Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52. der Klagen erst hier bei Gelegenheit der Vertheidigungbehandelt habe, so geschah es, weil er erst hier für uns von Be- deutung ward. Seine Bedeutung ist übrigens keineswegs auf den hier in Frage stehenden Gesichtspunkt der Form der Verthei- digung beschränkt, und es möge mir erlaubt sein, darüber noch einige Worte hinzuzufügen. Wer sich auf den Standpunkt des römischen Formalismus A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52. der Klagen erſt hier bei Gelegenheit der Vertheidigungbehandelt habe, ſo geſchah es, weil er erſt hier für uns von Be- deutung ward. Seine Bedeutung iſt übrigens keineswegs auf den hier in Frage ſtehenden Geſichtspunkt der Form der Verthei- digung beſchränkt, und es möge mir erlaubt ſein, darüber noch einige Worte hinzuzufügen. Wer ſich auf den Standpunkt des römiſchen Formalismus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0075" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52.</fw><lb/> der <hi rendition="#g">Klagen</hi> erſt hier bei Gelegenheit der <hi rendition="#g">Vertheidigung</hi><lb/> behandelt habe, ſo geſchah es, weil er erſt hier für uns von Be-<lb/> deutung ward. Seine Bedeutung iſt übrigens keineswegs auf<lb/> den hier in Frage ſtehenden Geſichtspunkt der Form der Verthei-<lb/> digung beſchränkt, und es möge mir erlaubt ſein, darüber noch<lb/> einige Worte hinzuzufügen.</p><lb/> <p>Wer ſich auf den Standpunkt des römiſchen Formalismus<lb/> ſtellt und von ihm aus, wie man es ja muß, den Gegenſatz be-<lb/> urtheilt, dem bietet er, ſo äußerlich er ſcheint, doch reichen Stoff<lb/> zur Betrachtung. Daß ſich in ihm der Gegenſatz der verſchiede-<lb/> nen Zeiten, denen er angehört, klar abſpiegelt, wird keines aus-<lb/> führlichen Nachweiſes bedürfen. Die <hi rendition="#aq">actio in jus concepta</hi> iſt<lb/> eins jener formaliſtiſchen Kunſtproducte, die den fein entwickelten<lb/> Formenſinn der alten Jurisprudenz kennzeichnen; ihr gegenüber<lb/> macht die <hi rendition="#aq">act. in factum</hi> den Eindruck des Rohen, Form-<lb/> loſen. Nicht bloß darum, weil jene in <hi rendition="#g">einem</hi> Satz erreicht,<lb/> wozu dieſe mehrere nöthig hat, ſondern vor allem darum, weil<lb/> jene die Condemnation dadurch, daß ſie dieſelbe an die Voraus-<lb/> ſetzung der Exiſtenz eines <hi rendition="#g">Rechts</hi> knüpft, innerlich motivirt,<lb/> während letztere ſie rein äußerlich an das Vorhandenſein gewiſſer<lb/><hi rendition="#g">Thatſachen</hi> knüpft. Aus bloßen Thatſachen aber folgt nie<lb/> die Nothwendigkeit der Verurtheilung — das Mittelglied: das<lb/> Recht fehlt. Bei <hi rendition="#g">jener</hi> Faſſung iſt dieſe Nothwendigkeit eine<lb/><hi rendition="#g">innere</hi>, die ſich von ſelbſt verſteht — denn wo ein <hi rendition="#g">Recht</hi> vor-<lb/> handen iſt, da muß es auch realiſirt werden — bei <hi rendition="#g">dieſer</hi> eine<lb/> äußerliche, die ſich der Form nach lediglich auf <hi rendition="#g">poſitive</hi> Anord-<lb/> nung ſtützt. Sodann faßt <hi rendition="#g">jene</hi> wiederum die Beſtandtheile des<lb/> Thatbeſtandes zur Einheit des <hi rendition="#g">Begriffs</hi> zuſammen, ſchließt<lb/> ihn alſo innerlich ab, während dieſe ſie als loſes, äußerlich zu-<lb/> ſammengefügtes Aggregat neben einander ſtellt. Dieſer Unter-<lb/> ſchied iſt aber von der äußerſten Wichtigkeit — an ihn knüpft ſich<lb/> ein Stück römiſcher Jurisprudenz. Wer ein „Recht“ angeben<lb/> ſoll, muß über deſſen Natur mit ſich im Reinen ſein, wer bloße<lb/> Thatſachen für ſich anzuführen braucht, kann ſich dem entziehen.<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0075]
A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52.
der Klagen erſt hier bei Gelegenheit der Vertheidigung
behandelt habe, ſo geſchah es, weil er erſt hier für uns von Be-
deutung ward. Seine Bedeutung iſt übrigens keineswegs auf
den hier in Frage ſtehenden Geſichtspunkt der Form der Verthei-
digung beſchränkt, und es möge mir erlaubt ſein, darüber noch
einige Worte hinzuzufügen.
Wer ſich auf den Standpunkt des römiſchen Formalismus
ſtellt und von ihm aus, wie man es ja muß, den Gegenſatz be-
urtheilt, dem bietet er, ſo äußerlich er ſcheint, doch reichen Stoff
zur Betrachtung. Daß ſich in ihm der Gegenſatz der verſchiede-
nen Zeiten, denen er angehört, klar abſpiegelt, wird keines aus-
führlichen Nachweiſes bedürfen. Die actio in jus concepta iſt
eins jener formaliſtiſchen Kunſtproducte, die den fein entwickelten
Formenſinn der alten Jurisprudenz kennzeichnen; ihr gegenüber
macht die act. in factum den Eindruck des Rohen, Form-
loſen. Nicht bloß darum, weil jene in einem Satz erreicht,
wozu dieſe mehrere nöthig hat, ſondern vor allem darum, weil
jene die Condemnation dadurch, daß ſie dieſelbe an die Voraus-
ſetzung der Exiſtenz eines Rechts knüpft, innerlich motivirt,
während letztere ſie rein äußerlich an das Vorhandenſein gewiſſer
Thatſachen knüpft. Aus bloßen Thatſachen aber folgt nie
die Nothwendigkeit der Verurtheilung — das Mittelglied: das
Recht fehlt. Bei jener Faſſung iſt dieſe Nothwendigkeit eine
innere, die ſich von ſelbſt verſteht — denn wo ein Recht vor-
handen iſt, da muß es auch realiſirt werden — bei dieſer eine
äußerliche, die ſich der Form nach lediglich auf poſitive Anord-
nung ſtützt. Sodann faßt jene wiederum die Beſtandtheile des
Thatbeſtandes zur Einheit des Begriffs zuſammen, ſchließt
ihn alſo innerlich ab, während dieſe ſie als loſes, äußerlich zu-
ſammengefügtes Aggregat neben einander ſtellt. Dieſer Unter-
ſchied iſt aber von der äußerſten Wichtigkeit — an ihn knüpft ſich
ein Stück römiſcher Jurisprudenz. Wer ein „Recht“ angeben
ſoll, muß über deſſen Natur mit ſich im Reinen ſein, wer bloße
Thatſachen für ſich anzuführen braucht, kann ſich dem entziehen.
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