Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will! Er fühlte sich tief beruhigt und beschloß alsofort, in die Fremde zu gehen.
Dieses geschah Dienstags vor Ostern. Denselbigen Tag besuchte ihn sein Vater. Der gute Mann hatte wiederum seines Sohnes Schicksal vernommen, und deßwegen kam er nach Florenburg. Beide setzten sich zusammen auf ein ein- sames Zimmer, und nun fing Wilhelm an:
"Heinrich! ich komme zu dir, mit dir Rath zu pflegen; ich sehe nunmehr klar ein, daß du unschuldig gewesen bist. Gott hat dich gewiß zum Schulhalten nicht bestimmt, das Handwerk verstehst du; aber du bist in solchen Umständen, wo es dir die Nothdurft nicht verschaffen kann; und bei mir zu seyn, ist auch für dich nicht, du scheust mein Haus, und das ist auch kein Wunder; ich bin nicht im Stande, dir das Nö- thige zu verschaffen, wenn du nicht die Arbeit verrichten kannst, die ich zu thun habe, es wird mir selber sauer, Frau und Kin- der zu ernähren. Was meinst du, hast du wohl nachgedacht, was du thun willst?"
Vater! darüber hab' ich lange Jahre nachgedacht; aber erst diesen Morgen ist mir klar worden, was ich thun soll; ich muß in die Fremde ziehen und sehen, was Gott mit mir vor hat.
"Wir sind also einerlei Meinung, mein Sohn! Wenn wir der Sache vernünftig nachdenken, so finden wir, daß deine Führung von Anfang dahin gezielt hat, dich aus deinem Va- terland zu treiben; und was kannst du hier erwarten? Dein Oheim hat selber Kinder, und die wird er erst suchen anzu- bringen, eh er dir hilft, indessen gehen deine Jahre um. Aber -- du -- wenn ich deine ersten Jahre -- und die Freude bedenke, die ich an dir haben wollte -- und du bist nun fort -- so ists um Stillings Freude geschehen! Das Ebenbild des ehrlichen Alten." -- Hier konnte er nicht mehr reden, er hielt beide Hände vor die Augen, krümmte sich in einander und weinte laut.
Diese Scene war Stilling unausstehlich, er wurde ohn- mächtig. Als er wieder zu sich selber kam, stand sein Vater
Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will! Er fuͤhlte ſich tief beruhigt und beſchloß alſofort, in die Fremde zu gehen.
Dieſes geſchah Dienſtags vor Oſtern. Denſelbigen Tag beſuchte ihn ſein Vater. Der gute Mann hatte wiederum ſeines Sohnes Schickſal vernommen, und deßwegen kam er nach Florenburg. Beide ſetzten ſich zuſammen auf ein ein- ſames Zimmer, und nun fing Wilhelm an:
„Heinrich! ich komme zu dir, mit dir Rath zu pflegen; ich ſehe nunmehr klar ein, daß du unſchuldig geweſen biſt. Gott hat dich gewiß zum Schulhalten nicht beſtimmt, das Handwerk verſtehſt du; aber du biſt in ſolchen Umſtaͤnden, wo es dir die Nothdurft nicht verſchaffen kann; und bei mir zu ſeyn, iſt auch fuͤr dich nicht, du ſcheuſt mein Haus, und das iſt auch kein Wunder; ich bin nicht im Stande, dir das Noͤ- thige zu verſchaffen, wenn du nicht die Arbeit verrichten kannſt, die ich zu thun habe, es wird mir ſelber ſauer, Frau und Kin- der zu ernaͤhren. Was meinſt du, haſt du wohl nachgedacht, was du thun willſt?“
Vater! daruͤber hab’ ich lange Jahre nachgedacht; aber erſt dieſen Morgen iſt mir klar worden, was ich thun ſoll; ich muß in die Fremde ziehen und ſehen, was Gott mit mir vor hat.
„Wir ſind alſo einerlei Meinung, mein Sohn! Wenn wir der Sache vernuͤnftig nachdenken, ſo finden wir, daß deine Fuͤhrung von Anfang dahin gezielt hat, dich aus deinem Va- terland zu treiben; und was kannſt du hier erwarten? Dein Oheim hat ſelber Kinder, und die wird er erſt ſuchen anzu- bringen, eh er dir hilft, indeſſen gehen deine Jahre um. Aber — du — wenn ich deine erſten Jahre — und die Freude bedenke, die ich an dir haben wollte — und du biſt nun fort — ſo iſts um Stillings Freude geſchehen! Das Ebenbild des ehrlichen Alten.“ — Hier konnte er nicht mehr reden, er hielt beide Haͤnde vor die Augen, kruͤmmte ſich in einander und weinte laut.
Dieſe Scene war Stilling unausſtehlich, er wurde ohn- maͤchtig. Als er wieder zu ſich ſelber kam, ſtand ſein Vater
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Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen
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die Fremde zu gehen.
Dieſes geſchah Dienſtags vor Oſtern. Denſelbigen Tag
beſuchte ihn ſein Vater. Der gute Mann hatte wiederum
ſeines Sohnes Schickſal vernommen, und deßwegen kam er
nach Florenburg. Beide ſetzten ſich zuſammen auf ein ein-
ſames Zimmer, und nun fing Wilhelm an:
„Heinrich! ich komme zu dir, mit dir Rath zu pflegen;
ich ſehe nunmehr klar ein, daß du unſchuldig geweſen biſt.
Gott hat dich gewiß zum Schulhalten nicht beſtimmt, das
Handwerk verſtehſt du; aber du biſt in ſolchen Umſtaͤnden, wo
es dir die Nothdurft nicht verſchaffen kann; und bei mir zu
ſeyn, iſt auch fuͤr dich nicht, du ſcheuſt mein Haus, und das
iſt auch kein Wunder; ich bin nicht im Stande, dir das Noͤ-
thige zu verſchaffen, wenn du nicht die Arbeit verrichten kannſt,
die ich zu thun habe, es wird mir ſelber ſauer, Frau und Kin-
der zu ernaͤhren. Was meinſt du, haſt du wohl nachgedacht,
was du thun willſt?“
Vater! daruͤber hab’ ich lange Jahre nachgedacht; aber erſt
dieſen Morgen iſt mir klar worden, was ich thun ſoll; ich
muß in die Fremde ziehen und ſehen, was Gott mit mir
vor hat.
„Wir ſind alſo einerlei Meinung, mein Sohn! Wenn wir
der Sache vernuͤnftig nachdenken, ſo finden wir, daß deine
Fuͤhrung von Anfang dahin gezielt hat, dich aus deinem Va-
terland zu treiben; und was kannſt du hier erwarten? Dein
Oheim hat ſelber Kinder, und die wird er erſt ſuchen anzu-
bringen, eh er dir hilft, indeſſen gehen deine Jahre um. Aber
— du — wenn ich deine erſten Jahre — und die Freude
bedenke, die ich an dir haben wollte — und du biſt nun fort
— ſo iſts um Stillings Freude geſchehen! Das Ebenbild
des ehrlichen Alten.“ — Hier konnte er nicht mehr reden, er
hielt beide Haͤnde vor die Augen, kruͤmmte ſich in einander
und weinte laut.
Dieſe Scene war Stilling unausſtehlich, er wurde ohn-
maͤchtig. Als er wieder zu ſich ſelber kam, ſtand ſein Vater
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/202>, abgerufen am 04.12.2024.
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