tändelnden Ton die Spitze geboten, und ihn auf die Neige gebracht haben. Es wird doch einmal eine Zeit kommen, wo man große Hüte tragen, und also auch die Banise als eine herrliche Antiquität lesen wird.
Die Wirkungen dieser Lectüre auf Stilling's Geist waren wunderbar, und gewiß ungewöhnlich; es war Etwas in ihm, das seltene Schicksale in seinem eigenen Leben ahnete; er freute sich auf die Zukunft, faßte Zutrauen zum lieben himm- lischen Vater, und beschloß großmüthig: so gerade zu, blind- lings dem Faden zu folgen, wie ihn ihm die weise Vorsicht in die Hand geben würde. Deßgleichen fühlte er einen himm- lischsüßen Trieb, in seinem Thun und Lassen recht edel zu seyn, eben so, wie die Helden in gemeldeten Büchern vorgestellt wer- den. Er las dann mit einem empfindsam gemachten Herzen die Bibel und geistliche Lebensgeschichten frommer Leute, als Gottfried Arnolds Leben der Altväter; seine Kir- chen- und Ketzerhistorie und andere von der Art mehr. Dadurch erhielt nun sein Geist eine höchst seltsame Richtung, die sich mit nichts vergleichen und nicht beschreiben läßt. Al- les, was er in der Natur sah, jede Gegend idealisirte er zum Paradies, alles war ihm schön und die ganze Welt beinah ein Himmel. Böse Menschen rechnete er mit zu den Thieren, und was sich halb gut auslegen ließ, das war nicht mehr böse in seinen Augen. Ein Mund, der anders sprach, als das Herz dachte, jede Ironie und jede Satyre war ihm ein Gräuel, alle anderen Schwachheiten konnte er entschuldigen.
Die Frau Schmoll lernte ihn auch immer mehr und mehr kennen, und so wuchs auch ihre Liebe zu ihm. Sie bedauerte nichts mehr, als daß er ein Schneider und Schulmeister war, beide Theile waren in ihren Augen schlechte Mittel, ans Brod zu kommen; sie hatte auf ihre Weise ganz recht; Stilling wußte das so gut wie sie; aber seine Nebengeschäfte gefielen ihr eben so wenig, sie sagte wohl zuweilen im Scherz: Ent- weder der Schulmeister kommt noch einst an meine Thüre und bettelt, oder kommt geritten und ist zum Herrn geworden, so, daß wir uns tief vor ihm bücken müssen. Dann präsentirte sie ihm ihre
taͤndelnden Ton die Spitze geboten, und ihn auf die Neige gebracht haben. Es wird doch einmal eine Zeit kommen, wo man große Huͤte tragen, und alſo auch die Baniſe als eine herrliche Antiquitaͤt leſen wird.
Die Wirkungen dieſer Lectuͤre auf Stilling’s Geiſt waren wunderbar, und gewiß ungewoͤhnlich; es war Etwas in ihm, das ſeltene Schickſale in ſeinem eigenen Leben ahnete; er freute ſich auf die Zukunft, faßte Zutrauen zum lieben himm- liſchen Vater, und beſchloß großmuͤthig: ſo gerade zu, blind- lings dem Faden zu folgen, wie ihn ihm die weiſe Vorſicht in die Hand geben wuͤrde. Deßgleichen fuͤhlte er einen himm- liſchſuͤßen Trieb, in ſeinem Thun und Laſſen recht edel zu ſeyn, eben ſo, wie die Helden in gemeldeten Buͤchern vorgeſtellt wer- den. Er las dann mit einem empfindſam gemachten Herzen die Bibel und geiſtliche Lebensgeſchichten frommer Leute, als Gottfried Arnolds Leben der Altvaͤter; ſeine Kir- chen- und Ketzerhiſtorie und andere von der Art mehr. Dadurch erhielt nun ſein Geiſt eine hoͤchſt ſeltſame Richtung, die ſich mit nichts vergleichen und nicht beſchreiben laͤßt. Al- les, was er in der Natur ſah, jede Gegend idealiſirte er zum Paradies, alles war ihm ſchoͤn und die ganze Welt beinah ein Himmel. Boͤſe Menſchen rechnete er mit zu den Thieren, und was ſich halb gut auslegen ließ, das war nicht mehr boͤſe in ſeinen Augen. Ein Mund, der anders ſprach, als das Herz dachte, jede Ironie und jede Satyre war ihm ein Graͤuel, alle anderen Schwachheiten konnte er entſchuldigen.
