obachter ohne Gefühl, die mittelmäßigen sind Duckmäuser, die schlechtesten Spionen und Verräther. Graser war freund- lich gegen Stilling, aber nicht vertraulich. Stilling hingegen war beides, und das gefiel Jenem, er beobachtete gern Andere im Lichte, stand aber dagegen selber lieber im Dunkeln. Um nun Stilling recht zum Freund zu behal- ten, so sprach er immer von großen Geheimnissen; er verstand magische und sympathetische Kräfte zu regieren, und einstmals vertraute er Stillingen, unter dem Siegel der größten Ver- schwiegenheit, an, daß er die erste Materie des Steins der Weisen recht wohl kenne; Graser sah dabei so geheimniß- voll aus, als wenn er wirklich das große Universal selber besessen hätte. Stilling vermuthete es, und Graser leug- nete es auf eine Art, die Jenen vollends überzeugte, daß er gewiß den Stein der Weisen habe; dazu kam noch, daß Gra- ser immerfort sehr viel Geld hatte, weit mehr, als ihm seine Umstände einbringen konnten. Stilling war überaus ver- gnügt wegen dieser Bekanntschaft, ja er hoffte sogar, dereinst durch Hülfe seines Freundes ein Adeptus zu werden. Gra- ser lieh ihm die Schriften Basilius Valentinus. Er las sie ganz aufmerksam durch, und als er hinten an den Prozeß aus dem ungarischen Vitriol kam, da wußte er gar nicht, wie ihm ward. Er glaubte wirklich, er könnte nun den Stein der Weisen selber machen. Er bedachte sich eine Weile, nun fiel ihm ein, wenn der Prozeß so ganz vollkommen richtig wäre, so müßte ihn ja ein jeder Mensch machen können, der nur das Buch hätte.
Ich kann versichern, daß Stilling's Neigung zur Al- chymie niemalen den Stein der Weisen zum Zweck hatte; wenn er ihn aber gefunden hätte, so wärs ihm lieb gewesen; sondern ein Grundtrieb in seiner Seele, wovon ich bisher noch nichts gesagt habe, fing an, sich bei reifern Jahren zu entwickeln, und der war ein unersättlicher Hunger nach Er- kenntniß der ersten Urkräfte der Natur. Damalen wußte er noch nicht, welchen Namen er dieser Wissenschaft beilegen sollte. Das Wort Philosophie schien ihm was anders zu bedeuten; dieser Wunsch ist noch nicht erfüllt, weder Neu-
obachter ohne Gefuͤhl, die mittelmaͤßigen ſind Duckmaͤuſer, die ſchlechteſten Spionen und Verraͤther. Graſer war freund- lich gegen Stilling, aber nicht vertraulich. Stilling hingegen war beides, und das gefiel Jenem, er beobachtete gern Andere im Lichte, ſtand aber dagegen ſelber lieber im Dunkeln. Um nun Stilling recht zum Freund zu behal- ten, ſo ſprach er immer von großen Geheimniſſen; er verſtand magiſche und ſympathetiſche Kraͤfte zu regieren, und einſtmals vertraute er Stillingen, unter dem Siegel der groͤßten Ver- ſchwiegenheit, an, daß er die erſte Materie des Steins der Weiſen recht wohl kenne; Graſer ſah dabei ſo geheimniß- voll aus, als wenn er wirklich das große Univerſal ſelber beſeſſen haͤtte. Stilling vermuthete es, und Graſer leug- nete es auf eine Art, die Jenen vollends uͤberzeugte, daß er gewiß den Stein der Weiſen habe; dazu kam noch, daß Gra- ſer immerfort ſehr viel Geld hatte, weit mehr, als ihm ſeine Umſtaͤnde einbringen konnten. Stilling war uͤberaus ver- gnuͤgt wegen dieſer Bekanntſchaft, ja er hoffte ſogar, dereinſt durch Huͤlfe ſeines Freundes ein Adeptus zu werden. Gra- ſer lieh ihm die Schriften Baſilius Valentinus. Er las ſie ganz aufmerkſam durch, und als er hinten an den Prozeß aus dem ungariſchen Vitriol kam, da wußte er gar nicht, wie ihm ward. Er glaubte wirklich, er koͤnnte nun den Stein der Weiſen ſelber machen. Er bedachte ſich eine Weile, nun fiel ihm ein, wenn der Prozeß ſo ganz vollkommen richtig waͤre, ſo muͤßte ihn ja ein jeder Menſch machen koͤnnen, der nur das Buch haͤtte.
