stinen und Stillingen in der Stube. Letzterer fing nun an, und erzählte getreu den ganzen Vorfall mit den kleinsten Um- ständen, und schloß mit diesen Worten: Nun frage ich Sie aufrichtig: "Ob Sie mich von Herzen gern unter die Zahl Ihrer Kinder aufnehmen wollen? ich werde alle kindliche Pflich- ten durch Gottes Gnade treulich erfüllen, und ich protestire feierlich gegen alle Hülfe und Beistand zu meinem Studiren. Ich begehre bloß Ihre Jungfer Tochter; ja, ich nehme Gott zum Zeugen, daß mir der Gedanke der fürchterlichste ist, den ich haben kann, wenn ich mir vorstelle, daß Sie wohl denken könnten: ich hätte bei dieser Verbindung eine unedle Absicht gehabt.
Herr Friedenberg seufzte tief, und ein paar Thränen liefen seine Wangen herunter. Ja, sagte er: Herr Gevatter! ich bin damit zufrieden, und nehme Sie willig zu meinem Sohn an; denn ich sehe, daß Gottes Finger in dieser Sache wirkt. Ich kann nichts dawider einwenden; überdem kenne ich Sie, und weiß wohl, daß Sie zu ehrlich sind, um solche unchristliche Absichten zu haben; das muß ich aber noch hinzufügen, daß ich auch gar nicht im Stande dazu bin, Sie studiren zu lassen. Nun wendete er sich zu Christinen, und sagte: Getraust Du dich aber auch, die lange Abwesenheit Deines Geliebten zu er- tragen? Sie antwortete: Ja, Gott wird mir Kraft dazu geben!
Nun stand Herr Friedenberg auf, umarmte Stillin- gen, küßte ihn und weinte an seinem Halse: nach ihm that Frau Friedenberg deßgleichen. Die Empfindung läßt sich nicht aussprechen, die Stilling dabei fühlte: es war ihm, als wenn er in ein Paradies versetzt würde. Wo das Geld zu seinem Studiren herkommen sollte, darum bekümmerte er sich gar nicht. Die Worte: der Herr wirds versehen! waren so tief in seine Seele gegraben, daß er nicht sorgen konnte.
Nun ermahnte ihn Herr Friedenberg, daß er noch die- ses Jahr bei Herrn Spanier aushalten, alsdann sich aber folgenden Herbst nach Universitäten begeben möchte. Stil- lingen war das recht nach seinem Sinn, und ohnehin sein Wille. Endlich beschlossen sie Alle zusammen, diese ganze Sache geheim zu halten, um den schiefen Urtheilen der Men- schen vorzubeugen, und dann durch eifriges Gebet von allen
ſtinen und Stillingen in der Stube. Letzterer fing nun an, und erzaͤhlte getreu den ganzen Vorfall mit den kleinſten Um- ſtaͤnden, und ſchloß mit dieſen Worten: Nun frage ich Sie aufrichtig: „Ob Sie mich von Herzen gern unter die Zahl Ihrer Kinder aufnehmen wollen? ich werde alle kindliche Pflich- ten durch Gottes Gnade treulich erfuͤllen, und ich proteſtire feierlich gegen alle Huͤlfe und Beiſtand zu meinem Studiren. Ich begehre bloß Ihre Jungfer Tochter; ja, ich nehme Gott zum Zeugen, daß mir der Gedanke der fuͤrchterlichſte iſt, den ich haben kann, wenn ich mir vorſtelle, daß Sie wohl denken koͤnnten: ich haͤtte bei dieſer Verbindung eine unedle Abſicht gehabt.
Herr Friedenberg ſeufzte tief, und ein paar Thraͤnen liefen ſeine Wangen herunter. Ja, ſagte er: Herr Gevatter! ich bin damit zufrieden, und nehme Sie willig zu meinem Sohn an; denn ich ſehe, daß Gottes Finger in dieſer Sache wirkt. Ich kann nichts dawider einwenden; uͤberdem kenne ich Sie, und weiß wohl, daß Sie zu ehrlich ſind, um ſolche unchriſtliche Abſichten zu haben; das muß ich aber noch hinzufuͤgen, daß ich auch gar nicht im Stande dazu bin, Sie ſtudiren zu laſſen. Nun wendete er ſich zu Chriſtinen, und ſagte: Getrauſt Du dich aber auch, die lange Abweſenheit Deines Geliebten zu er- tragen? Sie antwortete: Ja, Gott wird mir Kraft dazu geben!
