Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

seinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Pastor würde
ihnen mit aller Macht zuwider seyn, so hatte er schon seine
Maßregeln genommen, um die Sache desto mächtiger durchzu-
setzen. Deßwegen stellte er Wilhelm und seinem Sohn die
Sache vor, und hielt darum an, daß Stilling aufs Neujahr
zu ihm in sein Haus ziehen und mit seinen Kindern eine Pri-
vat-Information in der lateinischen Sprache vornehmen möchte.
Die andern Florenburger Bürger würden alsdann vor und nach
ihre Kinder zu ihm schicken und die Sache würde sich so zusam-
menketten, daß man sie auch gegen Stollbeins Willen würde
durchsetzen können.

Diese Absicht war höchst ungerecht, denn der Pastor hatte
die Aufsicht über die lateinische, wie über alle andern Schulen
in seinem Kirchspiel, und also auch bei jeder Wahl die erste
Stimme.

Stilling wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er
freute sich, daß sich alles so gut schickte. Doch durfte er die
Gesinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr Keilhof
nicht alsbald seinen Vorsatz ändern möchte. Die Sache wurde
also auf diese Weise beschlossen.

Wilhelm und sein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das
Ende aller Leiden da sey. Denn die Stelle war ansehnlich und
einträglich, so daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira-
then würde. Selbst die Stiefmutter fing an, sich zu freuen,
denn sie liebte Stilling wirklich, nur daß sie nicht wußte,
was sie mit ihm machen sollte; sie fürchtete immer, er verdiene
Kost und Trank nicht, geschweige die Kleider; doch was das
letzte betrifft, so war er ihr darin noch nie beschwerlich gewesen,
denn er hatte kaum die Nothdurft.

Er zog also aufs Neujahr 1762 nach Florenburg bei dem
Schöffen Keilhof ein und fing seine lateinische Information
an. Als er einige Tage da gewesen war, that ihm Herr Stoll-
bein
ingeheim zu wissen, er möchte einmal zu ihm kommen,
doch so, daß es Niemand gewahr würde. Dieses geschah auch
an einem Abend in der Dämmerung. Der Pastor freute sich
von Herzen, daß die Sachen eine solche Wendung nahmen.
"Gebt Acht! sagte er zu Stilling, wenn sie wegen Eurer

ſeinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Paſtor wuͤrde
ihnen mit aller Macht zuwider ſeyn, ſo hatte er ſchon ſeine
Maßregeln genommen, um die Sache deſto maͤchtiger durchzu-
ſetzen. Deßwegen ſtellte er Wilhelm und ſeinem Sohn die
Sache vor, und hielt darum an, daß Stilling aufs Neujahr
zu ihm in ſein Haus ziehen und mit ſeinen Kindern eine Pri-
vat-Information in der lateiniſchen Sprache vornehmen moͤchte.
Die andern Florenburger Buͤrger wuͤrden alsdann vor und nach
ihre Kinder zu ihm ſchicken und die Sache wuͤrde ſich ſo zuſam-
menketten, daß man ſie auch gegen Stollbeins Willen wuͤrde
durchſetzen koͤnnen.

Dieſe Abſicht war hoͤchſt ungerecht, denn der Paſtor hatte
die Aufſicht uͤber die lateiniſche, wie uͤber alle andern Schulen
in ſeinem Kirchſpiel, und alſo auch bei jeder Wahl die erſte
Stimme.

Stilling wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er
freute ſich, daß ſich alles ſo gut ſchickte. Doch durfte er die
Geſinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr Keilhof
nicht alsbald ſeinen Vorſatz aͤndern moͤchte. Die Sache wurde
alſo auf dieſe Weiſe beſchloſſen.

Wilhelm und ſein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das
Ende aller Leiden da ſey. Denn die Stelle war anſehnlich und
eintraͤglich, ſo daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira-
then wuͤrde. Selbſt die Stiefmutter fing an, ſich zu freuen,
denn ſie liebte Stilling wirklich, nur daß ſie nicht wußte,
was ſie mit ihm machen ſollte; ſie fuͤrchtete immer, er verdiene
Koſt und Trank nicht, geſchweige die Kleider; doch was das
letzte betrifft, ſo war er ihr darin noch nie beſchwerlich geweſen,
denn er hatte kaum die Nothdurft.