Ich kann verſichern, daß Stilling’s Neigung zur Al- chymie niemalen den Stein der Weiſen zum Zweck hatte; wenn er ihn aber gefunden haͤtte, ſo waͤrs ihm lieb geweſen; ſondern ein Grundtrieb in ſeiner Seele, wovon ich bisher noch nichts geſagt habe, fing an, ſich bei reifern Jahren zu entwickeln, und der war ein unerſaͤttlicher Hunger nach Er- kenntniß der erſten Urkraͤfte der Natur. Damalen wußte er noch nicht, welchen Namen er dieſer Wiſſenſchaft beilegen ſollte. Das Wort Philoſophie ſchien ihm was anders zu bedeuten; dieſer Wunſch iſt noch nicht erfuͤllt, weder Neu-
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obachter ohne Gefuͤhl, die mittelmaͤßigen ſind Duckmaͤuſer, die
ſchlechteſten Spionen und Verraͤther. Graſer war freund-
lich gegen Stilling, aber nicht vertraulich. Stilling
hingegen war beides, und das gefiel Jenem, er beobachtete
gern Andere im Lichte, ſtand aber dagegen ſelber lieber im
Dunkeln. Um nun Stilling recht zum Freund zu behal-
ten, ſo ſprach er immer von großen Geheimniſſen; er verſtand
magiſche und ſympathetiſche Kraͤfte zu regieren, und einſtmals
vertraute er Stillingen, unter dem Siegel der groͤßten Ver-
ſchwiegenheit, an, daß er die erſte Materie des Steins der
Weiſen recht wohl kenne; Graſer ſah dabei ſo geheimniß-
voll aus, als wenn er wirklich das große Univerſal ſelber
beſeſſen haͤtte. Stilling vermuthete es, und Graſer leug-
nete es auf eine Art, die Jenen vollends uͤberzeugte, daß er
gewiß den Stein der Weiſen habe; dazu kam noch, daß Gra-
ſer immerfort ſehr viel Geld hatte, weit mehr, als ihm ſeine
Umſtaͤnde einbringen konnten. Stilling war uͤberaus ver-
gnuͤgt wegen dieſer Bekanntſchaft, ja er hoffte ſogar, dereinſt
durch Huͤlfe ſeines Freundes ein Adeptus zu werden. Gra-
ſer lieh ihm die Schriften Baſilius Valentinus. Er
las ſie ganz aufmerkſam durch, und als er hinten an den
Prozeß aus dem ungariſchen Vitriol kam, da wußte er gar
nicht, wie ihm ward. Er glaubte wirklich, er koͤnnte nun
den Stein der Weiſen ſelber machen. Er bedachte ſich eine
Weile, nun fiel ihm ein, wenn der Prozeß ſo ganz vollkommen
richtig waͤre, ſo muͤßte ihn ja ein jeder Menſch machen koͤnnen,
der nur das Buch haͤtte.
Ich kann verſichern, daß Stilling’s Neigung zur Al-
chymie niemalen den Stein der Weiſen zum Zweck hatte;
wenn er ihn aber gefunden haͤtte, ſo waͤrs ihm lieb geweſen;
ſondern ein Grundtrieb in ſeiner Seele, wovon ich bisher
noch nichts geſagt habe, fing an, ſich bei reifern Jahren zu
entwickeln, und der war ein unerſaͤttlicher Hunger nach Er-
kenntniß der erſten Urkraͤfte der Natur. Damalen wußte er
noch nicht, welchen Namen er dieſer Wiſſenſchaft beilegen
ſollte. Das Wort Philoſophie ſchien ihm was anders zu
bedeuten; dieſer Wunſch iſt noch nicht erfuͤllt, weder Neu-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/165>, abgerufen am 09.11.2024.
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