"Ich zweifle nicht, Sie werden die Briefe von meiner Frau, Sohn und Herrn Troost wohl erhalten haben. Sie werden nicht erschrecken, wenn ich Ihnen melde, daß Ihre liebe Braut ziemlich krank ist. Diese Krankheit hat ihr seit zwei Tagen so heftig zugesetzt, daß sie jetzt recht -- ja recht schwach ist. Mein Herz ist darüber so zerschmolzen, daß mir tausend Thrä- nen die Wangen herunter geflossen sind; doch ich mag hievon nicht viel schreiben, ich möchte zu viel thun, ich bete und seufze für das liebe Kind recht herzlich, und auch für uns, damit wir uns kindlich seinem heiligen Willen überlassen mögen. O der ewige Erbarmer wolle sich unserer Aller aus Gnaden an- nehmen! So hat nun Ihre liebe Braut gerne, daß ich Ihnen dieses schreibe, denn sie ist so schwach, daß sie gar nicht viel sprechen kann -- ich muß mit dem Schreiben ein wenig ein- halten, der ällmächtige Gott wolle mir doch ins Herz legen, was ich schreiben soll! -- ich fahre in Gottes Namen fort, und muß Ihnen melden, daß Ihre Braut menschlichem An- sehen nach -- halten Sie sich fest, theuerster Sohn! -- nicht manchen Tag mehr hier zubringen wird, so wird sie in die ewige Ruhe übergehen; doch ich schreibe, wie wir Menschen es ansehen. Nun, mein allerliebster Sohn! ich meine, mein Herz zerschmölze, ich kann Ihnen nicht viel mehr schreiben. Ihre Braut sähe Sie in dieser Welt noch Einmal gern; allein, was soll ich sagen und rathen? ich kann nicht mehr, weil mir die Thränen häufig aufs Papier fallen. Gott! du kennest mich, daß ich gern die Reisekosten bezahlen will! aber rathen darf ich nicht, fragen Sie den rechten Rathgeber, dem ich Sie auch von Herzen empfehle. Ich, Ihre Mutter, Braut, und die Kinder grüßen Sie alle tausendmal, ich bin in Ewigkeit
Ihr getreuer Vater Peter Friedenberg."
Stilling stürzte wie ein Rasender von einer Wand an die andere, er weinte nicht, seufzte nicht, sondern sah aus wie einer, der an seiner Seligkeit zweifelt; er besann sich endlich so viel, daß er seinen Schlafrock auswarf, seine Kleider an-
Raſenheim, den 9. Mai 1771.
Herzgeliebter Schwiegerſohn!
„Ich zweifle nicht, Sie werden die Briefe von meiner Frau, Sohn und Herrn Trooſt wohl erhalten haben. Sie werden nicht erſchrecken, wenn ich Ihnen melde, daß Ihre liebe Braut ziemlich krank iſt. Dieſe Krankheit hat ihr ſeit zwei Tagen ſo heftig zugeſetzt, daß ſie jetzt recht — ja recht ſchwach iſt. Mein Herz iſt daruͤber ſo zerſchmolzen, daß mir tauſend Thraͤ- nen die Wangen herunter gefloſſen ſind; doch ich mag hievon nicht viel ſchreiben, ich moͤchte zu viel thun, ich bete und ſeufze fuͤr das liebe Kind recht herzlich, und auch fuͤr uns, damit wir uns kindlich ſeinem heiligen Willen uͤberlaſſen moͤgen. O der ewige Erbarmer wolle ſich unſerer Aller aus Gnaden an- nehmen! So hat nun Ihre liebe Braut gerne, daß ich Ihnen dieſes ſchreibe, denn ſie iſt ſo ſchwach, daß ſie gar nicht viel ſprechen kann — ich muß mit dem Schreiben ein wenig ein- halten, der aͤllmaͤchtige Gott wolle mir doch ins Herz legen, was ich ſchreiben ſoll! — ich fahre in Gottes Namen fort, und muß Ihnen melden, daß Ihre Braut menſchlichem An- ſehen nach — halten Sie ſich feſt, theuerſter Sohn! — nicht