Nun ſtand Herr Friedenberg auf, umarmte Stillin- gen, kuͤßte ihn und weinte an ſeinem Halſe: nach ihm that Frau Friedenberg deßgleichen. Die Empfindung laͤßt ſich nicht ausſprechen, die Stilling dabei fuͤhlte: es war ihm, als wenn er in ein Paradies verſetzt wuͤrde. Wo das Geld zu ſeinem Studiren herkommen ſollte, darum bekuͤmmerte er ſich gar nicht. Die Worte: der Herr wirds verſehen! waren ſo tief in ſeine Seele gegraben, daß er nicht ſorgen konnte.
Nun ermahnte ihn Herr Friedenberg, daß er noch die- ſes Jahr bei Herrn Spanier aushalten, alsdann ſich aber folgenden Herbſt nach Univerſitaͤten begeben moͤchte. Stil- lingen war das recht nach ſeinem Sinn, und ohnehin ſein Wille. Endlich beſchloſſen ſie Alle zuſammen, dieſe ganze Sache geheim zu halten, um den ſchiefen Urtheilen der Men- ſchen vorzubeugen, und dann durch eifriges Gebet von allen
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ſtinen und Stillingen in der Stube. Letzterer fing nun an,
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aufrichtig: „Ob Sie mich von Herzen gern unter die Zahl
Ihrer Kinder aufnehmen wollen? ich werde alle kindliche Pflich-
ten durch Gottes Gnade treulich erfuͤllen, und ich proteſtire
feierlich gegen alle Huͤlfe und Beiſtand zu meinem Studiren.
Ich begehre bloß Ihre Jungfer Tochter; ja, ich nehme Gott
zum Zeugen, daß mir der Gedanke der fuͤrchterlichſte iſt, den ich
haben kann, wenn ich mir vorſtelle, daß Sie wohl denken koͤnnten:
ich haͤtte bei dieſer Verbindung eine unedle Abſicht gehabt.
Herr Friedenberg ſeufzte tief, und ein paar Thraͤnen
liefen ſeine Wangen herunter. Ja, ſagte er: Herr Gevatter! ich
bin damit zufrieden, und nehme Sie willig zu meinem Sohn
an; denn ich ſehe, daß Gottes Finger in dieſer Sache wirkt.
Ich kann nichts dawider einwenden; uͤberdem kenne ich Sie,
und weiß wohl, daß Sie zu ehrlich ſind, um ſolche unchriſtliche
Abſichten zu haben; das muß ich aber noch hinzufuͤgen, daß
ich auch gar nicht im Stande dazu bin, Sie ſtudiren zu laſſen.
Nun wendete er ſich zu Chriſtinen, und ſagte: Getrauſt Du
dich aber auch, die lange Abweſenheit Deines Geliebten zu er-
tragen? Sie antwortete: Ja, Gott wird mir Kraft dazu geben!
Nun ſtand Herr Friedenberg auf, umarmte Stillin-
gen, kuͤßte ihn und weinte an ſeinem Halſe: nach ihm that
Frau Friedenberg deßgleichen. Die Empfindung laͤßt ſich
nicht ausſprechen, die Stilling dabei fuͤhlte: es war ihm, als
wenn er in ein Paradies verſetzt wuͤrde. Wo das Geld zu
ſeinem Studiren herkommen ſollte, darum bekuͤmmerte er ſich
gar nicht. Die Worte: der Herr wirds verſehen! waren
ſo tief in ſeine Seele gegraben, daß er nicht ſorgen konnte.
Nun ermahnte ihn Herr Friedenberg, daß er noch die-
ſes Jahr bei Herrn Spanier aushalten, alsdann ſich aber
folgenden Herbſt nach Univerſitaͤten begeben moͤchte. Stil-
lingen war das recht nach ſeinem Sinn, und ohnehin ſein
Wille. Endlich beſchloſſen ſie Alle zuſammen, dieſe ganze
Sache geheim zu halten, um den ſchiefen Urtheilen der Men-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/270>, abgerufen am 24.11.2024.
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