heiße Stilling und hab' Etwas mit dem Herrn Pastor zu sprechen. Sie ging hinauf; nun kam der alte Greis selber, bewillkommte Stilling, und führte ihn hinauf in sein klei- nes Kabinettchen. Hier überreichtr er seinen Brief. Nachdem Molitor denselben gelesen hatte, so umarmte er Stillin- gen, und erkundigte sich nach seinen Umständen und nach sei- nem Vorhaben. Er blieb diesen ganzen Tag bei ihm, besahe das niedliche Laboratorium, seine bequeme Augen-Apotheke, und seine kleine Bibliothek. Dieses alles, sagte Herr Molitor, will ich Ihnen in meinem Testament vermachen, eh ich sterbe. So verbrachten sie diesen Tag recht vergnügt zusammen.
Des andern Morgens früh gab Molitor das Manuscript an Stillingen ab, doch mit dem Beding, daß er's abschrei- ben, und ihm das Original wieder zustellen sollte; dagegen ge- lobte Molitor mit einem theuren Eid, daß er's Niemand weiter geben, sondern es so verbergen wollte, daß es niemals Jemand wieder finden könnte. Ueberdieß hatte der ehrliche Greis noch verschiedene Bücher apart gestellt, die er Stil- ling mit nächstem zu schicken versprach; allein dieser packte sie in seinen Reisesack, nahm sie auf seinen Buckel und trug sie fort. Molitor begleitete ihn bis vor das Thor, da sah er auf gen Himmel, faßte Stilling an der Hand, und sagte: "Der Herr! der Heilige! der Ueberallgegenwärtige! bewirke Sie durch seinen heiligen Geist zum besten Menschen, zum besten Christen, und zum besten Arzt!" Hierauf küßten sie sich, und schieden von einander.
Stilling vergoß Thränen bei diesem Abschied, und dankte Gott für diesen vortrefflichen Freund. Er hatte zehn Stunden bis zu Herrn Spanier hin; diese machte er noch heute ab, und kam des Abends, schwer mit Büchern beladen, zu Hause an. Er erzählte seinem Patron den neuen Vorfall; dieser be- wunderte mit ihm die sonderbare Führung und Leitung Gottes.
Nun begab sich Stilling ans Abschreiben. In vier Wo- chen hatte er dieses, bei seinen Geschäften, vollendet. Er packte also ein Pfund guten Thee, ein Pfund Zucker, und sonst noch ein und anderes in den Reisesack, desgleichen auch die beiden Mannscripte, und ging an einem frühen Morgen
heiße Stilling und hab’ Etwas mit dem Herrn Paſtor zu ſprechen. Sie ging hinauf; nun kam der alte Greis ſelber, bewillkommte Stilling, und fuͤhrte ihn hinauf in ſein klei- nes Kabinettchen. Hier uͤberreichtr er ſeinen Brief. Nachdem Molitor denſelben geleſen hatte, ſo umarmte er Stillin- gen, und erkundigte ſich nach ſeinen Umſtaͤnden und nach ſei- nem Vorhaben. Er blieb dieſen ganzen Tag bei ihm, beſahe das niedliche Laboratorium, ſeine bequeme Augen-Apotheke, und ſeine kleine Bibliothek. Dieſes alles, ſagte Herr Molitor, will ich Ihnen in meinem Teſtament vermachen, eh ich ſterbe. So verbrachten ſie dieſen Tag recht vergnuͤgt zuſammen.
Des andern Morgens fruͤh gab Molitor das Manuſcript an Stillingen ab, doch mit dem Beding, daß er’s abſchrei- ben, und ihm das Original wieder zuſtellen ſollte; dagegen ge- lobte Molitor mit einem theuren Eid, daß er’s Niemand weiter geben, ſondern es ſo verbergen wollte, daß es niemals Jemand wieder finden koͤnnte. Ueberdieß hatte der ehrliche Greis noch verſchiedene Buͤcher apart geſtellt, die er Stil- ling mit naͤchſtem zu ſchicken verſprach; allein dieſer packte ſie in ſeinen Reiſeſack, nahm ſie auf ſeinen Buckel und trug ſie fort. Molitor begleitete ihn bis vor das Thor, da ſah er auf gen Himmel, faßte Stilling an der Hand, und ſagte: „Der Herr! der Heilige! der Ueberallgegenwaͤrtige! bewirke Sie durch ſeinen heiligen Geiſt zum beſten Menſchen, zum beſten Chriſten, und zum beſten Arzt!“ Hierauf kuͤßten ſie ſich, und ſchieden von einander.
