würde die Mutter nicht zufrieden gewesen seyn, allein dieser Zeitpunkt war der Anfang von Stillings schwerem Leiden; er war zwar ordentlich groß und stark, aber von Jugend auf nicht dazu gewöhnt, und er hatte kein Glied an sich, das zu dergleichen Geschäften gemacht war. Sobald er anfing zu Hacken oder zu Mähen, so zogen sich alle seine Glieder an dem Werkzeug, als wenn sie hätten zerbrechen wollen; er meinte oft vor Müdigkeit und Schmerzen niederzusinken, aber da half alles nichts; Wilhelm fürchtete Verdruß im Hause und seine Frau glaubte immer, Heinrich würde sich nach und nach daran gewöhnen. Diese Lebensart wurde ihm endlich unerträglich, er freute sich nunmehr, wenn er zuweilen an einem regnigten Tag am Handwerk sitzen und seine zerkuirschten Glie- der erquicken konnte; er seufzte unter diesem Joch, ging oft allein, weinte die bittersten Thränen und flehte zum himmli- schen Vater um Erbarmung und um Aenderung seines Zustandes.
Wilhelm litt heimlich mit ihm. Wenn er des Abends mit geschwollenen Händen voller Blasen nach Haus kam, und von Müdigkeit zitterte, so seufzte sein Vater und Beide sehnten sich mit Schmerzen wieder nach einem Schuldienst. Dieser fand sich auch endlich nach einem sehr schweren und mühseligen Sommer ein. Die Leindorfer, wo Wilhelm wohnte, beriefen ihn auf Michaelis 1756 zu ihrem Schulmeister. Stilling willigte in diesen Beruf mit Freuden; er war nun glückselig und trat mit seinem siebenzehnten Jahr dieses Amt wieder an. Er speiste bei seinen Bauern um die Reihe, vor und nach der Schule aber mußte er seinem Vater am Hand- werk helfen. Auf diese Weise blieb ihm keine Zeit zum Stu- diren übrig, als nur, wenn er in der Schule war, und da war der Ort nicht, um selber zu lesen, sondern Andre zu unterrich- ten. Doch stahl er manche Stunde, die er auf die Mathematik und andere Künsteleien verwandte. Wilhelm merkte das, er stellte ihn darüber zu Rede und schärfte ihm das Gewissen. Stilling antwortete mit betrübtem Herzen: "Vater! meine "ganze Seele ist auf die Bücher gerichtet, ich kann meine Nei- "gung nicht bändigen, gebt mir vor und nach der Schule Zeit, "so will ich kein Buch in die Schule bringen." Wilhelm
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wuͤrde die Mutter nicht zufrieden geweſen ſeyn, allein dieſer Zeitpunkt war der Anfang von Stillings ſchwerem Leiden; er war zwar ordentlich groß und ſtark, aber von Jugend auf nicht dazu gewoͤhnt, und er hatte kein Glied an ſich, das zu dergleichen Geſchaͤften gemacht war. Sobald er anfing zu Hacken oder zu Maͤhen, ſo zogen ſich alle ſeine Glieder an dem Werkzeug, als wenn ſie haͤtten zerbrechen wollen; er meinte oft vor Muͤdigkeit und Schmerzen niederzuſinken, aber da half alles nichts; Wilhelm fuͤrchtete Verdruß im Hauſe und ſeine Frau glaubte immer, Heinrich wuͤrde ſich nach und nach daran gewoͤhnen. Dieſe Lebensart wurde ihm endlich unertraͤglich, er freute ſich nunmehr, wenn er zuweilen an einem regnigten Tag am Handwerk ſitzen und ſeine zerkuirſchten Glie- der erquicken konnte; er ſeufzte unter dieſem Joch, ging oft allein, weinte die bitterſten Thraͤnen und flehte zum himmli- ſchen Vater um Erbarmung und um Aenderung ſeines Zuſtandes.
