Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
schließlich in die erste, 36) andere ausschließlich in die zweite
Form. 37)

Letztere hat etwas höchst Befremdendes. Warum gewährt
man dem Beklagten ein Mittel, das man ihm einmal zugedacht
hat, nicht zur rechten Zeit, warum versetzt man ihn erst in
die Lage zahlen zu müssen, damit er sodann das Gezahlte hinter-
her zurückfordere? Würden die Beklagten sich immer nur wirk-
lich begründeter Einwendungen bedienen, so hätte ein solches
Verfahren allerdings keinen Sinn, allein es findet seine volle
Rechtfertigung in der unbegränzten Möglichkeit des Gegentheils
jener Voraussetzung. Diese Möglichkeit nämlich setzt den Be-
klagten in Stand, den Proceß, der bei der Klarheit und Zweifel-
losigkeit des klägerischen Rechts sonst sofort beendet sein würde,
durch lauter erdichtete Einwendungen in die Länge zu ziehen
und sich während der Zeit auf Kosten des Klägers im Genuß
des Rechts zu behaupten, ein Nachtheil, für den seine endliche
Verurtheilung in den gesammten Schadensersatz dem andern
Theile in der Regel nur einen unausreichenden Ersatz gewährt.
Wie diesem Uebelstande abhelfen? Das ist die Bestimmung der
obigen zweiten Form der Vertheidigung. 38) Ohne dem Beklag-
ten das absolut nothwendige Maß der Vertheidigung zu ver-
kümmern, schneidet sie ihm alle Einreden ab, welche die ange-
deutete Gefahr herbeiführen können. Rasch gelangt hier der
Kläger in den Genuß seines Rechts, und der Aufschub, den die
Ausführung der Einreden verursacht, kann ihm völlig gleichgül-
tig sein, denn derselbe gereicht nicht ihm, sondern dem jetzigen

condictio des Schuldscheins, Retentionseinrede und act. contraria, except.
doli
wegen mangelnder causa und die Condictionen, Compensation und klag-
weise Geltendmachung der Forderung.
36) z. B. Einrede der Verjährung, Retentionseinrede wegen der Im-
pensen bei der Reivind.
37) z. B. die Einrede des Eigenthums gegenüber einer possessorischen
Klage, die Einrede der Compensation und Retention beim Depositum.
38) Ueber einen sekundären Nutzen derselben, nämlich den Einfluß, den
sie auf die Verringerung des Streitmaterials äußert, s. Ende des §.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſchließlich in die erſte, 36) andere ausſchließlich in die zweite
Form. 37)

Letztere hat etwas höchſt Befremdendes. Warum gewährt
man dem Beklagten ein Mittel, das man ihm einmal zugedacht
hat, nicht zur rechten Zeit, warum verſetzt man ihn erſt in
die Lage zahlen zu müſſen, damit er ſodann das Gezahlte hinter-
her zurückfordere? Würden die Beklagten ſich immer nur wirk-
lich begründeter Einwendungen bedienen, ſo hätte ein ſolches
Verfahren allerdings keinen Sinn, allein es findet ſeine volle
Rechtfertigung in der unbegränzten Möglichkeit des Gegentheils
jener Vorausſetzung. Dieſe Möglichkeit nämlich ſetzt den Be-
klagten in Stand, den Proceß, der bei der Klarheit und Zweifel-
loſigkeit des klägeriſchen Rechts ſonſt ſofort beendet ſein würde,
durch lauter erdichtete Einwendungen in die Länge zu ziehen
und ſich während der Zeit auf Koſten des Klägers im Genuß
des Rechts zu behaupten, ein Nachtheil, für den ſeine endliche
Verurtheilung in den geſammten Schadenserſatz dem andern
Theile in der Regel nur einen unausreichenden Erſatz gewährt.
