seinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Pastor würde ihnen mit aller Macht zuwider seyn, so hatte er schon seine Maßregeln genommen, um die Sache desto mächtiger durchzu- setzen. Deßwegen stellte er Wilhelm und seinem Sohn die Sache vor, und hielt darum an, daß Stilling aufs Neujahr zu ihm in sein Haus ziehen und mit seinen Kindern eine Pri- vat-Information in der lateinischen Sprache vornehmen möchte. Die andern Florenburger Bürger würden alsdann vor und nach ihre Kinder zu ihm schicken und die Sache würde sich so zusam- menketten, daß man sie auch gegen Stollbeins Willen würde durchsetzen können.
Diese Absicht war höchst ungerecht, denn der Pastor hatte die Aufsicht über die lateinische, wie über alle andern Schulen in seinem Kirchspiel, und also auch bei jeder Wahl die erste Stimme.
Stilling wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er freute sich, daß sich alles so gut schickte. Doch durfte er die Gesinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr Keilhof nicht alsbald seinen Vorsatz ändern möchte. Die Sache wurde also auf diese Weise beschlossen.
Wilhelm und sein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das Ende aller Leiden da sey. Denn die Stelle war ansehnlich und einträglich, so daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira- then würde. Selbst die Stiefmutter fing an, sich zu freuen, denn sie liebte Stilling wirklich, nur daß sie nicht wußte, was sie mit ihm machen sollte; sie fürchtete immer, er verdiene Kost und Trank nicht, geschweige die Kleider; doch was das letzte betrifft, so war er ihr darin noch nie beschwerlich gewesen, denn er hatte kaum die Nothdurft.
Er zog also aufs Neujahr 1762 nach Florenburg bei dem Schöffen Keilhof ein und fing seine lateinische Information an. Als er einige Tage da gewesen war, that ihm Herr Stoll- bein ingeheim zu wissen, er möchte einmal zu ihm kommen, doch so, daß es Niemand gewahr würde. Dieses geschah auch an einem Abend in der Dämmerung. Der Pastor freute sich von Herzen, daß die Sachen eine solche Wendung nahmen. "Gebt Acht! sagte er zu Stilling, wenn sie wegen Eurer
ſeinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Paſtor wuͤrde ihnen mit aller Macht zuwider ſeyn, ſo hatte er ſchon ſeine Maßregeln genommen, um die Sache deſto maͤchtiger durchzu- ſetzen. Deßwegen ſtellte er Wilhelm und ſeinem Sohn die Sache vor, und hielt darum an, daß Stilling aufs Neujahr zu ihm in ſein Haus ziehen und mit ſeinen Kindern eine Pri- vat-Information in der lateiniſchen Sprache vornehmen moͤchte. Die andern Florenburger Buͤrger wuͤrden alsdann vor und nach ihre Kinder zu ihm ſchicken und die Sache wuͤrde ſich ſo zuſam- menketten, daß man ſie auch gegen Stollbeins Willen wuͤrde durchſetzen koͤnnen.
Dieſe Abſicht war hoͤchſt ungerecht, denn der Paſtor hatte die Aufſicht uͤber die lateiniſche, wie uͤber alle andern Schulen in ſeinem Kirchſpiel, und alſo auch bei jeder Wahl die erſte Stimme.
Stilling wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er freute ſich, daß ſich alles ſo gut ſchickte. Doch durfte er die Geſinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr Keilhof nicht alsbald ſeinen Vorſatz aͤndern moͤchte. Die Sache wurde alſo auf dieſe Weiſe beſchloſſen.
Wilhelm und ſein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das Ende aller Leiden da ſey. Denn die Stelle war anſehnlich und eintraͤglich, ſo daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira- then wuͤrde. Selbſt die Stiefmutter fing an, ſich zu freuen, denn ſie liebte Stilling wirklich, nur daß ſie nicht wußte, was ſie mit ihm machen ſollte; ſie fuͤrchtete immer, er verdiene Koſt und Trank nicht, geſchweige die Kleider; doch was das letzte betrifft, ſo war er ihr darin noch nie beſchwerlich geweſen, denn er hatte kaum die Nothdurft.