Wilhelm litt heimlich mit ihm. Wenn er des Abends mit geſchwollenen Haͤnden voller Blaſen nach Haus kam, und von Muͤdigkeit zitterte, ſo ſeufzte ſein Vater und Beide ſehnten ſich mit Schmerzen wieder nach einem Schuldienſt. Dieſer fand ſich auch endlich nach einem ſehr ſchweren und muͤhſeligen Sommer ein. Die Leindorfer, wo Wilhelm wohnte, beriefen ihn auf Michaelis 1756 zu ihrem Schulmeiſter. Stilling willigte in dieſen Beruf mit Freuden; er war nun gluͤckſelig und trat mit ſeinem ſiebenzehnten Jahr dieſes Amt wieder an. Er ſpeiste bei ſeinen Bauern um die Reihe, vor und nach der Schule aber mußte er ſeinem Vater am Hand- werk helfen. Auf dieſe Weiſe blieb ihm keine Zeit zum Stu- diren uͤbrig, als nur, wenn er in der Schule war, und da war der Ort nicht, um ſelber zu leſen, ſondern Andre zu unterrich- ten. Doch ſtahl er manche Stunde, die er auf die Mathematik und andere Kuͤnſteleien verwandte. Wilhelm merkte das, er ſtellte ihn daruͤber zu Rede und ſchaͤrfte ihm das Gewiſſen. Stilling antwortete mit betruͤbtem Herzen: „Vater! meine „ganze Seele iſt auf die Buͤcher gerichtet, ich kann meine Nei- „gung nicht baͤndigen, gebt mir vor und nach der Schule Zeit, „ſo will ich kein Buch in die Schule bringen.“ Wilhelm
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wuͤrde die Mutter nicht zufrieden geweſen ſeyn, allein dieſer
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er war zwar ordentlich groß und ſtark, aber von Jugend auf
nicht dazu gewoͤhnt, und er hatte kein Glied an ſich, das zu
dergleichen Geſchaͤften gemacht war. Sobald er anfing zu
Hacken oder zu Maͤhen, ſo zogen ſich alle ſeine Glieder an dem
Werkzeug, als wenn ſie haͤtten zerbrechen wollen; er meinte
oft vor Muͤdigkeit und Schmerzen niederzuſinken, aber da half
alles nichts; Wilhelm fuͤrchtete Verdruß im Hauſe und
ſeine Frau glaubte immer, Heinrich wuͤrde ſich nach und
nach daran gewoͤhnen. Dieſe Lebensart wurde ihm endlich
unertraͤglich, er freute ſich nunmehr, wenn er zuweilen an einem
regnigten Tag am Handwerk ſitzen und ſeine zerkuirſchten Glie-
der erquicken konnte; er ſeufzte unter dieſem Joch, ging oft
allein, weinte die bitterſten Thraͤnen und flehte zum himmli-
ſchen Vater um Erbarmung und um Aenderung ſeines Zuſtandes.
Wilhelm litt heimlich mit ihm. Wenn er des Abends
mit geſchwollenen Haͤnden voller Blaſen nach Haus kam, und
von Muͤdigkeit zitterte, ſo ſeufzte ſein Vater und Beide ſehnten
ſich mit Schmerzen wieder nach einem Schuldienſt. Dieſer
fand ſich auch endlich nach einem ſehr ſchweren und muͤhſeligen
Sommer ein. Die Leindorfer, wo Wilhelm wohnte,
beriefen ihn auf Michaelis 1756 zu ihrem Schulmeiſter.
Stilling willigte in dieſen Beruf mit Freuden; er war
nun gluͤckſelig und trat mit ſeinem ſiebenzehnten Jahr dieſes
Amt wieder an. Er ſpeiste bei ſeinen Bauern um die Reihe,
vor und nach der Schule aber mußte er ſeinem Vater am Hand-
werk helfen. Auf dieſe Weiſe blieb ihm keine Zeit zum Stu-
diren uͤbrig, als nur, wenn er in der Schule war, und da war
der Ort nicht, um ſelber zu leſen, ſondern Andre zu unterrich-
ten. Doch ſtahl er manche Stunde, die er auf die Mathematik
und andere Kuͤnſteleien verwandte. Wilhelm merkte das,
er ſtellte ihn daruͤber zu Rede und ſchaͤrfte ihm das Gewiſſen.
Stilling antwortete mit betruͤbtem Herzen: „Vater! meine
„ganze Seele iſt auf die Buͤcher gerichtet, ich kann meine Nei-
„gung nicht baͤndigen, gebt mir vor und nach der Schule Zeit,
„ſo will ich kein Buch in die Schule bringen.“ Wilhelm
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/139>, abgerufen am 23.11.2024.
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