Er zog alſo aufs Neujahr 1762 nach Florenburg bei dem
Schoͤffen Keilhof ein und fing ſeine lateiniſche Information
an. Als er einige Tage da geweſen war, that ihm Herr Stoll-
bein
ingeheim zu wiſſen, er moͤchte einmal zu ihm kommen,
doch ſo, daß es Niemand gewahr wuͤrde. Dieſes geſchah auch
an einem Abend in der Daͤmmerung. Der Paſtor freute ſich
von Herzen, daß die Sachen eine ſolche Wendung nahmen.
„Gebt Acht! ſagte er zu Stilling, wenn ſie wegen Eurer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0194" n="186"/>
&#x017F;einem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Pa&#x017F;tor wu&#x0364;rde<lb/>
ihnen mit aller Macht zuwider &#x017F;eyn, &#x017F;o hatte er &#x017F;chon &#x017F;eine<lb/>
Maßregeln genommen, um die Sache de&#x017F;to ma&#x0364;chtiger durchzu-<lb/>
&#x017F;etzen. Deßwegen &#x017F;tellte er <hi rendition="#g">Wilhelm</hi> und &#x017F;einem Sohn die<lb/>
Sache vor, und hielt darum an, daß <hi rendition="#g">Stilling</hi> aufs Neujahr<lb/>
zu ihm in &#x017F;ein Haus ziehen und mit &#x017F;einen Kindern eine Pri-<lb/>
vat-Information in der lateini&#x017F;chen Sprache vornehmen mo&#x0364;chte.<lb/>
Die andern Florenburger Bu&#x0364;rger wu&#x0364;rden alsdann vor und nach<lb/>
ihre Kinder zu ihm &#x017F;chicken und die Sache wu&#x0364;rde &#x017F;ich &#x017F;o zu&#x017F;am-<lb/>
menketten, daß man &#x017F;ie auch gegen <hi rendition="#g">Stollbeins</hi> Willen wu&#x0364;rde<lb/>
durch&#x017F;etzen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Ab&#x017F;icht war ho&#x0364;ch&#x017F;t ungerecht, denn der Pa&#x017F;tor hatte<lb/>
die Auf&#x017F;icht u&#x0364;ber die lateini&#x017F;che, wie u&#x0364;ber alle andern Schulen<lb/>
in &#x017F;einem Kirch&#x017F;piel, und al&#x017F;o auch bei jeder Wahl die er&#x017F;te<lb/>
Stimme.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er<lb/>
freute &#x017F;ich, daß &#x017F;ich alles &#x017F;o gut &#x017F;chickte. Doch durfte er die<lb/>
Ge&#x017F;innung des Predigers nicht entdecken, damit Herr <hi rendition="#g">Keilhof</hi><lb/>
nicht alsbald &#x017F;einen Vor&#x017F;atz a&#x0364;ndern mo&#x0364;chte. Die Sache wurde<lb/>
al&#x017F;o auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Wilhelm</hi> und &#x017F;ein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das<lb/>
Ende aller Leiden da &#x017F;ey. Denn die Stelle war an&#x017F;ehnlich und<lb/>
eintra&#x0364;glich, &#x017F;o daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira-<lb/>
then wu&#x0364;rde. Selb&#x017F;t die Stiefmutter fing an, &#x017F;ich zu freuen,<lb/>
denn &#x017F;ie liebte <hi rendition="#g">Stilling</hi> wirklich, nur daß &#x017F;ie nicht wußte,<lb/>
was &#x017F;ie mit ihm machen &#x017F;ollte; &#x017F;ie fu&#x0364;rchtete immer, er verdiene<lb/>
Ko&#x017F;t und Trank nicht, ge&#x017F;chweige die Kleider; doch was das<lb/>
letzte betrifft, &#x017F;o war er ihr darin noch nie be&#x017F;chwerlich gewe&#x017F;en,<lb/>
denn er hatte kaum die Nothdurft.</p><lb/>