Er zog alſo aufs Neujahr 1762 nach Florenburg bei dem Schoͤffen Keilhof ein und fing ſeine lateiniſche Information an. Als er einige Tage da geweſen war, that ihm Herr Stoll- bein ingeheim zu wiſſen, er moͤchte einmal zu ihm kommen, doch ſo, daß es Niemand gewahr wuͤrde. Dieſes geſchah auch an einem Abend in der Daͤmmerung. Der Paſtor freute ſich von Herzen, daß die Sachen eine ſolche Wendung nahmen. „Gebt Acht! ſagte er zu Stilling, wenn ſie wegen Eurer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0194"n="186"/>ſeinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Paſtor wuͤrde<lb/>
ihnen mit aller Macht zuwider ſeyn, ſo hatte er ſchon ſeine<lb/>
Maßregeln genommen, um die Sache deſto maͤchtiger durchzu-<lb/>ſetzen. Deßwegen ſtellte er <hirendition="#g">Wilhelm</hi> und ſeinem Sohn die<lb/>
Sache vor, und hielt darum an, daß <hirendition="#g">Stilling</hi> aufs Neujahr<lb/>
zu ihm in ſein Haus ziehen und mit ſeinen Kindern eine Pri-<lb/>
vat-Information in der lateiniſchen Sprache vornehmen moͤchte.<lb/>
Die andern Florenburger Buͤrger wuͤrden alsdann vor und nach<lb/>
ihre Kinder zu ihm ſchicken und die Sache wuͤrde ſich ſo zuſam-<lb/>
menketten, daß man ſie auch gegen <hirendition="#g">Stollbeins</hi> Willen wuͤrde<lb/>
durchſetzen koͤnnen.</p><lb/><p>Dieſe Abſicht war hoͤchſt ungerecht, denn der Paſtor hatte<lb/>
die Aufſicht uͤber die lateiniſche, wie uͤber alle andern Schulen<lb/>
in ſeinem Kirchſpiel, und alſo auch bei jeder Wahl die erſte<lb/>
Stimme.</p><lb/><p><hirendition="#g">Stilling</hi> wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er<lb/>
freute ſich, daß ſich alles ſo gut ſchickte. Doch durfte er die<lb/>
Geſinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr <hirendition="#g">Keilhof</hi><lb/>
nicht alsbald ſeinen Vorſatz aͤndern moͤchte. Die Sache wurde<lb/>
alſo auf dieſe Weiſe beſchloſſen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Wilhelm</hi> und ſein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das<lb/>
Ende aller Leiden da ſey. Denn die Stelle war anſehnlich und<lb/>
eintraͤglich, ſo daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira-<lb/>
then wuͤrde. Selbſt die Stiefmutter fing an, ſich zu freuen,<lb/>
denn ſie liebte <hirendition="#g">Stilling</hi> wirklich, nur daß ſie nicht wußte,<lb/>
was ſie mit ihm machen ſollte; ſie fuͤrchtete immer, er verdiene<lb/>
Koſt und Trank nicht, geſchweige die Kleider; doch was das<lb/>
letzte betrifft, ſo war er ihr darin noch nie beſchwerlich geweſen,<lb/>
denn er hatte kaum die Nothdurft.</p><lb/><p>Er zog alſo aufs Neujahr 1762 nach <hirendition="#g">Florenburg</hi> bei dem<lb/>
Schoͤffen <hirendition="#g">Keilhof</hi> ein und fing ſeine lateiniſche Information<lb/>
an. Als er einige Tage da geweſen war, that ihm Herr <hirendition="#g">Stoll-<lb/>
bein</hi> ingeheim zu wiſſen, er moͤchte einmal zu ihm kommen,<lb/>
doch ſo, daß es Niemand gewahr wuͤrde. Dieſes geſchah auch<lb/>
an einem Abend in der Daͤmmerung. Der Paſtor freute ſich<lb/>
von Herzen, daß die Sachen eine ſolche Wendung nahmen.<lb/>„Gebt Acht! ſagte er zu <hirendition="#g">Stilling</hi>, wenn ſie wegen Eurer<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[186/0194]
ſeinem Sinn. Da er nun gewiß glaubte, der Paſtor wuͤrde
ihnen mit aller Macht zuwider ſeyn, ſo hatte er ſchon ſeine
Maßregeln genommen, um die Sache deſto maͤchtiger durchzu-
ſetzen. Deßwegen ſtellte er Wilhelm und ſeinem Sohn die
Sache vor, und hielt darum an, daß Stilling aufs Neujahr
zu ihm in ſein Haus ziehen und mit ſeinen Kindern eine Pri-
vat-Information in der lateiniſchen Sprache vornehmen moͤchte.
Die andern Florenburger Buͤrger wuͤrden alsdann vor und nach
ihre Kinder zu ihm ſchicken und die Sache wuͤrde ſich ſo zuſam-
menketten, daß man ſie auch gegen Stollbeins Willen wuͤrde
durchſetzen koͤnnen.
Dieſe Abſicht war hoͤchſt ungerecht, denn der Paſtor hatte
die Aufſicht uͤber die lateiniſche, wie uͤber alle andern Schulen
in ſeinem Kirchſpiel, und alſo auch bei jeder Wahl die erſte
Stimme.
Stilling wußte die geheime Liegenheit der Sache. Er
freute ſich, daß ſich alles ſo gut ſchickte. Doch durfte er die
Geſinnung des Predigers nicht entdecken, damit Herr Keilhof
nicht alsbald ſeinen Vorſatz aͤndern moͤchte. Die Sache wurde
alſo auf dieſe Weiſe beſchloſſen.
Wilhelm und ſein Sohn glaubte nunmehr gewiß, daß das
Ende aller Leiden da ſey. Denn die Stelle war anſehnlich und
eintraͤglich, ſo daß er ehrlich leben konnte, wenn er auch heira-
then wuͤrde. Selbſt die Stiefmutter fing an, ſich zu freuen,
denn ſie liebte Stilling wirklich, nur daß ſie nicht wußte,
was ſie mit ihm machen ſollte; ſie fuͤrchtete immer, er verdiene
Koſt und Trank nicht, geſchweige die Kleider; doch was das
letzte betrifft, ſo war er ihr darin noch nie beſchwerlich geweſen,
denn er hatte kaum die Nothdurft.
Er zog alſo aufs Neujahr 1762 nach Florenburg bei dem
Schoͤffen Keilhof ein und fing ſeine lateiniſche Information
an. Als er einige Tage da geweſen war, that ihm Herr Stoll-
bein ingeheim zu wiſſen, er moͤchte einmal zu ihm kommen,
doch ſo, daß es Niemand gewahr wuͤrde. Dieſes geſchah auch
an einem Abend in der Daͤmmerung. Der Paſtor freute ſich
von Herzen, daß die Sachen eine ſolche Wendung nahmen.
„Gebt Acht! ſagte er zu Stilling, wenn ſie wegen Eurer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/194>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.