ling Etwas zu wünschen hatte, ausser daß er doch endlich einmal bessere Kleider bekommen möchte. Er schrieb diese Ver- änderung an seinen Vater, und erhielt fröhliche Antwort.
Herr Hochberg kam um Michaelis wieder. Stilling freute sich bei seiner Ankunft, allein diese Freude dauerte nicht lange, Alles veränderte sich vor und nach in eine betrübte Lage für ihn. Herr und Frau Hochberg hatten geglaubt, daß ihr Informator noch Kleider zu Schauberg habe. Da sie nun endlich sahen, daß er wirklich alles mitgebracht hatte, so fin- gen sie an, schlecht von ihm zu denken, und ihm nicht zu trauen; man verschloß alles vor ihm, war zurückhaltend, und oft merkte er aus ihren Reden, daß man ihn für einen Vagabun- den hielte. Nun war alles in der Welt Stillingen eher möglich, als Jemand nur eines Hellers werth zu entwenden, und deßwegen war ihm dieser Umstand ganz unerträglich. Es ist auch gar nicht zu begreifen, woher doch die guten Leute auf einen so fatalen Einfall geriethen. Es ist indessen am al- lerwahrscheinlichsten, daß Jemand unter dem Gesinde untreu war, der diesen Verdacht hinter seinem Rücken auf ihn zu schieben suchte; und was noch das Schlimmste war, sie ließen ihn nichts Deutliches merken, daher man ihm auch alle Gele- genheit abgeschnitten, sich zu vertheidigen.
Vor und nach machte man ihm sein Amt schwerer. So- bald er des Morgens aufstand, ging er herunter in die Stube; man trank sodann Caffee, um sieben Uhr war das geschehen, und sofort mußte er mit den Kindern in die Schule, welche aus einem Kämmerchen bestand, das vier Fuß breit und zehn Fuß lang war, da kam er nun nicht heraus, bis man zwi- schen zwölf und zwei Uhr zum Mittagessen rief, und alsofort nach dem Essen ging er wieder hinein bis um vier Uhr, da man Thee trank; gleich nach dem Thee hieß es wieder: Nun Kinder, in die Schule! und dann kam er vor neun Uhr nicht wieder heraus, dann speiste man zu Nacht, und ging darauf schlafen.
Auf diese Weise hatte er keinen Augenblick für sich, als nur bloß den Sonntag, und diesen brachte er auch traurig zu, weil er wegen Kleidermangel nicht mehr vor die Thür, geschweige
ling Etwas zu wuͤnſchen hatte, auſſer daß er doch endlich einmal beſſere Kleider bekommen moͤchte. Er ſchrieb dieſe Ver- aͤnderung an ſeinen Vater, und erhielt froͤhliche Antwort.
Herr Hochberg kam um Michaelis wieder. Stilling freute ſich bei ſeiner Ankunft, allein dieſe Freude dauerte nicht lange, Alles veraͤnderte ſich vor und nach in eine betruͤbte Lage fuͤr ihn. Herr und Frau Hochberg hatten geglaubt, daß ihr Informator noch Kleider zu Schauberg habe. Da ſie nun endlich ſahen, daß er wirklich alles mitgebracht hatte, ſo fin- gen ſie an, ſchlecht von ihm zu denken, und ihm nicht zu trauen; man verſchloß alles vor ihm, war zuruͤckhaltend, und oft merkte er aus ihren Reden, daß man ihn fuͤr einen Vagabun- den hielte. Nun war alles in der Welt Stillingen eher moͤglich, als Jemand nur eines Hellers werth zu entwenden, und deßwegen war ihm dieſer Umſtand ganz unertraͤglich. Es iſt auch gar nicht zu begreifen, woher doch die guten Leute auf einen ſo fatalen Einfall geriethen. Es iſt indeſſen am al- lerwahrſcheinlichſten, daß Jemand unter dem Geſinde untreu war, der dieſen Verdacht hinter ſeinem Ruͤcken auf ihn zu ſchieben ſuchte; und was noch das Schlimmſte war, ſie ließen ihn nichts Deutliches merken, daher man ihm auch alle Gele- genheit abgeſchnitten, ſich zu vertheidigen.
