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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52.
Rechts verstattete. 93) Es ist dies die act. negatoria. Der
Kläger behauptet dem Beklagten gegenüber: jus tibi non esse
me invito utendi fruendi;
als Negation dieser Behauptung
ist damit dem Beklagten die Entgegnung freigestellt: jus mihi
esse te invito utendi fruendi
. 94) Der Grundsatz der Negation
ist demnach vollkommen aufrecht erhalten, und nur die Anwen-
dung hat etwas Ueberraschendes, weil dadurch die logische Form
der Behauptungen beider Partheien sich geradezu umkehrt, dem
Beklagten die positive, dem Kläger die negative Form in den
Mund gelegt wird. Die Behauptung des klägerischen Eigen-
thums
ist etwas versteckt, sie liegt in dem: me invito, 95)
denn nur der wahre Eigenthümer hat das Recht, dem angeblichen
Usufructuar die fernere Benutzung der Sache zu untersagen.
Dieser Zusatz war daher höchst wesentlich, denn ohne ihn hätte
jeder Nichteigenthümer mit demselben Erfolg wie der Eigenthü-
mer gegen den Usufructuar die act. negatoria erheben, d. h. ihm
jeder Zeit die Alternative stellen können, entweder sein Recht zu

93) Es ergibt sich daraus, daß es vom Standpunkt des reinen römi-
schen Rechts aus nicht richtig ist, wenn man im vermeintlichen Gegensatz zu
der durch die reivindic. aufzuhebenden totalen Verletzung des Eigenthums
die Voraussetzung der act. neg. in eine partielle Verletzung desselben setzt;
der Usufructuar im Text verletzt das Eigenthum gewiß nicht minder total,
als jeder andere Besitzer.
94) Wenn der Usufructuar oder allgemein gesprochen der Servitutberech-
tigte sich zur Klage genöthigt sieht (act. contraria L. 8 pr. si serv. 8. 5 oder
confessoria), so dreht sich das Verhältniß zwischen beiden Formeln um, der
Kläger bedient sich der positiven, der Beklagte der negativen Fassung. Nur
bei den negativen Servituten, die dem Servitutberechtigten das Recht geben,
dem Gegner eine bestimmte Art der Benutzung seines Eigenthums z. B. das
Höherbauen zu untersagen, kann der Kläger, statt seine Klage positiv auf sein
jus prohibendi zu stellen (act. prohibitoria), sie auch negatorisch fassen; was
diese Doppelfassung nothwendig machte, und an welche Voraussetzung sie ge-
knüpft war, ist zur Zeit noch nicht ermittelt.
95) H. Witte in der Zeitschr. für Civilr. und Proceß. Neue Folge.
B. 13 S. 386.
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A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52.
Rechts verſtattete. 93) Es iſt dies die act. negatoria. Der
Kläger behauptet dem Beklagten gegenüber: jus tibi non esse
me invito utendi fruendi;
als Negation dieſer Behauptung
iſt damit dem Beklagten die Entgegnung freigeſtellt: jus mihi
esse te invito utendi fruendi
. 94) Der Grundſatz der Negation
iſt demnach vollkommen aufrecht erhalten, und nur die Anwen-
dung hat etwas Ueberraſchendes, weil dadurch die logiſche Form
der Behauptungen beider Partheien ſich geradezu umkehrt, dem
Beklagten die poſitive, dem Kläger die negative Form in den
Mund gelegt wird. Die Behauptung des klägeriſchen Eigen-
thums
iſt etwas verſteckt, ſie liegt in dem: me invito, 95)
denn nur der wahre Eigenthümer hat das Recht, dem angeblichen
Uſufructuar die fernere Benutzung der Sache zu unterſagen.
Dieſer Zuſatz war daher höchſt weſentlich, denn ohne ihn hätte
jeder Nichteigenthümer mit demſelben Erfolg wie der Eigenthü-
mer gegen den Uſufructuar die act. negatoria erheben, d. h. ihm
jeder Zeit die Alternative ſtellen können, entweder ſein Recht zu

93) Es ergibt ſich daraus, daß es vom Standpunkt des reinen römi-
ſchen Rechts aus nicht richtig iſt, wenn man im vermeintlichen Gegenſatz zu
der durch die reivindic. aufzuhebenden totalen Verletzung des Eigenthums
die Vorausſetzung der act. neg. in eine partielle Verletzung deſſelben ſetzt;
der Uſufructuar im Text verletzt das Eigenthum gewiß nicht minder total,
als jeder andere Beſitzer.
