Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Dorf, der Holz sammelte; sobald dieser den Schulmeister kom-
men sah, hörte er auf zu arbeiten und sagte:

"Es ist gut, Schulmeister, daß du kommst, ich bin doch
"müde; nun hör', was ich dir sagen will, ich denke so eben
"dran. Ich und dein Großvater haben vor dreißig Jahren
"einmal hier Kohlen gebrannt, da hatten wir viel Freude!
"wir kamen immer zu einander, aßen und tranken zusammen
"und redeten dann immer von alten Geschichten. Du siehst
"hier rund umher, so weit dein Auge reicht, keinen Berg, aber
"wir besannen uns auf seinen Namen und den Ort, wo er
"am nächsten liegt; das war uns dann nun so recht eine Lust,
"wenn wir da so lagen und uns Geschichten erzählten, und
"zugleich den Ort zeigen konnten, wo sie geschehen waren."
Nun hielt der Bauer die linke Hand über die Augen, und
mit der rechten wies er gegen Abend und Nordwest hin und
sagte: "Da, etwas niederwärts, siehst du das Geisenber-
"ger Schloß, gerad hinter demselben, dort weit weg, ist ein
"hoher Berg mit drei Köpfen, der mittelste heißt noch der
"Kindelsberg, da stand vor uralten Zeiten ein Schloß,
"das auch so hieß; da wohnten Ritter drauf, die waren sehr
"gottlose Leute. Da zur Rechten hatten sie, an dem Kopf,
"ein sehr schönes Silber-Bergwerk, wovon sie stockreich wur-
"den. Nu, was geschah! Der Uebermuth ging so weit, daß
"sie sich silberne Kegel machen ließen; wenn sie nun spielten,
"so warfen sie nach diesen Kegeln mit silbernen Klötzen; dann
"backten sie große Kuchen von Semmelmehl, wie Kutschen-
"räder, machten in der Mitte Löcher darein und steckten sie
"an die Achsen; das war nun eine himmelschreiende Sünde,
"denn wie viele Menschen haben kein Brod zu essen! Unser
"Herr Gott ward es auch endlich müde; denn es kam des
"Abends spät ein weißes Männchen ins Schloß, das sagte
"ihnen an, daß sie Alle binnen drei Tagen sterben müßten,
"und zum Wahrzeichen gab es ihnen, daß diese Nacht eine
"Kuh zwei Lämmer werfen würde. Das geschah auch, aber
"Niemand kehrte sich dran, als der jüngste Sohn, der Ritter
"Sigmund hieß, und eine Tochter, die eine gar schöne Jung-
"frau war. Diese beteten Tag und Nacht. Die Andern star-

Stilling's Schriften. I. Bd. 8

Dorf, der Holz ſammelte; ſobald dieſer den Schulmeiſter kom-
men ſah, hoͤrte er auf zu arbeiten und ſagte:

„Es iſt gut, Schulmeiſter, daß du kommſt, ich bin doch
„muͤde; nun hoͤr’, was ich dir ſagen will, ich denke ſo eben
„dran. Ich und dein Großvater haben vor dreißig Jahren
„einmal hier Kohlen gebrannt, da hatten wir viel Freude!
„wir kamen immer zu einander, aßen und tranken zuſammen
„und redeten dann immer von alten Geſchichten. Du ſiehſt
„hier rund umher, ſo weit dein Auge reicht, keinen Berg, aber
„wir beſannen uns auf ſeinen Namen und den Ort, wo er
„am naͤchſten liegt; das war uns dann nun ſo recht eine Luſt,
„wenn wir da ſo lagen und uns Geſchichten erzaͤhlten, und
„zugleich den Ort zeigen konnten, wo ſie geſchehen waren.“
Nun hielt der Bauer die linke Hand uͤber die Augen, und
mit der rechten wies er gegen Abend und Nordweſt hin und
ſagte: „Da, etwas niederwaͤrts, ſiehſt du das Geiſenber-
ger Schloß, gerad hinter demſelben, dort weit weg, iſt ein
„hoher Berg mit drei Koͤpfen, der mittelſte heißt noch der
Kindelsberg, da ſtand vor uralten Zeiten ein Schloß,
„das auch ſo hieß; da wohnten Ritter drauf, die waren ſehr
„gottloſe Leute. Da zur Rechten hatten ſie, an dem Kopf,
„ein ſehr ſchoͤnes Silber-Bergwerk, wovon ſie ſtockreich wur-
„den. Nu, was geſchah! Der Uebermuth ging ſo weit, daß
„ſie ſich ſilberne Kegel machen ließen; wenn ſie nun ſpielten,
„ſo warfen ſie nach dieſen Kegeln mit ſilbernen Kloͤtzen; dann
„backten ſie große Kuchen von Semmelmehl, wie Kutſchen-
„raͤder, machten in der Mitte Loͤcher darein und ſteckten ſie
„an die Achſen; das war nun eine himmelſchreiende Suͤnde,
„denn wie viele Menſchen haben kein Brod zu eſſen! Unſer
„Herr Gott ward es auch endlich muͤde; denn es kam des
„Abends ſpaͤt ein weißes Maͤnnchen ins Schloß, das ſagte
„ihnen an, daß ſie Alle binnen drei Tagen ſterben muͤßten,
„und zum Wahrzeichen gab es ihnen, daß dieſe Nacht eine
„Kuh zwei Laͤmmer werfen wuͤrde. Das geſchah auch, aber
„Niemand kehrte ſich dran, als der juͤngſte Sohn, der Ritter
Sigmund hieß, und eine Tochter, die eine gar ſchoͤne Jung-
„frau war. Dieſe beteten Tag und Nacht. Die Andern ſtar-

