden ſind, nicht aber, wie es in unſerm heutigen Recht<lb/> möglich iſt, <hi rendition="#g">als ſolches</hi> in ſeiner Totalität in einem einzigen<lb/> Proceß zum Gegenſtand richterlicher Unterſuchung gemacht wer-<lb/> den kann — die römiſche Proceßmaſchinerie iſt nur auf einfache,<lb/> nicht auf zuſammengeſetzte Körper eingerichtet. Das Scheiden<lb/> erfolgt nicht, wie bei uns, <hi rendition="#g">in</hi>, ſondern <hi rendition="#g">außer</hi> und <hi rendition="#g">vor</hi> dem<lb/> Proceß, nicht durch den <hi rendition="#g">Richter</hi>, ſondern durch den <hi rendition="#g">Kläger</hi>.<lb/> Das <hi rendition="#g">Zer</hi>ſetzen geſchieht durch <hi rendition="#g">Aus</hi>ſetzen, das Scheiden durch<lb/><hi rendition="#g">Aus</hi>ſcheiden. Die Nöthigung zu dieſer vorproceſſualiſchen Aus-<lb/> ſcheidung liegt im römiſchen <hi rendition="#g">Actionen-Syſtem</hi>. Keine Sache<lb/> kann anders vor den Richter gelangen, als in Geſtalt einer<lb/> der vorhandenen <hi rendition="#g">Actionen</hi>. Letztere aber waren nicht etwa wie<lb/> die Stipulation, bloße Einkleidungsformen für jeden beliebigen<lb/> concreten Inhalt, dem ſie ſich elaſtiſch angeſchmiegt hätten, ſon-<lb/> dern ſie waren ſtarre, unabänderliche Typen, verſchieden nach<lb/> Art und Natur des Anſpruchs und nur paſſend für einen In-<lb/> halt, der ganz genau die Größe und das Maß hatte — das<lb/> eiſerne Rüſtzeug für das proceſſualiſche Turnier, das nur dem<lb/> bequem ſaß, dem auch nicht ein Zoll fehlte. Eine Klage <hi rendition="#g">ohne</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0037]
A. Der Proceß. Proceſſualiſcher Zerſetzungszwang. §. 50.
ihn, das Verſchiedenartigſte durcheinander zu werfen und wilde
Verwirrung zu ſtiften.
Kann denn der Proceß ihn zum Scheiden zwingen? — höre
ich fragen; wenn es eine ſolche proceſſualiſche Scheide-Maſchine
gäbe, die dem Richter das Zerſetzen abnähme oder auch nur er-
leichterte, würden wir uns dieſelbe entgehen laſſen? Vielleicht
doch — — vielleicht iſt uns nur der Preis zu theuer!
Jene Maſchine nämlich iſt in der That von den Römern er-
funden worden und Jahrhunderte lang in Gebrauch geweſen.
Sie beruht auf dem oben in unſerm Motto von Seneca in Be-
zug auf die Gegenforderungen des Beklagten ausgeſprochenen
Gedanken, daß in je einem Proceß nur über je einen Anſpruch
verhandelt werden kann, daß alſo, wo ein Verhältniß mehre
Anſprüche in ſich ſchließt, daſſelbe in ebenſo viele ſeparate Kla-
gen und Proceſſe aufgelöſt werden muß, als ſolcher Anſprüche
vorhanden ſind, nicht aber, wie es in unſerm heutigen Recht
möglich iſt, als ſolches in ſeiner Totalität in einem einzigen
Proceß zum Gegenſtand richterlicher Unterſuchung gemacht wer-
den kann — die römiſche Proceßmaſchinerie iſt nur auf einfache,
nicht auf zuſammengeſetzte Körper eingerichtet. Das Scheiden
erfolgt nicht, wie bei uns, in, ſondern außer und vor dem
Proceß, nicht durch den Richter, ſondern durch den Kläger.
Das Zerſetzen geſchieht durch Ausſetzen, das Scheiden durch
Ausſcheiden. Die Nöthigung zu dieſer vorproceſſualiſchen Aus-
ſcheidung liegt im römiſchen Actionen-Syſtem. Keine Sache
kann anders vor den Richter gelangen, als in Geſtalt einer
der vorhandenen Actionen. Letztere aber waren nicht etwa wie
die Stipulation, bloße Einkleidungsformen für jeden beliebigen
concreten Inhalt, dem ſie ſich elaſtiſch angeſchmiegt hätten, ſon-
dern ſie waren ſtarre, unabänderliche Typen, verſchieden nach
Art und Natur des Anſpruchs und nur paſſend für einen In-
halt, der ganz genau die Größe und das Maß hatte — das
eiſerne Rüſtzeug für das proceſſualiſche Turnier, das nur dem
bequem ſaß, dem auch nicht ein Zoll fehlte. Eine Klage ohne
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