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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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kann! Allein alle Einwendungen der Vernunft waren ganz frucht-
los, sein Trieb dazu war so groß, und die Lust so heftig, daß
er nicht genug eilen konnte, um zum Anfang zu kommen. Er
sagte dieses alles Herrn Spanier; dieser bedachte sich ein
wenig, endlich sagte er: wenn Ihr Griechisch lernen müßt, so
lernt es! Stilling machte sich alsofort auf, und ging nach
Waldstätt zu einem gewissen vortrefflichen Candidaten der
Gottesgelahrtheit, der sein sehr guter Freund war, diesem ent-
deckte er alles. Der Candidat freute sich, munterte ihn da-
zu auf, und sogar empfahl er ihm die Theologie zu studieren;
allein Stilling spürte keine Neigung dazu, sein Freund war
auch damit zufrieden, und rieth ihm, auf den Wink Gottes
genau zu merken, und demselben, sobald er ihn spürte, blind-
lings zu folgen. Nun schenkte er ihm die nöthigen Bücher,
die griechische Sprache zu lernen, und wünschte ihm Gottes
Segen. Von da ging er auch zu den Predigern, und ent-
deckte ihnen sein Vorhaben; diese waren auch sehr wohl da-
mit zufrieden, besonders Herr Seelburg versprach ihm alle
Hülfe und nöthigen Unterricht, denn er kam alle Woche zwei-
mal in Herrn Spaniers Haus.

Nun fing Stilling an Griechisch zu lernen. Er applicirte
sich mit aller Kraft darauf, bekümmerte sich aber wenig um
die Schulmethode, sondern er suchte nur mit Verstand in den
Genius der Sprache einzudringen, um das, was er las, recht
zu verstehen. Kurz, in fünf Wochen hatte er auch die fünf er-
sten Kapitel des Evangeliums Matthäi, ohne Fehler gemacht
zu haben, ins Lateinische übersetzt, und alle Wörter zugleich
analisiret. Herr Pastor Seelburg erstaunte und wußte nicht,
was er sagen sollte; dieser rechtschaffene Mann unterrichtete ihn
nur in der Aussprache, und die faßte er gar bald. Bei die-
ser Gelegenheit machte er sich auch ans Hebräische, und brachte
es auch darin in Kurzem so weit, das er mit Hülfe eines Lexi-
cons sich helfen konnte; auch hier that Herr Seelburg sein
Bestes an ihm.

Indessen, daß er mit erstaunlichem Fleiß und Arbeit sich
mit diesen Sprachen beschäftigte, schwieg Herr Spanier ganz
still dazu, und ließ ihn machen; kein Mensch wußte, was aus

kann! Allein alle Einwendungen der Vernunft waren ganz frucht-
los, ſein Trieb dazu war ſo groß, und die Luſt ſo heftig, daß
er nicht genug eilen konnte, um zum Anfang zu kommen. Er
ſagte dieſes alles Herrn Spanier; dieſer bedachte ſich ein
wenig, endlich ſagte er: wenn Ihr Griechiſch lernen muͤßt, ſo
lernt es! Stilling machte ſich alſofort auf, und ging nach
Waldſtaͤtt zu einem gewiſſen vortrefflichen Candidaten der
Gottesgelahrtheit, der ſein ſehr guter Freund war, dieſem ent-
deckte er alles. Der Candidat freute ſich, munterte ihn da-
zu auf, und ſogar empfahl er ihm die Theologie zu ſtudieren;
allein Stilling ſpuͤrte keine Neigung dazu, ſein Freund war
auch damit zufrieden, und rieth ihm, auf den Wink Gottes
genau zu merken, und demſelben, ſobald er ihn ſpuͤrte, blind-
lings zu folgen. Nun ſchenkte er ihm die noͤthigen Buͤcher,
die griechiſche Sprache zu lernen, und wuͤnſchte ihm Gottes
Segen. Von da ging er auch zu den Predigern, und ent-
deckte ihnen ſein Vorhaben; dieſe waren auch ſehr wohl da-
mit zufrieden, beſonders Herr Seelburg verſprach ihm alle
Huͤlfe und noͤthigen Unterricht, denn er kam alle Woche zwei-
mal in Herrn Spaniers Haus.