manchen Tag mehr hier zubringen wird, ſo wird ſie in die ewige Ruhe uͤbergehen; doch ich ſchreibe, wie wir Menſchen es anſehen. Nun, mein allerliebſter Sohn! ich meine, mein Herz zerſchmoͤlze, ich kann Ihnen nicht viel mehr ſchreiben. Ihre Braut ſaͤhe Sie in dieſer Welt noch Einmal gern; allein, was ſoll ich ſagen und rathen? ich kann nicht mehr, weil mir die Thraͤnen haͤufig aufs Papier fallen. Gott! du kenneſt mich, daß ich gern die Reiſekoſten bezahlen will! aber rathen darf ich nicht, fragen Sie den rechten Rathgeber, dem ich Sie auch von Herzen empfehle. Ich, Ihre Mutter, Braut, und die Kinder gruͤßen Sie alle tauſendmal, ich bin in Ewigkeit
Ihr getreuer Vater Peter Friedenberg.“
Stilling ſtuͤrzte wie ein Raſender von einer Wand an die andere, er weinte nicht, ſeufzte nicht, ſondern ſah aus wie einer, der an ſeiner Seligkeit zweifelt; er beſann ſich endlich ſo viel, daß er ſeinen Schlafrock auswarf, ſeine Kleider an-
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Raſenheim, den 9. Mai 1771.
Herzgeliebter Schwiegerſohn!
„Ich zweifle nicht, Sie werden die Briefe von meiner Frau,
Sohn und Herrn Trooſt wohl erhalten haben. Sie werden
nicht erſchrecken, wenn ich Ihnen melde, daß Ihre liebe Braut
ziemlich krank iſt. Dieſe Krankheit hat ihr ſeit zwei Tagen
ſo heftig zugeſetzt, daß ſie jetzt recht — ja recht ſchwach iſt.
Mein Herz iſt daruͤber ſo zerſchmolzen, daß mir tauſend Thraͤ-
nen die Wangen herunter gefloſſen ſind; doch ich mag hievon
nicht viel ſchreiben, ich moͤchte zu viel thun, ich bete und ſeufze
fuͤr das liebe Kind recht herzlich, und auch fuͤr uns, damit
wir uns kindlich ſeinem heiligen Willen uͤberlaſſen moͤgen. O
der ewige Erbarmer wolle ſich unſerer Aller aus Gnaden an-
nehmen! So hat nun Ihre liebe Braut gerne, daß ich Ihnen
dieſes ſchreibe, denn ſie iſt ſo ſchwach, daß ſie gar nicht viel
ſprechen kann — ich muß mit dem Schreiben ein wenig ein-
halten, der aͤllmaͤchtige Gott wolle mir doch ins Herz legen,
was ich ſchreiben ſoll! — ich fahre in Gottes Namen fort,
und muß Ihnen melden, daß Ihre Braut menſchlichem An-
ſehen nach — halten Sie ſich feſt, theuerſter Sohn! — nicht
manchen Tag mehr hier zubringen wird, ſo wird ſie in die
ewige Ruhe uͤbergehen; doch ich ſchreibe, wie wir Menſchen
es anſehen. Nun, mein allerliebſter Sohn! ich meine, mein
Herz zerſchmoͤlze, ich kann Ihnen nicht viel mehr ſchreiben.
Ihre Braut ſaͤhe Sie in dieſer Welt noch Einmal gern; allein,
was ſoll ich ſagen und rathen? ich kann nicht mehr, weil mir
die Thraͤnen haͤufig aufs Papier fallen. Gott! du kenneſt
mich, daß ich gern die Reiſekoſten bezahlen will! aber rathen
darf ich nicht, fragen Sie den rechten Rathgeber, dem ich Sie
auch von Herzen empfehle. Ich, Ihre Mutter, Braut, und
die Kinder gruͤßen Sie alle tauſendmal, ich bin in Ewigkeit
Ihr getreuer Vater
Peter Friedenberg.“
Stilling ſtuͤrzte wie ein Raſender von einer Wand an
die andere, er weinte nicht, ſeufzte nicht, ſondern ſah aus wie
einer, der an ſeiner Seligkeit zweifelt; er beſann ſich endlich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/287>, abgerufen am 24.11.2024.
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