wird noch in die Klemme kommen, so stark als er jetzt das Chri- stenthum treibt, wird ers nicht ausführen, er wird ein frommer, ehrlicher Mann bleiben, aber er wird noch was erfahren. Denn er spart gern und hat Lust zu Geld und Gut. Er wird wie- der heirathen, und dann werden seine gebrechlichen Füße dem Kopf nicht folgen können. Aber der Junge, der liebt nicht Geld und Gut, sondern Bücher, und davon läßt sichs im Bauernstand nicht leben. Wie die beiden zusammen stallen werden, weiß ich nicht! -- Aber der Junge wird doch am Ende glücklich seyn, das kann nicht fehlen. Wenn ich eine Axt mache, so will ich damit hauen, und wozu unser Herr Gott einen Menschen schafft, dazu will er ihn auch brauchen!"
Stilling war's, als wenn er im dunkeln Heiligthum geses- sen und ein Orakel gehört hätte, es war, als wenn er entzückt wäre und aus der dunkeln Gruft seines Großvaters die gewohnte Stimme sagen hörte: "Sey getrost, Heinrich, der Gott deiner Väter wird mit dir seyn!"
Nun redete er noch ein und anderes mit seiner Großmutter. Sie ermahnte ihn, geduldig und großmüthig zu seyn, er ver- sprachs mit Thränen und nahm Abschied von ihr. Als er vor die Thür kam, übersah er seine alte romantische Gegenden; die Herbstsonne schien so hell und schön darüber hin, und da es noch früh am Tage war, so beschloß er, alle diese Oerter noch ein- mal zu besuchen, und über das alte Schloß nach Florenburg zurückzugehen. Er ging also den Hof hinauf und in den Wald; er fand noch alle die Gegenden, wo er so viele Süßigkeiten ge- nossen hatte, aber der eine Strauch war verwachsen und der andere ausgerottet, das that ihm leid. Er spazierte langsam den Berg hinauf bis aufs Schloß, auch da waren viele Mauern umgefallen, die in seiner Jugend noch gestanden hatten; alles war verändert; nur der Hollunderstrauch auf dem Wall west- wärts stand noch.
Er stellte sich auf die höchste Spitze zwischen die Ruinen, er konnte da über alles hinwegsehen. Nun überschaute er den Weg von Tiefenbach nach Zellberg. Ihm traten alle die schö- nen Morgen vor seine Seele, mit ihrem herrlichen Genuß, den er die Strecke herauf empfunden hatte. Nun blickte er nord-
12 *
wird noch in die Klemme kommen, ſo ſtark als er jetzt das Chri- ſtenthum treibt, wird ers nicht ausfuͤhren, er wird ein frommer, ehrlicher Mann bleiben, aber er wird noch was erfahren. Denn er ſpart gern und hat Luſt zu Geld und Gut. Er wird wie- der heirathen, und dann werden ſeine gebrechlichen Fuͤße dem Kopf nicht folgen koͤnnen. Aber der Junge, der liebt nicht Geld und Gut, ſondern Buͤcher, und davon laͤßt ſichs im Bauernſtand nicht leben. Wie die beiden zuſammen ſtallen werden, weiß ich nicht! — Aber der Junge wird doch am Ende gluͤcklich ſeyn, das kann nicht fehlen. Wenn ich eine Axt mache, ſo will ich damit hauen, und wozu unſer Herr Gott einen Menſchen ſchafft, dazu will er ihn auch brauchen!“
Stilling war’s, als wenn er im dunkeln Heiligthum geſeſ- ſen und ein Orakel gehoͤrt haͤtte, es war, als wenn er entzuͤckt waͤre und aus der dunkeln Gruft ſeines Großvaters die gewohnte Stimme ſagen hoͤrte: „Sey getroſt, Heinrich, der Gott deiner Vaͤter wird mit dir ſeyn!“
Nun redete er noch ein und anderes mit ſeiner Großmutter. Sie ermahnte ihn, geduldig und großmuͤthig zu ſeyn, er ver- ſprachs mit Thraͤnen und nahm Abſchied von ihr. Als er vor die Thuͤr kam, uͤberſah er ſeine alte romantiſche Gegenden; die Herbſtſonne ſchien ſo hell und ſchoͤn daruͤber hin, und da es noch fruͤh am Tage war, ſo beſchloß er, alle dieſe Oerter noch ein- mal zu beſuchen, und uͤber das alte Schloß nach Florenburg zuruͤckzugehen. Er ging alſo den Hof hinauf und in den Wald; er fand noch alle die Gegenden, wo er ſo viele Suͤßigkeiten ge- noſſen hatte, aber der eine Strauch war verwachſen und der andere ausgerottet, das that ihm leid. Er ſpazierte langſam den Berg hinauf bis aufs Schloß, auch da waren viele Mauern umgefallen, die in ſeiner Jugend noch geſtanden hatten; alles war veraͤndert; nur der Hollunderſtrauch auf dem Wall weſt- waͤrts ſtand noch.
