habt, und ihm die besten Brocken in den Mund gesteckt? Es wäre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan- gen ist, sich durch den Schornstein eines solchen Hauses hin- unterschlengerte und alles Essen vergiftete. Wie er eben auf den Drachen kam, ist kein Wunder, denn er hatte selbsten vor einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen großen durch die Luft fliegen sehen, und er glaubte bis jetzt noch fest, daß es einer von den obersten Teufeln selbst gewesen.
So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald an dem, daß er die lateinische Schule nach und nach verlas- sen und seinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die- ses war schweres Leiden für ihn; er lebte nur in den Bü- chern, und es däuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit genug zum Lesen; deßwegen sehnte er sich unbeschreiblich, ein- mal Schulmeister zu werden. Dieses war in seinen Augen die höchste Ehrenstelle, die er jemals zu erreichen glaubte. Der Gedanke, ein Pastor zu werden, war zu weit jenseits sei- ner Sphäre. Wenn er sich aber zuweilen hinaufschwung, sich auf die Kanzel dachte und sich dazu vorstellte, wie selig es sey, ein ganzes Leben unter Büchern hinzubringen, so erweiterte sich sein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann fiel ihm wohl zuweilen ein: Gott hat mir diesen Trieb nicht umsonst eingeschaffen, ich will ruhig seyn, Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen.
Dieser Enthusiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn seine Leute nicht zu Haus waren, eine lustige Comödie zu spielen; er versammelte so viel Kinder um sich her, als er zusammen- treiben konnte, hing einen schwarzen Weiberschurz auf den Rücken, machte sich einen Kragen von weißem Papier, trat alsdann auf einen Lehnstuhl, sö, daß er die Lehne vor sich hatte, und dann fing er mit einem Anstand an zu Predigen, der alle Zuhörer in Erstaunen setzte. Dieses that er oft, denn es war auch sein einziges Kinderspiel, das er jemalen mag getrieben haben.
Nun trug es sich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte, und seinen Zuhörern die Hölle heiß machte, daß Herr Pastor
habt, und ihm die beſten Brocken in den Mund geſteckt? Es waͤre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan- gen iſt, ſich durch den Schornſtein eines ſolchen Hauſes hin- unterſchlengerte und alles Eſſen vergiftete. Wie er eben auf den Drachen kam, iſt kein Wunder, denn er hatte ſelbſten vor einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen großen durch die Luft fliegen ſehen, und er glaubte bis jetzt noch feſt, daß es einer von den oberſten Teufeln ſelbſt geweſen.
So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald an dem, daß er die lateiniſche Schule nach und nach verlaſ- ſen und ſeinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die- ſes war ſchweres Leiden fuͤr ihn; er lebte nur in den Buͤ- chern, und es daͤuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit genug zum Leſen; deßwegen ſehnte er ſich unbeſchreiblich, ein- mal Schulmeiſter zu werden. Dieſes war in ſeinen Augen die hoͤchſte Ehrenſtelle, die er jemals zu erreichen glaubte. Der Gedanke, ein Paſtor zu werden, war zu weit jenſeits ſei- ner Sphaͤre. Wenn er ſich aber zuweilen hinaufſchwung, ſich auf die Kanzel dachte und ſich dazu vorſtellte, wie ſelig es ſey, ein ganzes Leben unter Buͤchern hinzubringen, ſo erweiterte ſich ſein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann fiel ihm wohl zuweilen ein: Gott hat mir dieſen Trieb nicht umſonſt eingeſchaffen, ich will ruhig ſeyn, Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen.
Dieſer Enthuſiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn ſeine Leute nicht zu Haus waren, eine luſtige Comoͤdie zu ſpielen; er verſammelte ſo viel Kinder um ſich her, als er zuſammen- treiben konnte, hing einen ſchwarzen Weiberſchurz auf den Ruͤcken, machte ſich einen Kragen von weißem Papier, trat alsdann auf einen Lehnſtuhl, ſoͤ, daß er die Lehne vor ſich hatte, und dann fing er mit einem Anſtand an zu Predigen, der alle Zuhoͤrer in Erſtaunen ſetzte. Dieſes that er oft, denn es war auch ſein einziges Kinderſpiel, das er jemalen mag getrieben haben.
