Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Einreden in Klagform. §. 52. die das neuere Recht von diesem Satz macht, ist die unbeschränkteZulassung der Compensationseinrede, und ich glaube nicht zu viel zu thun, wenn ich diesen scheinbaren Triumph der Billig- keit gegenüber dem strengen Recht 40) geradezu als einen schweren Verstoß gegen die Idee der processualischen Gerechtigkeit bezeichne und darin nur eine Erscheinung wieder finde, die ich im dritten System mit manchen Belegen hoffe begründen zu können, nämlich die Abschwächung des gesunden, energischen Rechtsgefühls der alten Zeit. Nur bei einer Materie hat auch das neuere Recht sich von diesem Fehler gänzlich frei gehalten, nämlich beim Besitz. Wo es sich um Klagen handelt, die den Besitz zur Grundlage haben, ist jede Einrede, welche sich auf das Recht bezieht, aus- geschlossen, 41) und diesem Gedanken hat das neuere Recht im Erbrecht sogar eine erweiterte Anwendung gegeben. 42) Unser heutiges Recht hat den Fehler des spätern römischen manche Beschränkungen im Einzelnen; außer Note 37 s. z. B. L. 1 pr. §. 4 6 si cui plus (35. 3), der zufolge der Erbe das Legat vorläufig gegen Cau- tion unverkürzt auszuzahlen hat, wenn die Ermittelung der ihm gebührenden quarta Falcidia mit Weiterungen verbunden ist. 40) "Aequitas compensationis" L. 18 pr. de comp. (16. 2). 41) Eine einzige Ausnahme s. in Note 33. 42) Bonorum possessio, remedium ex lege ultima Codicis de edicto
divi Hadriani tollendo, interdictum quod legatorum. A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Einreden in Klagform. §. 52. die das neuere Recht von dieſem Satz macht, iſt die unbeſchränkteZulaſſung der Compenſationseinrede, und ich glaube nicht zu viel zu thun, wenn ich dieſen ſcheinbaren Triumph der Billig- keit gegenüber dem ſtrengen Recht 40) geradezu als einen ſchweren Verſtoß gegen die Idee der proceſſualiſchen Gerechtigkeit bezeichne und darin nur eine Erſcheinung wieder finde, die ich im dritten Syſtem mit manchen Belegen hoffe begründen zu können, nämlich die Abſchwächung des geſunden, energiſchen Rechtsgefühls der alten Zeit. Nur bei einer Materie hat auch das neuere Recht ſich von dieſem Fehler gänzlich frei gehalten, nämlich beim Beſitz. Wo es ſich um Klagen handelt, die den Beſitz zur Grundlage haben, iſt jede Einrede, welche ſich auf das Recht bezieht, aus- geſchloſſen, 41) und dieſem Gedanken hat das neuere Recht im Erbrecht ſogar eine erweiterte Anwendung gegeben. 42) Unſer heutiges Recht hat den Fehler des ſpätern römiſchen manche Beſchränkungen im Einzelnen; außer Note 37 ſ. z. B. L. 1 pr. §. 4 6 si cui plus (35. 3), der zufolge der Erbe das Legat vorläufig gegen Cau- tion unverkürzt auszuzahlen hat, wenn die Ermittelung der ihm gebührenden quarta Falcidia mit Weiterungen verbunden iſt. 40) „Aequitas compensationis“ L. 18 pr. de comp. (16. 2). 41) Eine einzige Ausnahme ſ. in Note 33. 42) Bonorum possessio, remedium ex lege ultima Codicis de edicto
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A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Einreden in Klagform. §. 52.
die das neuere Recht von dieſem Satz macht, iſt die unbeſchränkte
Zulaſſung der Compenſationseinrede, und ich glaube nicht zu
viel zu thun, wenn ich dieſen ſcheinbaren Triumph der Billig-
keit gegenüber dem ſtrengen Recht 40) geradezu als einen ſchweren
Verſtoß gegen die Idee der proceſſualiſchen Gerechtigkeit bezeichne
und darin nur eine Erſcheinung wieder finde, die ich im dritten
Syſtem mit manchen Belegen hoffe begründen zu können, nämlich
die Abſchwächung des geſunden, energiſchen Rechtsgefühls der
alten Zeit. Nur bei einer Materie hat auch das neuere Recht ſich
von dieſem Fehler gänzlich frei gehalten, nämlich beim Beſitz.
Wo es ſich um Klagen handelt, die den Beſitz zur Grundlage
haben, iſt jede Einrede, welche ſich auf das Recht bezieht, aus-
geſchloſſen, 41) und dieſem Gedanken hat das neuere Recht im
Erbrecht ſogar eine erweiterte Anwendung gegeben. 42)
Unſer heutiges Recht hat den Fehler des ſpätern römiſchen
zum großen Theil wieder gut gemacht, theils nämlich dadurch,
daß es dem Verkehr durch die an gewiſſe Urkunden (Wechſel und
instrumenta guarentigiata) geknüpfte privilegirte Proceßart
ſowohl bei zweiſeitigen als einſeitigen Geſchäften innerhalb ge-
wiſſer Gränzen die Erlangung der obigen Vortheile in Ausſicht
ſtellt, theils dadurch, daß es von dem Gedanken des Beſitzes den
ausgedehnteſten Gebrauch macht (Quaſibeſitz). So ſcheinbar
verſchieden dieſe beiden Verhältniſſe ſind, ſo iſt es doch daſſelbe
legislative Motiv, das ihre Geſtalt beſtimmt; bei beiden iſt es
nämlich der obige Zweck, die Vortheile der Beklagtenrolle in an-
gemeſſener Weiſe zwiſchen beiden Partheien zu vertheilen, das
Uebergewicht der Vertheidigung über die Klage auszugleichen.
39)
40) „Aequitas compensationis“ L. 18 pr. de comp. (16. 2).
41) Eine einzige Ausnahme ſ. in Note 33.
42) Bonorum possessio, remedium ex lege ultima Codicis de edicto
divi Hadriani tollendo, interdictum quod legatorum.
39) manche Beſchränkungen im Einzelnen; außer Note 37 ſ. z. B. L. 1 pr. §. 4
6 si cui plus (35. 3), der zufolge der Erbe das Legat vorläufig gegen Cau-
tion unverkürzt auszuzahlen hat, wenn die Ermittelung der ihm gebührenden
quarta Falcidia mit Weiterungen verbunden iſt.
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