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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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Einem Wort: er wendete in allen Disciplinen der Arznei-
Wissenschaft alles Mögliche an, um Gründlichkeit zu erlangen.

Herr Göthe gab ihm in Ansehung der schönen Wissen-
schaft einen andern Schwung. Er machte ihn mit Ossian,
Shakespeare, Fielding
und Sterne bekannt; und so
gerieth Stilling aus der Natur ohne Umwege wieder in
die Natur. Es war auch eine Gesellschaft junger Leute zu
Straßburg, die sich die Gesellschaft der schönen Wissen-
schaften nannte, dazu wurde er eingeladen, und zum Mitglied
angenommen; auch hier lernte er die schönsten Bücher, und
den jetzigen Zustand der schönen Literatur in der Welt kennen.

Diesen Winter kam Herr Herder nach Straßburg.
Stilling
wurde durch Göthe und Troost mit ihm bekannt.
Niemals hat er in seinem Leben mehr einen Menschen bewun-
dert, als diesen Mann. "Herder hat nur einen Gedanken,
und dieser ist eine ganze Welt!" Dieser machte Stilling
einen Umriß von Allem in Einem, ich kanns nicht anders
nennen; und wenn jemals ein Geist einen Stoß bekommen
hat zu einer ewigen Bewegung, so bekam ihn Stilling von
Herdern, und das darum, weil er mit diesem herrlichen
Genie, in Ansehung des Naturells, mehr harmonirte als mit
Göthe.

Das Frühjahr rückte heran, und Herr Troost rüstete sich
wiederum zur Abreise. Stilling fühlte zwar diese Trennung
von einem so theuren Manne recht tief, allein er hatte doch
nunmehr die schönste Bekanntschaft in Straßburg, und da-
zu hoffte er über ein Jahr wieder bei ihm zu seyn. Er gab
ihm Briefe mit; und da er ihm seine Verlobung entdeckt hatte,
so empfahl er ihm, mit erster Gelegenheit nach Rasenheim
zu gehen, und den Seinigen alle seine Umstände mündlich zu
erzählen.

So verreiste dieser ehrliche Mann im April wieder in die
Niederlande, nachdem er noch einmal seine nöthigsten Wissen-
schaften mit größtem Fleiß wiederholt hatte. Stilling aber
setzte seine Studien wacker fort.

Zehn Tage vor Pfingsten ging Stilling in die Comödie,
um ein gewisses Stück zu sehen, das man ihm sehr gerühmt

Einem Wort: er wendete in allen Diſciplinen der Arznei-
Wiſſenſchaft alles Moͤgliche an, um Gruͤndlichkeit zu erlangen.

Herr Goͤthe gab ihm in Anſehung der ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaft einen andern Schwung. Er machte ihn mit Oſſian,
Shakespeare, Fielding
und Sterne bekannt; und ſo
gerieth Stilling aus der Natur ohne Umwege wieder in
die Natur. Es war auch eine Geſellſchaft junger Leute zu
Straßburg, die ſich die Geſellſchaft der ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften nannte, dazu wurde er eingeladen, und zum Mitglied
angenommen; auch hier lernte er die ſchoͤnſten Buͤcher, und
den jetzigen Zuſtand der ſchoͤnen Literatur in der Welt kennen.

Dieſen Winter kam Herr Herder nach Straßburg.
Stilling
wurde durch Goͤthe und Trooſt mit ihm bekannt.
Niemals hat er in ſeinem Leben mehr einen Menſchen bewun-
dert, als dieſen Mann. „Herder hat nur einen Gedanken,
und dieſer iſt eine ganze Welt!“ Dieſer machte Stilling
einen Umriß von Allem in Einem, ich kanns nicht anders
nennen; und wenn jemals ein Geiſt einen Stoß bekommen
hat zu einer ewigen Bewegung, ſo bekam ihn Stilling von
Herdern, und das darum, weil er mit dieſem herrlichen
Genie, in Anſehung des Naturells, mehr harmonirte als mit
Goͤthe.