94) Wenn der Uſufructuar oder allgemein geſprochen der Servitutberech-
tigte ſich zur Klage genöthigt ſieht (act. contraria L. 8 pr. si serv. 8. 5 oder
confessoria), ſo dreht ſich das Verhältniß zwiſchen beiden Formeln um, der
Kläger bedient ſich der poſitiven, der Beklagte der negativen Faſſung. Nur
bei den negativen Servituten, die dem Servitutberechtigten das Recht geben,
dem Gegner eine beſtimmte Art der Benutzung ſeines Eigenthums z. B. das
Höherbauen zu unterſagen, kann der Kläger, ſtatt ſeine Klage poſitiv auf ſein
jus prohibendi zu ſtellen (act. prohibitoria), ſie auch negatoriſch faſſen; was
dieſe Doppelfaſſung nothwendig machte, und an welche Vorausſetzung ſie ge-
knüpft war, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt.
95) H. Witte in der Zeitſchr. für Civilr. und Proceß. Neue Folge.
B. 13 S. 386.
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[83/0099] A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52. Rechts verſtattete. 93) Es iſt dies die act. negatoria. Der Kläger behauptet dem Beklagten gegenüber: jus tibi non esse me invito utendi fruendi; als Negation dieſer Behauptung iſt damit dem Beklagten die Entgegnung freigeſtellt: jus mihi esse te invito utendi fruendi. 94) Der Grundſatz der Negation iſt demnach vollkommen aufrecht erhalten, und nur die Anwen- dung hat etwas Ueberraſchendes, weil dadurch die logiſche Form der Behauptungen beider Partheien ſich geradezu umkehrt, dem Beklagten die poſitive, dem Kläger die negative Form in den Mund gelegt wird. Die Behauptung des klägeriſchen Eigen- thums iſt etwas verſteckt, ſie liegt in dem: me invito, 95) denn nur der wahre Eigenthümer hat das Recht, dem angeblichen Uſufructuar die fernere Benutzung der Sache zu unterſagen. Dieſer Zuſatz war daher höchſt weſentlich, denn ohne ihn hätte jeder Nichteigenthümer mit demſelben Erfolg wie der Eigenthü- mer gegen den Uſufructuar die act. negatoria erheben, d. h. ihm jeder Zeit die Alternative ſtellen können, entweder ſein Recht zu 93) Es ergibt ſich daraus, daß es vom Standpunkt des reinen römi- ſchen Rechts aus nicht richtig iſt, wenn man im vermeintlichen Gegenſatz zu der durch die reivindic. aufzuhebenden totalen Verletzung des Eigenthums die Vorausſetzung der act. neg. in eine partielle Verletzung deſſelben ſetzt; der Uſufructuar im Text verletzt das Eigenthum gewiß nicht minder total, als jeder andere Beſitzer. 94) Wenn der Uſufructuar oder allgemein geſprochen der Servitutberech- tigte ſich zur Klage genöthigt ſieht (act. contraria L. 8 pr. si serv. 8. 5 oder confessoria), ſo dreht ſich das Verhältniß zwiſchen beiden Formeln um, der Kläger bedient ſich der poſitiven, der Beklagte der negativen Faſſung. Nur bei den negativen Servituten, die dem Servitutberechtigten das Recht geben, dem Gegner eine beſtimmte Art der Benutzung ſeines Eigenthums z. B. das Höherbauen zu unterſagen, kann der Kläger, ſtatt ſeine Klage poſitiv auf ſein jus prohibendi zu ſtellen (act. prohibitoria), ſie auch negatoriſch faſſen; was dieſe Doppelfaſſung nothwendig machte, und an welche Vorausſetzung ſie ge- knüpft war, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt. 95) H. Witte in der Zeitſchr. für Civilr. und Proceß. Neue Folge. B. 13 S. 386. 6*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/99>, abgerufen am 24.11.2024.