Vor und nach machte man ihm ſein Amt ſchwerer. So- bald er des Morgens aufſtand, ging er herunter in die Stube; man trank ſodann Caffee, um ſieben Uhr war das geſchehen, und ſofort mußte er mit den Kindern in die Schule, welche aus einem Kaͤmmerchen beſtand, das vier Fuß breit und zehn Fuß lang war, da kam er nun nicht heraus, bis man zwi- ſchen zwoͤlf und zwei Uhr zum Mittageſſen rief, und alſofort nach dem Eſſen ging er wieder hinein bis um vier Uhr, da man Thee trank; gleich nach dem Thee hieß es wieder: Nun Kinder, in die Schule! und dann kam er vor neun Uhr nicht wieder heraus, dann ſpeiste man zu Nacht, und ging darauf ſchlafen.
Auf dieſe Weiſe hatte er keinen Augenblick fuͤr ſich, als nur bloß den Sonntag, und dieſen brachte er auch traurig zu, weil er wegen Kleidermangel nicht mehr vor die Thuͤr, geſchweige
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0225"n="217"/>
ling</hi> Etwas zu wuͤnſchen hatte, auſſer daß er doch endlich<lb/>
einmal beſſere Kleider bekommen moͤchte. Er ſchrieb dieſe Ver-<lb/>
aͤnderung an ſeinen Vater, und erhielt froͤhliche Antwort.</p><lb/><p>Herr <hirendition="#g">Hochberg</hi> kam um Michaelis wieder. <hirendition="#g">Stilling</hi><lb/>
freute ſich bei ſeiner Ankunft, allein dieſe Freude dauerte nicht<lb/>
lange, Alles veraͤnderte ſich vor und nach in eine betruͤbte Lage<lb/>
fuͤr ihn. Herr und Frau <hirendition="#g">Hochberg</hi> hatten geglaubt, daß ihr<lb/>
Informator noch Kleider zu <hirendition="#g">Schauberg</hi> habe. Da ſie nun<lb/>
endlich ſahen, daß er wirklich <hirendition="#g">alles</hi> mitgebracht hatte, ſo fin-<lb/>
gen ſie an, ſchlecht von ihm zu denken, und ihm nicht zu trauen;<lb/>
man verſchloß <hirendition="#g">alles</hi> vor ihm, war zuruͤckhaltend, und oft<lb/>
merkte er aus ihren Reden, daß man ihn fuͤr einen Vagabun-<lb/>
den hielte. Nun war alles in der Welt <hirendition="#g">Stillingen</hi> eher<lb/>
moͤglich, als Jemand nur eines Hellers werth zu entwenden,<lb/>
und deßwegen war ihm dieſer Umſtand ganz unertraͤglich. Es<lb/>
iſt auch gar nicht zu begreifen, woher doch die guten Leute<lb/>
auf einen ſo fatalen Einfall geriethen. Es iſt indeſſen am al-<lb/>
lerwahrſcheinlichſten, daß Jemand unter dem Geſinde untreu<lb/>
war, der <hirendition="#g">dieſen</hi> Verdacht hinter ſeinem Ruͤcken auf ihn zu<lb/>ſchieben ſuchte; und was noch das Schlimmſte war, ſie ließen<lb/>
ihn nichts Deutliches merken, daher man ihm auch alle Gele-<lb/>
genheit abgeſchnitten, ſich zu vertheidigen.</p><lb/><p>Vor und nach machte man ihm ſein Amt ſchwerer. So-<lb/>
bald er des Morgens aufſtand, ging er herunter in die Stube;<lb/>
man trank ſodann Caffee, um ſieben Uhr war das geſchehen,<lb/>
und ſofort mußte er mit den Kindern in die Schule, welche<lb/>
aus einem Kaͤmmerchen beſtand, das vier Fuß breit und zehn<lb/>