Stilling’s Schriften. I. Bd. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0121" n="113"/>
Dorf, der Holz &#x017F;ammelte; &#x017F;obald die&#x017F;er den Schulmei&#x017F;ter kom-<lb/>
men &#x017F;ah, ho&#x0364;rte er auf zu arbeiten und &#x017F;agte:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Es i&#x017F;t gut, Schulmei&#x017F;ter, daß du komm&#x017F;t, ich bin doch<lb/>
&#x201E;mu&#x0364;de; nun ho&#x0364;r&#x2019;, was ich dir &#x017F;agen will, ich denke &#x017F;o eben<lb/>
&#x201E;dran. Ich und dein Großvater haben vor dreißig Jahren<lb/>
&#x201E;einmal hier Kohlen gebrannt, da hatten wir viel Freude!<lb/>
&#x201E;wir kamen immer zu einander, aßen und tranken zu&#x017F;ammen<lb/>
&#x201E;und redeten dann immer von alten Ge&#x017F;chichten. Du &#x017F;ieh&#x017F;t<lb/>
&#x201E;hier rund umher, &#x017F;o weit dein Auge reicht, keinen Berg, aber<lb/>
&#x201E;wir be&#x017F;annen uns auf &#x017F;einen Namen und den Ort, wo er<lb/>
&#x201E;am na&#x0364;ch&#x017F;ten liegt; das war uns dann nun &#x017F;o recht eine Lu&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;wenn wir da &#x017F;o lagen und uns Ge&#x017F;chichten erza&#x0364;hlten, und<lb/>
&#x201E;zugleich den Ort zeigen konnten, wo &#x017F;ie ge&#x017F;chehen waren.&#x201C;<lb/>
Nun hielt der Bauer die linke Hand u&#x0364;ber die Augen, und<lb/>
mit der rechten wies er gegen Abend und Nordwe&#x017F;t hin und<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;Da, etwas niederwa&#x0364;rts, &#x017F;ieh&#x017F;t du das <hi rendition="#g">Gei&#x017F;enber-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">ger</hi> Schloß, gerad hinter dem&#x017F;elben, dort weit weg, i&#x017F;t ein<lb/>
&#x201E;hoher Berg mit drei Ko&#x0364;pfen, der mittel&#x017F;te heißt noch der<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Kindelsberg</hi>, da &#x017F;tand vor uralten Zeiten ein Schloß,<lb/>
&#x201E;das auch &#x017F;o hieß; da wohnten Ritter drauf, die waren &#x017F;ehr<lb/>
&#x201E;gottlo&#x017F;e Leute. Da zur Rechten hatten &#x017F;ie, an dem Kopf,<lb/>
&#x201E;ein &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;nes Silber-Bergwerk, wovon &#x017F;ie &#x017F;tockreich wur-<lb/>
&#x201E;den. Nu, was ge&#x017F;chah! Der Uebermuth ging &#x017F;o weit, daß<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;ilberne Kegel machen ließen; wenn &#x017F;ie nun &#x017F;pielten,<lb/>
&#x201E;&#x017F;o warfen &#x017F;ie nach die&#x017F;en Kegeln mit &#x017F;ilbernen Klo&#x0364;tzen; dann<lb/>
&#x201E;backten &#x017F;ie große Kuchen von Semmelmehl, wie Kut&#x017F;chen-<lb/>
&#x201E;ra&#x0364;der, machten in der Mitte Lo&#x0364;cher darein und &#x017F;teckten &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;an die Ach&#x017F;en; das war nun eine himmel&#x017F;chreiende Su&#x0364;nde,<lb/>
&#x201E;denn wie viele Men&#x017F;chen haben kein Brod zu e&#x017F;&#x017F;en! Un&#x017F;er<lb/>
&#x201E;Herr Gott ward es auch endlich mu&#x0364;de; denn es kam des<lb/>
&#x201E;Abends &#x017F;pa&#x0364;t ein weißes Ma&#x0364;nnchen ins Schloß, das &#x017F;agte<lb/>