Nun trug es ſich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte, und ſeinen Zuhoͤrern die Hoͤlle heiß machte, daß Herr Paſtor
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0113"n="105"/>
habt, und ihm die beſten Brocken in den Mund geſteckt? Es<lb/>
waͤre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um<lb/>
Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan-<lb/>
gen iſt, ſich durch den Schornſtein eines ſolchen Hauſes hin-<lb/>
unterſchlengerte und alles Eſſen vergiftete. Wie er eben auf<lb/>
den Drachen kam, iſt kein Wunder, denn er hatte ſelbſten vor<lb/>
einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen<lb/>
großen durch die Luft fliegen ſehen, und er glaubte bis jetzt<lb/>
noch feſt, daß es einer von den oberſten Teufeln ſelbſt geweſen.</p><lb/><p>So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald<lb/>
an dem, daß er die lateiniſche Schule nach und nach verlaſ-<lb/>ſen und ſeinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die-<lb/>ſes war ſchweres Leiden fuͤr ihn; er lebte nur in den Buͤ-<lb/>
chern, und es daͤuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit<lb/>
genug zum Leſen; deßwegen ſehnte er ſich unbeſchreiblich, ein-<lb/>
mal Schulmeiſter zu werden. Dieſes war in ſeinen Augen<lb/>
die hoͤchſte Ehrenſtelle, die er jemals zu erreichen glaubte.<lb/>
Der Gedanke, ein Paſtor zu werden, war zu weit jenſeits ſei-<lb/>
ner Sphaͤre. Wenn er ſich aber zuweilen hinaufſchwung, ſich<lb/>
auf die Kanzel dachte und ſich dazu vorſtellte, wie ſelig es ſey,<lb/>
ein ganzes Leben unter Buͤchern hinzubringen, ſo erweiterte<lb/>ſich ſein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann<lb/>
fiel ihm wohl zuweilen ein: <hirendition="#g">Gott hat mir dieſen Trieb<lb/>
nicht umſonſt eingeſchaffen, ich will ruhig ſeyn,<lb/>
Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen</hi>.</p><lb/><p>Dieſer Enthuſiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn ſeine<lb/>
Leute nicht zu Haus waren, eine luſtige Comoͤdie zu ſpielen;<lb/>
er verſammelte ſo viel Kinder um ſich her, als er zuſammen-<lb/>
treiben konnte, hing einen ſchwarzen Weiberſchurz auf den<lb/>
Ruͤcken, machte ſich einen Kragen von weißem Papier, trat<lb/>
alsdann auf einen Lehnſtuhl, ſoͤ, daß er die Lehne vor ſich<lb/>
hatte, und dann fing er mit einem Anſtand an zu Predigen,<lb/>
der alle Zuhoͤrer in Erſtaunen ſetzte. Dieſes that er oft, denn<lb/>
es war auch ſein einziges Kinderſpiel, das er jemalen mag<lb/>
getrieben haben.</p><lb/><p>Nun trug es ſich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte,<lb/>
und ſeinen Zuhoͤrern die Hoͤlle heiß machte, daß Herr Paſtor<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[105/0113]
habt, und ihm die beſten Brocken in den Mund geſteckt? Es
waͤre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um
Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan-
gen iſt, ſich durch den Schornſtein eines ſolchen Hauſes hin-
unterſchlengerte und alles Eſſen vergiftete. Wie er eben auf
den Drachen kam, iſt kein Wunder, denn er hatte ſelbſten vor
einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen
großen durch die Luft fliegen ſehen, und er glaubte bis jetzt
noch feſt, daß es einer von den oberſten Teufeln ſelbſt geweſen.
So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald
an dem, daß er die lateiniſche Schule nach und nach verlaſ-
ſen und ſeinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die-
ſes war ſchweres Leiden fuͤr ihn; er lebte nur in den Buͤ-
chern, und es daͤuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit
genug zum Leſen; deßwegen ſehnte er ſich unbeſchreiblich, ein-
mal Schulmeiſter zu werden. Dieſes war in ſeinen Augen
die hoͤchſte Ehrenſtelle, die er jemals zu erreichen glaubte.
Der Gedanke, ein Paſtor zu werden, war zu weit jenſeits ſei-
ner Sphaͤre. Wenn er ſich aber zuweilen hinaufſchwung, ſich
auf die Kanzel dachte und ſich dazu vorſtellte, wie ſelig es ſey,
ein ganzes Leben unter Buͤchern hinzubringen, ſo erweiterte
ſich ſein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann
fiel ihm wohl zuweilen ein: Gott hat mir dieſen Trieb
nicht umſonſt eingeſchaffen, ich will ruhig ſeyn,
Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen.
Dieſer Enthuſiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn ſeine
Leute nicht zu Haus waren, eine luſtige Comoͤdie zu ſpielen;
er verſammelte ſo viel Kinder um ſich her, als er zuſammen-
treiben konnte, hing einen ſchwarzen Weiberſchurz auf den
Ruͤcken, machte ſich einen Kragen von weißem Papier, trat
alsdann auf einen Lehnſtuhl, ſoͤ, daß er die Lehne vor ſich
hatte, und dann fing er mit einem Anſtand an zu Predigen,
der alle Zuhoͤrer in Erſtaunen ſetzte. Dieſes that er oft, denn
es war auch ſein einziges Kinderſpiel, das er jemalen mag
getrieben haben.
Nun trug es ſich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte,
und ſeinen Zuhoͤrern die Hoͤlle heiß machte, daß Herr Paſtor
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/113>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.