Fuß lang war, da kam er nun nicht heraus, bis man zwi-<lb/>ſchen zwoͤlf und zwei Uhr zum Mittageſſen rief, und alſofort<lb/>
nach dem Eſſen ging er wieder hinein bis um vier Uhr, da<lb/>
man Thee trank; gleich nach dem Thee hieß es wieder: Nun<lb/>
Kinder, in die Schule! und dann kam er vor neun Uhr nicht<lb/>
wieder heraus, dann ſpeiste man zu Nacht, und ging darauf<lb/>ſchlafen.</p><lb/><p>Auf dieſe Weiſe hatte er keinen Augenblick fuͤr ſich, als nur<lb/>
bloß den Sonntag, und dieſen brachte er auch traurig zu, weil<lb/>
er wegen Kleidermangel nicht mehr vor die Thuͤr, geſchweige<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[217/0225]
ling Etwas zu wuͤnſchen hatte, auſſer daß er doch endlich
einmal beſſere Kleider bekommen moͤchte. Er ſchrieb dieſe Ver-
aͤnderung an ſeinen Vater, und erhielt froͤhliche Antwort.
Herr Hochberg kam um Michaelis wieder. Stilling
freute ſich bei ſeiner Ankunft, allein dieſe Freude dauerte nicht
lange, Alles veraͤnderte ſich vor und nach in eine betruͤbte Lage
fuͤr ihn. Herr und Frau Hochberg hatten geglaubt, daß ihr
Informator noch Kleider zu Schauberg habe. Da ſie nun
endlich ſahen, daß er wirklich alles mitgebracht hatte, ſo fin-
gen ſie an, ſchlecht von ihm zu denken, und ihm nicht zu trauen;
man verſchloß alles vor ihm, war zuruͤckhaltend, und oft
merkte er aus ihren Reden, daß man ihn fuͤr einen Vagabun-
den hielte. Nun war alles in der Welt Stillingen eher
moͤglich, als Jemand nur eines Hellers werth zu entwenden,
und deßwegen war ihm dieſer Umſtand ganz unertraͤglich. Es
iſt auch gar nicht zu begreifen, woher doch die guten Leute
auf einen ſo fatalen Einfall geriethen. Es iſt indeſſen am al-
lerwahrſcheinlichſten, daß Jemand unter dem Geſinde untreu
war, der dieſen Verdacht hinter ſeinem Ruͤcken auf ihn zu
ſchieben ſuchte; und was noch das Schlimmſte war, ſie ließen
ihn nichts Deutliches merken, daher man ihm auch alle Gele-
genheit abgeſchnitten, ſich zu vertheidigen.
Vor und nach machte man ihm ſein Amt ſchwerer. So-
bald er des Morgens aufſtand, ging er herunter in die Stube;
man trank ſodann Caffee, um ſieben Uhr war das geſchehen,
und ſofort mußte er mit den Kindern in die Schule, welche
aus einem Kaͤmmerchen beſtand, das vier Fuß breit und zehn
Fuß lang war, da kam er nun nicht heraus, bis man zwi-
ſchen zwoͤlf und zwei Uhr zum Mittageſſen rief, und alſofort
nach dem Eſſen ging er wieder hinein bis um vier Uhr, da
man Thee trank; gleich nach dem Thee hieß es wieder: Nun
Kinder, in die Schule! und dann kam er vor neun Uhr nicht
wieder heraus, dann ſpeiste man zu Nacht, und ging darauf
ſchlafen.
Auf dieſe Weiſe hatte er keinen Augenblick fuͤr ſich, als nur
bloß den Sonntag, und dieſen brachte er auch traurig zu, weil
er wegen Kleidermangel nicht mehr vor die Thuͤr, geſchweige
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/225>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.