&#x201E;ihnen an, daß &#x017F;ie Alle binnen drei Tagen &#x017F;terben mu&#x0364;ßten,<lb/>
&#x201E;und zum Wahrzeichen gab es ihnen, daß <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> Nacht eine<lb/>
&#x201E;Kuh zwei La&#x0364;mmer werfen wu&#x0364;rde. Das ge&#x017F;chah auch, aber<lb/>
&#x201E;Niemand kehrte &#x017F;ich dran, als der ju&#x0364;ng&#x017F;te Sohn, der Ritter<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Sigmund</hi> hieß, und eine Tochter, die eine gar &#x017F;cho&#x0364;ne Jung-<lb/>
&#x201E;frau war. Die&#x017F;e beteten Tag und Nacht. Die Andern &#x017F;tar-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Stilling&#x2019;s Schriften. <hi rendition="#aq">I.</hi> Bd. 8</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0121] Dorf, der Holz ſammelte; ſobald dieſer den Schulmeiſter kom- men ſah, hoͤrte er auf zu arbeiten und ſagte: „Es iſt gut, Schulmeiſter, daß du kommſt, ich bin doch „muͤde; nun hoͤr’, was ich dir ſagen will, ich denke ſo eben „dran. Ich und dein Großvater haben vor dreißig Jahren „einmal hier Kohlen gebrannt, da hatten wir viel Freude! „wir kamen immer zu einander, aßen und tranken zuſammen „und redeten dann immer von alten Geſchichten. Du ſiehſt „hier rund umher, ſo weit dein Auge reicht, keinen Berg, aber „wir beſannen uns auf ſeinen Namen und den Ort, wo er „am naͤchſten liegt; das war uns dann nun ſo recht eine Luſt, „wenn wir da ſo lagen und uns Geſchichten erzaͤhlten, und „zugleich den Ort zeigen konnten, wo ſie geſchehen waren.“ Nun hielt der Bauer die linke Hand uͤber die Augen, und mit der rechten wies er gegen Abend und Nordweſt hin und ſagte: „Da, etwas niederwaͤrts, ſiehſt du das Geiſenber- „ger Schloß, gerad hinter demſelben, dort weit weg, iſt ein „hoher Berg mit drei Koͤpfen, der mittelſte heißt noch der „Kindelsberg, da ſtand vor uralten Zeiten ein Schloß, „das auch ſo hieß; da wohnten Ritter drauf, die waren ſehr „gottloſe Leute. Da zur Rechten hatten ſie, an dem Kopf, „ein ſehr ſchoͤnes Silber-Bergwerk, wovon ſie ſtockreich wur- „den. Nu, was geſchah! Der Uebermuth ging ſo weit, daß „ſie ſich ſilberne Kegel machen ließen; wenn ſie nun ſpielten, „ſo warfen ſie nach dieſen Kegeln mit ſilbernen Kloͤtzen; dann „backten ſie große Kuchen von Semmelmehl, wie Kutſchen- „raͤder, machten in der Mitte Loͤcher darein und ſteckten ſie „an die Achſen; das war nun eine himmelſchreiende Suͤnde, „denn wie viele Menſchen haben kein Brod zu eſſen! Unſer „Herr Gott ward es auch endlich muͤde; denn es kam des „Abends ſpaͤt ein weißes Maͤnnchen ins Schloß, das ſagte „ihnen an, daß ſie Alle binnen drei Tagen ſterben muͤßten, „und zum Wahrzeichen gab es ihnen, daß dieſe Nacht eine „Kuh zwei Laͤmmer werfen wuͤrde. Das geſchah auch, aber „Niemand kehrte ſich dran, als der juͤngſte Sohn, der Ritter „Sigmund hieß, und eine Tochter, die eine gar ſchoͤne Jung- „frau war. Dieſe beteten Tag und Nacht. Die Andern ſtar- Stilling’s Schriften. I. Bd. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/121
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/121>, abgerufen am 23.11.2024.