Die Frau Schmoll lernte ihn auch immer mehr und mehr kennen, und ſo wuchs auch ihre Liebe zu ihm. Sie bedauerte nichts mehr, als daß er ein Schneider und Schulmeiſter war, beide Theile waren in ihren Augen ſchlechte Mittel, ans Brod zu kommen; ſie hatte auf ihre Weiſe ganz recht; Stilling wußte das ſo gut wie ſie; aber ſeine Nebengeſchaͤfte gefielen ihr eben ſo wenig, ſie ſagte wohl zuweilen im Scherz: Ent- weder der Schulmeiſter kommt noch einſt an meine Thuͤre und bettelt, oder kommt geritten und iſt zum Herrn geworden, ſo, daß wir uns tief vor ihm buͤcken muͤſſen. Dann praͤſentirte ſie ihm ihre
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taͤndelnden Ton die Spitze geboten, und ihn auf die Neige
gebracht haben. Es wird doch einmal eine Zeit kommen, wo
man große Huͤte tragen, und alſo auch die Baniſe als eine
herrliche Antiquitaͤt leſen wird.
Die Wirkungen dieſer Lectuͤre auf Stilling’s Geiſt waren
wunderbar, und gewiß ungewoͤhnlich; es war Etwas in ihm,
das ſeltene Schickſale in ſeinem eigenen Leben ahnete; er
freute ſich auf die Zukunft, faßte Zutrauen zum lieben himm-
liſchen Vater, und beſchloß großmuͤthig: ſo gerade zu, blind-
lings dem Faden zu folgen, wie ihn ihm die weiſe Vorſicht in
die Hand geben wuͤrde. Deßgleichen fuͤhlte er einen himm-
liſchſuͤßen Trieb, in ſeinem Thun und Laſſen recht edel zu ſeyn,
eben ſo, wie die Helden in gemeldeten Buͤchern vorgeſtellt wer-
den. Er las dann mit einem empfindſam gemachten Herzen
die Bibel und geiſtliche Lebensgeſchichten frommer Leute, als
Gottfried Arnolds Leben der Altvaͤter; ſeine Kir-
chen- und Ketzerhiſtorie und andere von der Art mehr.
Dadurch erhielt nun ſein Geiſt eine hoͤchſt ſeltſame Richtung,
die ſich mit nichts vergleichen und nicht beſchreiben laͤßt. Al-
les, was er in der Natur ſah, jede Gegend idealiſirte er zum
Paradies, alles war ihm ſchoͤn und die ganze Welt beinah
ein Himmel. Boͤſe Menſchen rechnete er mit zu den Thieren,
und was ſich halb gut auslegen ließ, das war nicht mehr boͤſe
in ſeinen Augen. Ein Mund, der anders ſprach, als das
Herz dachte, jede Ironie und jede Satyre war ihm ein Graͤuel,
alle anderen Schwachheiten konnte er entſchuldigen.
Die Frau Schmoll lernte ihn auch immer mehr und mehr
kennen, und ſo wuchs auch ihre Liebe zu ihm. Sie bedauerte
nichts mehr, als daß er ein Schneider und Schulmeiſter war,
beide Theile waren in ihren Augen ſchlechte Mittel, ans Brod
zu kommen; ſie hatte auf ihre Weiſe ganz recht; Stilling
wußte das ſo gut wie ſie; aber ſeine Nebengeſchaͤfte gefielen
ihr eben ſo wenig, ſie ſagte wohl zuweilen im Scherz: Ent-
weder der Schulmeiſter kommt noch einſt an meine
Thuͤre und bettelt, oder kommt geritten und iſt
zum Herrn geworden, ſo, daß wir uns tief vor
ihm buͤcken muͤſſen. Dann praͤſentirte ſie ihm ihre
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/149>, abgerufen am 23.11.2024.
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