Das Fruͤhjahr ruͤckte heran, und Herr Trooſt ruͤſtete ſich
wiederum zur Abreiſe. Stilling fuͤhlte zwar dieſe Trennung
von einem ſo theuren Manne recht tief, allein er hatte doch
nunmehr die ſchoͤnſte Bekanntſchaft in Straßburg, und da-
zu hoffte er uͤber ein Jahr wieder bei ihm zu ſeyn. Er gab
ihm Briefe mit; und da er ihm ſeine Verlobung entdeckt hatte,
ſo empfahl er ihm, mit erſter Gelegenheit nach Raſenheim
zu gehen, und den Seinigen alle ſeine Umſtaͤnde muͤndlich zu
erzaͤhlen.

So verreiste dieſer ehrliche Mann im April wieder in die
Niederlande, nachdem er noch einmal ſeine noͤthigſten Wiſſen-
ſchaften mit groͤßtem Fleiß wiederholt hatte. Stilling aber
ſetzte ſeine Studien wacker fort.

Zehn Tage vor Pfingſten ging Stilling in die Comoͤdie,
um ein gewiſſes Stuͤck zu ſehen, das man ihm ſehr geruͤhmt

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[277/0285] Einem Wort: er wendete in allen Diſciplinen der Arznei- Wiſſenſchaft alles Moͤgliche an, um Gruͤndlichkeit zu erlangen. Herr Goͤthe gab ihm in Anſehung der ſchoͤnen Wiſſen- ſchaft einen andern Schwung. Er machte ihn mit Oſſian, Shakespeare, Fielding und Sterne bekannt; und ſo gerieth Stilling aus der Natur ohne Umwege wieder in die Natur. Es war auch eine Geſellſchaft junger Leute zu Straßburg, die ſich die Geſellſchaft der ſchoͤnen Wiſſen- ſchaften nannte, dazu wurde er eingeladen, und zum Mitglied angenommen; auch hier lernte er die ſchoͤnſten Buͤcher, und den jetzigen Zuſtand der ſchoͤnen Literatur in der Welt kennen. Dieſen Winter kam Herr Herder nach Straßburg. Stilling wurde durch Goͤthe und Trooſt mit ihm bekannt. Niemals hat er in ſeinem Leben mehr einen Menſchen bewun- dert, als dieſen Mann. „Herder hat nur einen Gedanken, und dieſer iſt eine ganze Welt!“ Dieſer machte Stilling einen Umriß von Allem in Einem, ich kanns nicht anders nennen; und wenn jemals ein Geiſt einen Stoß bekommen hat zu einer ewigen Bewegung, ſo bekam ihn Stilling von Herdern, und das darum, weil er mit dieſem herrlichen Genie, in Anſehung des Naturells, mehr harmonirte als mit Goͤthe. Das Fruͤhjahr ruͤckte heran, und Herr Trooſt ruͤſtete ſich wiederum zur Abreiſe. Stilling fuͤhlte zwar dieſe Trennung von einem ſo theuren Manne recht tief, allein er hatte doch nunmehr die ſchoͤnſte Bekanntſchaft in Straßburg, und da- zu hoffte er uͤber ein Jahr wieder bei ihm zu ſeyn. Er gab ihm Briefe mit; und da er ihm ſeine Verlobung entdeckt hatte, ſo empfahl er ihm, mit erſter Gelegenheit nach Raſenheim zu gehen, und den Seinigen alle ſeine Umſtaͤnde muͤndlich zu erzaͤhlen. So verreiste dieſer ehrliche Mann im April wieder in die Niederlande, nachdem er noch einmal ſeine noͤthigſten Wiſſen- ſchaften mit groͤßtem Fleiß wiederholt hatte. Stilling aber ſetzte ſeine Studien wacker fort. Zehn Tage vor Pfingſten ging Stilling in die Comoͤdie, um ein gewiſſes Stuͤck zu ſehen, das man ihm ſehr geruͤhmt

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/285>, abgerufen am 24.11.2024.