            <p>Er zog al&#x017F;o aufs Neujahr 1762 nach <hi rendition="#g">Florenburg</hi> bei dem<lb/>
Scho&#x0364;ffen <hi rendition="#g">Keilhof</hi> ein und fing &#x017F;eine lateini&#x017F;che Information<lb/>
an. Als er einige Tage da gewe&#x017F;en war, that ihm Herr <hi rendition="#g">Stoll-<lb/>
bein</hi> ingeheim zu wi&#x017F;&#x017F;en, er mo&#x0364;chte einmal zu ihm kommen,<lb/>
doch &#x017F;o, daß es Niemand gewahr wu&#x0364;rde. Die&#x017F;es ge&#x017F;chah auch<lb/>
an einem Abend in der Da&#x0364;mmerung. Der Pa&#x017F;tor freute &#x017F;ich<lb/>
von Herzen, daß die Sachen eine &#x017F;olche Wendung nahmen.<lb/>
&#x201E;Gebt Acht! &#x017F;agte er zu <hi rendition="#g">Stilling</hi>, wenn &#x017F;ie wegen Eurer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0194] ſeinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Paſtor wuͤrde ihnen mit aller Macht zuwider ſeyn, ſo hatte er ſchon ſeine Maßregeln genommen, um die Sache deſto maͤchtiger durchzu- ſetzen. Deßwegen ſtellte er Wilhelm und ſeinem Sohn die Sache vor, und hielt darum an, daß Stilling aufs Neujahr zu ihm in ſein Haus ziehen und mit ſeinen Kindern eine Pri- vat-Information in der lateiniſchen Sprache vornehmen moͤchte. Die andern Florenburger Buͤrger wuͤrden alsdann vor und nach ihre Kinder zu ihm ſchicken und die Sache wuͤrde ſich ſo zuſam- menketten, daß man ſie auch gegen Stollbeins Willen wuͤrde durchſetzen koͤnnen. Dieſe Abſicht war hoͤchſt ungerecht, denn der Paſtor hatte die Aufſicht uͤber die lateiniſche, wie uͤber alle andern Schulen in ſeinem Kirchſpiel, und alſo auch bei jeder Wahl die erſte Stimme. Stilling wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er freute ſich, daß ſich alles ſo gut ſchickte. Doch durfte er die Geſinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr Keilhof nicht alsbald ſeinen Vorſatz aͤndern moͤchte. Die Sache wurde alſo auf dieſe Weiſe beſchloſſen. Wilhelm und ſein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das Ende aller Leiden da ſey. Denn die Stelle war anſehnlich und eintraͤglich, ſo daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira- then wuͤrde. Selbſt die Stiefmutter fing an, ſich zu freuen, denn ſie liebte Stilling wirklich, nur daß ſie nicht wußte, was ſie mit ihm machen ſollte; ſie fuͤrchtete immer, er verdiene Koſt und Trank nicht, geſchweige die Kleider; doch was das letzte betrifft, ſo war er ihr darin noch nie beſchwerlich geweſen, denn er hatte kaum die Nothdurft. Er zog alſo aufs Neujahr 1762 nach Florenburg bei dem Schoͤffen Keilhof ein und fing ſeine lateiniſche Information an. Als er einige Tage da geweſen war, that ihm Herr Stoll- bein ingeheim zu wiſſen, er moͤchte einmal zu ihm kommen, doch ſo, daß es Niemand gewahr wuͤrde. Dieſes geſchah auch an einem Abend in der Daͤmmerung. Der Paſtor freute ſich von Herzen, daß die Sachen eine ſolche Wendung nahmen. „Gebt Acht! ſagte er zu Stilling, wenn ſie wegen Eurer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/194
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/194>, abgerufen am 15.05.2024.