Wie dieſem Uebelſtande abhelfen? Das iſt die Beſtimmung der
obigen zweiten Form der Vertheidigung. 38) Ohne dem Beklag-
ten das abſolut nothwendige Maß der Vertheidigung zu ver-
kümmern, ſchneidet ſie ihm alle Einreden ab, welche die ange-
deutete Gefahr herbeiführen können. Raſch gelangt hier der
Kläger in den Genuß ſeines Rechts, und der Aufſchub, den die
Ausführung der Einreden verurſacht, kann ihm völlig gleichgül-
tig ſein, denn derſelbe gereicht nicht ihm, ſondern dem jetzigen

condictio des Schuldſcheins, Retentionseinrede und act. contraria, except.
doli
wegen mangelnder causa und die Condictionen, Compenſation und klag-
weiſe Geltendmachung der Forderung.
36) z. B. Einrede der Verjährung, Retentionseinrede wegen der Im-
penſen bei der Reivind.
37) z. B. die Einrede des Eigenthums gegenüber einer poſſeſſoriſchen
Klage, die Einrede der Compenſation und Retention beim Depoſitum.
38) Ueber einen ſekundären Nutzen derſelben, nämlich den Einfluß, den
ſie auf die Verringerung des Streitmaterials äußert, ſ. Ende des §.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0066" n="50"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/>
&#x017F;chließlich in die er&#x017F;te, <note place="foot" n="36)">z. B. Einrede der Verjährung, Retentionseinrede wegen der Im-<lb/>
pen&#x017F;en bei der <hi rendition="#aq">Reivind.</hi></note> andere aus&#x017F;chließlich in die zweite<lb/>
Form. <note place="foot" n="37)">z. B. die Einrede des Eigenthums gegenüber einer po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ori&#x017F;chen<lb/>
Klage, die Einrede der Compen&#x017F;ation und Retention beim Depo&#x017F;itum.</note></p><lb/>
                      <p>Letztere hat etwas höch&#x017F;t Befremdendes. Warum gewährt<lb/>
man dem Beklagten ein Mittel, das man ihm einmal zugedacht<lb/>
hat, nicht zur <hi rendition="#g">rechten Zeit</hi>, warum ver&#x017F;etzt man ihn er&#x017F;t in<lb/>
die Lage zahlen zu mü&#x017F;&#x017F;en, damit er &#x017F;odann das Gezahlte hinter-<lb/>
her zurückfordere? Würden die Beklagten &#x017F;ich immer nur wirk-<lb/>
lich begründeter Einwendungen bedienen, &#x017F;o hätte ein &#x017F;olches<lb/>
Verfahren allerdings keinen Sinn, allein es findet &#x017F;eine volle<lb/>
Rechtfertigung in der unbegränzten Möglichkeit des Gegentheils<lb/>
jener Voraus&#x017F;etzung. Die&#x017F;e Möglichkeit nämlich &#x017F;etzt den Be-<lb/>
klagten in Stand, den Proceß, der bei der Klarheit und Zweifel-<lb/>
lo&#x017F;igkeit des klägeri&#x017F;chen Rechts &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ofort beendet &#x017F;ein würde,<lb/>
durch lauter erdichtete Einwendungen in die Länge zu ziehen<lb/>
und &#x017F;ich während der Zeit auf Ko&#x017F;ten des Klägers im Genuß<lb/>
des Rechts zu behaupten, ein Nachtheil, für den &#x017F;eine endliche<lb/>
Verurtheilung in den ge&#x017F;ammten Schadenser&#x017F;atz dem andern<lb/>
Theile in der Regel nur einen unausreichenden Er&#x017F;atz gewährt.<lb/>
Wie die&#x017F;em Uebel&#x017F;tande abhelfen? Das i&#x017F;t die Be&#x017F;timmung der<lb/>
obigen zweiten Form der Vertheidigung. <note place="foot" n="38)">Ueber einen &#x017F;ekundären Nutzen der&#x017F;elben, nämlich den Einfluß, den<lb/>
