Er war überzeugt, daß Herr Spanier, sobald er diesen Schritt erfahren würde, alsofort seinen Beistand von ihm abziehen, und ihn abdanken würde, folglich wär er dann ohne Brod, und wieder in seine vorigen Umstände versetzt. Ueber das konnte er sich unmöglich vorstellen, daß Herr Friedenberg mit ihm zufrieden seyn würde; denn in solchen Umständen sich mit seiner Tochter zu verloben, wo er für sich selber kein Brod verdienen, geschweige Frau und Kinder ernähren konnte, ja sogar ein großes Kapital nöthig hatte, das war eigentlich ein schlechtes Freundschaftsstück, es konnte vielmehr als ein er- schrecklicher Mißbrauch derselben angesehen werden. Diese Vor- stellungen machten Stillingen herzlich angst, und er fürch- tete, in noch beschwerlichere Umstände zu gerathen, als er jemals erlebt hatte. Es war ihm wie einem, der auf einen hohen Felsen am Meer geklettert ist, und, ohne Gefahr zer- schmettert zu werden, nicht herab kommen kann, er wagt's und springt ins Meer, ob er sich mit Schwimmen noch ret- ten möchte.
Stilling wußte auch keinen andern Rath mehr; er warf sich mit seinem Mädchen in die Arme der väterlichen Für- sorge Gottes, und nun war er ruhig; er beschloß aber den- noch, weder Herrn Spanier noch sonst Jemand in der Welt Etwas von diesem Vorfall zu sagen.
Herr Friedenberg hatte Stillingen die Erlaubniß gegeben, alle Medicamente in dasigen Gegenden nun an ihn zu fernerer Besorgung zu übermachen; deßwegen schickte er des folgenden Samstags, welches neun Tage nach seiner Verlo- bung war, ein Päckchen Medicin an ihn ab, wobei er einen Brief fügte, der ganz aus seinem Herzen geflossen war, und welcher ziemlich entdeckte, was darinnen vorging; ja, was noch mehr war, er schloß sogar ein versiegeltes Schreiben an seine Verlobte darin ein, und alles dieses that er ohne Ueber- legung und Nachdenken, was für Folgen daraus entstehen könnten; als aber das Paquet fort war, da überdachte er erst, was daraus werden könnte; ihm schlug das Herz, und er wußte sich fast nicht zu fassen.
Niemals ist ein Weg für ihn saurer gewesen, als wie er
17 *
Er war uͤberzeugt, daß Herr Spanier, ſobald er dieſen Schritt erfahren wuͤrde, alſofort ſeinen Beiſtand von ihm abziehen, und ihn abdanken wuͤrde, folglich waͤr er dann ohne Brod, und wieder in ſeine vorigen Umſtaͤnde verſetzt. Ueber das konnte er ſich unmoͤglich vorſtellen, daß Herr Friedenberg mit ihm zufrieden ſeyn wuͤrde; denn in ſolchen Umſtaͤnden ſich mit ſeiner Tochter zu verloben, wo er fuͤr ſich ſelber kein Brod verdienen, geſchweige Frau und Kinder ernaͤhren konnte, ja ſogar ein großes Kapital noͤthig hatte, das war eigentlich ein ſchlechtes Freundſchaftsſtuͤck, es konnte vielmehr als ein er- ſchrecklicher Mißbrauch derſelben angeſehen werden. Dieſe Vor- ſtellungen machten Stillingen herzlich angſt, und er fuͤrch- tete, in noch beſchwerlichere Umſtaͤnde zu gerathen, als er jemals erlebt hatte. Es war ihm wie einem, der auf einen hohen Felſen am Meer geklettert iſt, und, ohne Gefahr zer- ſchmettert zu werden, nicht herab kommen kann, er wagt’s und ſpringt ins Meer, ob er ſich mit Schwimmen noch ret- ten moͤchte.
Stilling wußte auch keinen andern Rath mehr; er warf ſich mit ſeinem Maͤdchen in die Arme der vaͤterlichen Fuͤr- ſorge Gottes, und nun war er ruhig; er beſchloß aber den- noch, weder Herrn Spanier noch ſonſt Jemand in der Welt Etwas von dieſem Vorfall zu ſagen.