Er ſtellte ſich auf die hoͤchſte Spitze zwiſchen die Ruinen, er konnte da uͤber alles hinwegſehen. Nun uͤberſchaute er den Weg von Tiefenbach nach Zellberg. Ihm traten alle die ſchoͤ- nen Morgen vor ſeine Seele, mit ihrem herrlichen Genuß, den er die Strecke herauf empfunden hatte. Nun blickte er nord-
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wird noch in die Klemme kommen, ſo ſtark als er jetzt das Chri-
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ehrlicher Mann bleiben, aber er wird noch was erfahren. Denn
er ſpart gern und hat Luſt zu Geld und Gut. Er wird wie-
der heirathen, und dann werden ſeine gebrechlichen Fuͤße dem
Kopf nicht folgen koͤnnen. Aber der Junge, der liebt nicht Geld
und Gut, ſondern Buͤcher, und davon laͤßt ſichs im Bauernſtand
nicht leben. Wie die beiden zuſammen ſtallen werden, weiß ich
nicht! — Aber der Junge wird doch am Ende gluͤcklich ſeyn,
das kann nicht fehlen. Wenn ich eine Axt mache, ſo will ich
damit hauen, und wozu unſer Herr Gott einen Menſchen ſchafft,
dazu will er ihn auch brauchen!“
Stilling war’s, als wenn er im dunkeln Heiligthum geſeſ-
ſen und ein Orakel gehoͤrt haͤtte, es war, als wenn er entzuͤckt
waͤre und aus der dunkeln Gruft ſeines Großvaters die gewohnte
Stimme ſagen hoͤrte: „Sey getroſt, Heinrich, der Gott
deiner Vaͤter wird mit dir ſeyn!“
Nun redete er noch ein und anderes mit ſeiner Großmutter.
Sie ermahnte ihn, geduldig und großmuͤthig zu ſeyn, er ver-
ſprachs mit Thraͤnen und nahm Abſchied von ihr. Als er vor
die Thuͤr kam, uͤberſah er ſeine alte romantiſche Gegenden;
die Herbſtſonne ſchien ſo hell und ſchoͤn daruͤber hin, und da es
noch fruͤh am Tage war, ſo beſchloß er, alle dieſe Oerter noch ein-
mal zu beſuchen, und uͤber das alte Schloß nach Florenburg
zuruͤckzugehen. Er ging alſo den Hof hinauf und in den Wald;
er fand noch alle die Gegenden, wo er ſo viele Suͤßigkeiten ge-
noſſen hatte, aber der eine Strauch war verwachſen und der
andere ausgerottet, das that ihm leid. Er ſpazierte langſam
den Berg hinauf bis aufs Schloß, auch da waren viele Mauern
umgefallen, die in ſeiner Jugend noch geſtanden hatten; alles
war veraͤndert; nur der Hollunderſtrauch auf dem Wall weſt-
waͤrts ſtand noch.
Er ſtellte ſich auf die hoͤchſte Spitze zwiſchen die Ruinen, er
konnte da uͤber alles hinwegſehen. Nun uͤberſchaute er den Weg
von Tiefenbach nach Zellberg. Ihm traten alle die ſchoͤ-
nen Morgen vor ſeine Seele, mit ihrem herrlichen Genuß, den
er die Strecke herauf empfunden hatte. Nun blickte er nord-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/187>, abgerufen am 21.11.2024.
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