Stilling vergoß Thraͤnen bei dieſem Abſchied, und dankte Gott fuͤr dieſen vortrefflichen Freund. Er hatte zehn Stunden bis zu Herrn Spanier hin; dieſe machte er noch heute ab, und kam des Abends, ſchwer mit Buͤchern beladen, zu Hauſe an. Er erzaͤhlte ſeinem Patron den neuen Vorfall; dieſer be- wunderte mit ihm die ſonderbare Fuͤhrung und Leitung Gottes.
Nun begab ſich Stilling ans Abſchreiben. In vier Wo- chen hatte er dieſes, bei ſeinen Geſchaͤften, vollendet. Er packte alſo ein Pfund guten Thee, ein Pfund Zucker, und ſonſt noch ein und anderes in den Reiſeſack, desgleichen auch die beiden Mannſcripte, und ging an einem fruͤhen Morgen
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heiße Stilling und hab’ Etwas mit dem Herrn Paſtor zu
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bewillkommte Stilling, und fuͤhrte ihn hinauf in ſein klei-
nes Kabinettchen. Hier uͤberreichtr er ſeinen Brief. Nachdem
Molitor denſelben geleſen hatte, ſo umarmte er Stillin-
gen, und erkundigte ſich nach ſeinen Umſtaͤnden und nach ſei-
nem Vorhaben. Er blieb dieſen ganzen Tag bei ihm, beſahe
das niedliche Laboratorium, ſeine bequeme Augen-Apotheke, und
ſeine kleine Bibliothek. Dieſes alles, ſagte Herr Molitor,
will ich Ihnen in meinem Teſtament vermachen, eh ich ſterbe.
So verbrachten ſie dieſen Tag recht vergnuͤgt zuſammen.
Des andern Morgens fruͤh gab Molitor das Manuſcript
an Stillingen ab, doch mit dem Beding, daß er’s abſchrei-
ben, und ihm das Original wieder zuſtellen ſollte; dagegen ge-
lobte Molitor mit einem theuren Eid, daß er’s Niemand
weiter geben, ſondern es ſo verbergen wollte, daß es niemals
Jemand wieder finden koͤnnte. Ueberdieß hatte der ehrliche
Greis noch verſchiedene Buͤcher apart geſtellt, die er Stil-
ling mit naͤchſtem zu ſchicken verſprach; allein dieſer packte
ſie in ſeinen Reiſeſack, nahm ſie auf ſeinen Buckel und trug
ſie fort. Molitor begleitete ihn bis vor das Thor, da ſah
er auf gen Himmel, faßte Stilling an der Hand, und ſagte:
„Der Herr! der Heilige! der Ueberallgegenwaͤrtige! bewirke Sie
durch ſeinen heiligen Geiſt zum beſten Menſchen, zum beſten
Chriſten, und zum beſten Arzt!“ Hierauf kuͤßten ſie ſich, und
ſchieden von einander.
Stilling vergoß Thraͤnen bei dieſem Abſchied, und dankte
Gott fuͤr dieſen vortrefflichen Freund. Er hatte zehn Stunden
bis zu Herrn Spanier hin; dieſe machte er noch heute ab,
und kam des Abends, ſchwer mit Buͤchern beladen, zu Hauſe
an. Er erzaͤhlte ſeinem Patron den neuen Vorfall; dieſer be-
wunderte mit ihm die ſonderbare Fuͤhrung und Leitung Gottes.
Nun begab ſich Stilling ans Abſchreiben. In vier Wo-
chen hatte er dieſes, bei ſeinen Geſchaͤften, vollendet. Er
packte alſo ein Pfund guten Thee, ein Pfund Zucker, und
ſonſt noch ein und anderes in den Reiſeſack, desgleichen auch
die beiden Mannſcripte, und ging an einem fruͤhen Morgen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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