Herr Friedenberg hatte Stillingen die Erlaubniß gegeben, alle Medicamente in daſigen Gegenden nun an ihn zu fernerer Beſorgung zu uͤbermachen; deßwegen ſchickte er des folgenden Samſtags, welches neun Tage nach ſeiner Verlo- bung war, ein Paͤckchen Medicin an ihn ab, wobei er einen Brief fuͤgte, der ganz aus ſeinem Herzen gefloſſen war, und welcher ziemlich entdeckte, was darinnen vorging; ja, was noch mehr war, er ſchloß ſogar ein verſiegeltes Schreiben an ſeine Verlobte darin ein, und alles dieſes that er ohne Ueber- legung und Nachdenken, was fuͤr Folgen daraus entſtehen koͤnnten; als aber das Paquet fort war, da uͤberdachte er erſt, was daraus werden koͤnnte; ihm ſchlug das Herz, und er wußte ſich faſt nicht zu faſſen.
Niemals iſt ein Weg fuͤr ihn ſaurer geweſen, als wie er
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Er war uͤberzeugt, daß Herr Spanier, ſobald er dieſen Schritt
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ihn abdanken wuͤrde, folglich waͤr er dann ohne Brod, und
wieder in ſeine vorigen Umſtaͤnde verſetzt. Ueber das konnte er
ſich unmoͤglich vorſtellen, daß Herr Friedenberg mit ihm
zufrieden ſeyn wuͤrde; denn in ſolchen Umſtaͤnden ſich mit
ſeiner Tochter zu verloben, wo er fuͤr ſich ſelber kein Brod
verdienen, geſchweige Frau und Kinder ernaͤhren konnte, ja
ſogar ein großes Kapital noͤthig hatte, das war eigentlich ein
ſchlechtes Freundſchaftsſtuͤck, es konnte vielmehr als ein er-
ſchrecklicher Mißbrauch derſelben angeſehen werden. Dieſe Vor-
ſtellungen machten Stillingen herzlich angſt, und er fuͤrch-
tete, in noch beſchwerlichere Umſtaͤnde zu gerathen, als er
jemals erlebt hatte. Es war ihm wie einem, der auf einen
hohen Felſen am Meer geklettert iſt, und, ohne Gefahr zer-
ſchmettert zu werden, nicht herab kommen kann, er wagt’s
und ſpringt ins Meer, ob er ſich mit Schwimmen noch ret-
ten moͤchte.
Stilling wußte auch keinen andern Rath mehr; er warf
ſich mit ſeinem Maͤdchen in die Arme der vaͤterlichen Fuͤr-
ſorge Gottes, und nun war er ruhig; er beſchloß aber den-
noch, weder Herrn Spanier noch ſonſt Jemand in der Welt
Etwas von dieſem Vorfall zu ſagen.
Herr Friedenberg hatte Stillingen die Erlaubniß
gegeben, alle Medicamente in daſigen Gegenden nun an ihn
zu fernerer Beſorgung zu uͤbermachen; deßwegen ſchickte er des
folgenden Samſtags, welches neun Tage nach ſeiner Verlo-
bung war, ein Paͤckchen Medicin an ihn ab, wobei er einen
Brief fuͤgte, der ganz aus ſeinem Herzen gefloſſen war, und
welcher ziemlich entdeckte, was darinnen vorging; ja, was
noch mehr war, er ſchloß ſogar ein verſiegeltes Schreiben an
ſeine Verlobte darin ein, und alles dieſes that er ohne Ueber-
legung und Nachdenken, was fuͤr Folgen daraus entſtehen
koͤnnten; als aber das Paquet fort war, da uͤberdachte er erſt,
was daraus werden koͤnnte; ihm ſchlug das Herz, und er
wußte ſich faſt nicht zu faſſen.
Niemals iſt ein Weg fuͤr ihn ſaurer geweſen, als wie er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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