&#x017F;ie auf die Verringerung des Streitmaterials äußert, &#x017F;. Ende des §.</note> Ohne dem Beklag-<lb/>
ten das ab&#x017F;olut nothwendige Maß der Vertheidigung zu ver-<lb/>
kümmern, &#x017F;chneidet &#x017F;ie ihm alle Einreden ab, welche die ange-<lb/>
deutete Gefahr herbeiführen können. Ra&#x017F;ch gelangt hier der<lb/>
Kläger in den Genuß &#x017F;eines Rechts, und der Auf&#x017F;chub, den die<lb/>
Ausführung der Einreden verur&#x017F;acht, kann ihm völlig gleichgül-<lb/>
tig &#x017F;ein, denn der&#x017F;elbe gereicht nicht <hi rendition="#g">ihm</hi>, &#x017F;ondern dem jetzigen<lb/><note xml:id="seg2pn_3_2" prev="#seg2pn_3_1" place="foot" n="35)"><hi rendition="#aq">condictio</hi> des Schuld&#x017F;cheins, Retentionseinrede und <hi rendition="#aq">act. contraria, except.<lb/>
doli</hi> wegen mangelnder <hi rendition="#aq">causa</hi> und die Condictionen, Compen&#x017F;ation und klag-<lb/>
wei&#x017F;e Geltendmachung der Forderung.</note><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0066] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. ſchließlich in die erſte, 36) andere ausſchließlich in die zweite Form. 37) Letztere hat etwas höchſt Befremdendes. Warum gewährt man dem Beklagten ein Mittel, das man ihm einmal zugedacht hat, nicht zur rechten Zeit, warum verſetzt man ihn erſt in die Lage zahlen zu müſſen, damit er ſodann das Gezahlte hinter- her zurückfordere? Würden die Beklagten ſich immer nur wirk- lich begründeter Einwendungen bedienen, ſo hätte ein ſolches Verfahren allerdings keinen Sinn, allein es findet ſeine volle Rechtfertigung in der unbegränzten Möglichkeit des Gegentheils jener Vorausſetzung. Dieſe Möglichkeit nämlich ſetzt den Be- klagten in Stand, den Proceß, der bei der Klarheit und Zweifel- loſigkeit des klägeriſchen Rechts ſonſt ſofort beendet ſein würde, durch lauter erdichtete Einwendungen in die Länge zu ziehen und ſich während der Zeit auf Koſten des Klägers im Genuß des Rechts zu behaupten, ein Nachtheil, für den ſeine endliche Verurtheilung in den geſammten Schadenserſatz dem andern Theile in der Regel nur einen unausreichenden Erſatz gewährt. Wie dieſem Uebelſtande abhelfen? Das iſt die Beſtimmung der obigen zweiten Form der Vertheidigung. 38) Ohne dem Beklag- ten das abſolut nothwendige Maß der Vertheidigung zu ver- kümmern, ſchneidet ſie ihm alle Einreden ab, welche die ange- deutete Gefahr herbeiführen können. Raſch gelangt hier der Kläger in den Genuß ſeines Rechts, und der Aufſchub, den die Ausführung der Einreden verurſacht, kann ihm völlig gleichgül- tig ſein, denn derſelbe gereicht nicht ihm, ſondern dem jetzigen 35) 36) z. B. Einrede der Verjährung, Retentionseinrede wegen der Im- penſen bei der Reivind. 37) z. B. die Einrede des Eigenthums gegenüber einer poſſeſſoriſchen Klage, die Einrede der Compenſation und Retention beim Depoſitum. 38) Ueber einen ſekundären Nutzen derſelben, nämlich den Einfluß, den ſie auf die Verringerung des Streitmaterials äußert, ſ. Ende des §. 35) condictio des Schuldſcheins, Retentionseinrede und act. contraria, except. doli wegen mangelnder causa und die Condictionen, Compenſation und klag- weiſe Geltendmachung der Forderung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/66
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/66>, abgerufen am 21.11.2024.