Nun fing Stilling an Griechiſch zu lernen. Er applicirte
ſich mit aller Kraft darauf, bekuͤmmerte ſich aber wenig um
die Schulmethode, ſondern er ſuchte nur mit Verſtand in den
Genius der Sprache einzudringen, um das, was er las, recht
zu verſtehen. Kurz, in fuͤnf Wochen hatte er auch die fuͤnf er-
ſten Kapitel des Evangeliums Matthaͤi, ohne Fehler gemacht
zu haben, ins Lateiniſche uͤberſetzt, und alle Woͤrter zugleich
analiſiret. Herr Paſtor Seelburg erſtaunte und wußte nicht,
was er ſagen ſollte; dieſer rechtſchaffene Mann unterrichtete ihn
nur in der Ausſprache, und die faßte er gar bald. Bei die-
ſer Gelegenheit machte er ſich auch ans Hebraͤiſche, und brachte
es auch darin in Kurzem ſo weit, das er mit Huͤlfe eines Lexi-
cons ſich helfen konnte; auch hier that Herr Seelburg ſein
Beſtes an ihm.

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mit dieſen Sprachen beſchaͤftigte, ſchwieg Herr Spanier ganz
ſtill dazu, und ließ ihn machen; kein Menſch wußte, was aus

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[246/0254] kann! Allein alle Einwendungen der Vernunft waren ganz frucht- los, ſein Trieb dazu war ſo groß, und die Luſt ſo heftig, daß er nicht genug eilen konnte, um zum Anfang zu kommen. Er ſagte dieſes alles Herrn Spanier; dieſer bedachte ſich ein wenig, endlich ſagte er: wenn Ihr Griechiſch lernen muͤßt, ſo lernt es! Stilling machte ſich alſofort auf, und ging nach Waldſtaͤtt zu einem gewiſſen vortrefflichen Candidaten der Gottesgelahrtheit, der ſein ſehr guter Freund war, dieſem ent- deckte er alles. Der Candidat freute ſich, munterte ihn da- zu auf, und ſogar empfahl er ihm die Theologie zu ſtudieren; allein Stilling ſpuͤrte keine Neigung dazu, ſein Freund war auch damit zufrieden, und rieth ihm, auf den Wink Gottes genau zu merken, und demſelben, ſobald er ihn ſpuͤrte, blind- lings zu folgen. Nun ſchenkte er ihm die noͤthigen Buͤcher, die griechiſche Sprache zu lernen, und wuͤnſchte ihm Gottes Segen. Von da ging er auch zu den Predigern, und ent- deckte ihnen ſein Vorhaben; dieſe waren auch ſehr wohl da- mit zufrieden, beſonders Herr Seelburg verſprach ihm alle Huͤlfe und noͤthigen Unterricht, denn er kam alle Woche zwei- mal in Herrn Spaniers Haus. Nun fing Stilling an Griechiſch zu lernen. Er applicirte ſich mit aller Kraft darauf, bekuͤmmerte ſich aber wenig um die Schulmethode, ſondern er ſuchte nur mit Verſtand in den Genius der Sprache einzudringen, um das, was er las, recht zu verſtehen. Kurz, in fuͤnf Wochen hatte er auch die fuͤnf er- ſten Kapitel des Evangeliums Matthaͤi, ohne Fehler gemacht zu haben, ins Lateiniſche uͤberſetzt, und alle Woͤrter zugleich analiſiret. Herr Paſtor Seelburg erſtaunte und wußte nicht, was er ſagen ſollte; dieſer rechtſchaffene Mann unterrichtete ihn nur in der Ausſprache, und die faßte er gar bald. Bei die- ſer Gelegenheit machte er ſich auch ans Hebraͤiſche, und brachte es auch darin in Kurzem ſo weit, das er mit Huͤlfe eines Lexi- cons ſich helfen konnte; auch hier that Herr Seelburg ſein Beſtes an ihm. Indeſſen, daß er mit erſtaunlichem Fleiß und Arbeit ſich mit dieſen Sprachen beſchaͤftigte, ſchwieg Herr Spanier ganz ſtill dazu, und ließ ihn machen; kein Menſch wußte, was aus

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/254>, abgerufen am 24.11.2024.