schöne Sommerabend verführte die ohnehin so leichtsinnige Magd, spazieren zu gehen, daher kamen sie erst um neun Uhr nach Hause. Stilling hatte also seiner Frau das Bett machen und allerhand Arbeiten selbst verrichten müssen. Beide waren daher mit Recht verdrüßlich. So wie die Magd zur Thür hineintrat, fing Stilling in einem sanften aber ernsten Ton an, ihr Ermahnungen zu geben und sie an ihre Pflich- ten zu erinnern; die Magd schwieg still und ging mit der Jungfer Friedenberg die Treppe hinab in die Küche. Nach einer kleinen Weile hörten sie Beide eine dumpfe, schreckliche und fürchterliche Stimme, und zugleich das Hülferufen der Schwester. Die ohnehin schauerliche Abenddämmerung und dann der schreckliche Ton machten einen solchen Eindruck, daß Stilling selbst eiskalt über den ganzen Leib wurde, die Kranke aber schrie überlaut für Schrecken. Stilling lief indessen die Treppe hinab, um zu sehen, was vorging. Da fand er nun die Magd mit fliegenden Haaren am Waschstein stehen und wie eine Unsinnige jenen scheußlichen Ton von sich geben, der Geifer floß ihr aus dem Mund und sie sahe aus wie eine Furie.
Nun überlief Stillingen der Ingrimm, er griff die Magd am Arm, drehte sie herum und sagte ihr mit Nachdruck: Gro- ßer Gott, was macht sie? -- welcher Satan treibt sie, mich in meinen traurigen Umständen so zu martern -- hat sie denn kein menschliches Gefühl mehr? -- Dieß war nun Oel ins Feuer gegossen, sie krisch konvulsivisch, riß sich los, fiel hin, und bekam die fallende Sucht auf die schrecklichste Weise; in dem nämlichen Augenblick hörte er auch Christine die fürch- terlichsten Töne ausstoßen, er lief also die Treppe hinauf und fand in der Dämmerung seine Frau in der allerschrecklichsten Lage, sie hatte alles Bettwerk herausgeworfen, und wühlte krampfigt unten im Stroh, alle Besonnenheit war fort, sie knirschte, und die Krämpfe zogen ihr den Kopf hinterwärts bis an die Fersen. Jetzt schlugen ihm die Wellen des Jam- mers über dem Kopf zusammen, er lief hinaus zu den näch- sten Nachbarn und alten Freunden und rief mit lautem Weh- klagen um Hülfe; Männer und Weiber kamen und suchten
ſchoͤne Sommerabend verfuͤhrte die ohnehin ſo leichtſinnige Magd, ſpazieren zu gehen, daher kamen ſie erſt um neun Uhr nach Hauſe. Stilling hatte alſo ſeiner Frau das Bett machen und allerhand Arbeiten ſelbſt verrichten muͤſſen. Beide waren daher mit Recht verdruͤßlich. So wie die Magd zur Thuͤr hineintrat, fing Stilling in einem ſanften aber ernſten Ton an, ihr Ermahnungen zu geben und ſie an ihre Pflich- ten zu erinnern; die Magd ſchwieg ſtill und ging mit der Jungfer Friedenberg die Treppe hinab in die Kuͤche. Nach einer kleinen Weile hoͤrten ſie Beide eine dumpfe, ſchreckliche und fuͤrchterliche Stimme, und zugleich das Huͤlferufen der Schweſter. Die ohnehin ſchauerliche Abenddaͤmmerung und dann der ſchreckliche Ton machten einen ſolchen Eindruck, daß Stilling ſelbſt eiskalt uͤber den ganzen Leib wurde, die Kranke aber ſchrie uͤberlaut fuͤr Schrecken. Stilling lief indeſſen die Treppe hinab, um zu ſehen, was vorging. Da fand er nun die Magd mit fliegenden Haaren am Waſchſtein ſtehen und wie eine Unſinnige jenen ſcheußlichen Ton von ſich geben, der Geifer floß ihr aus dem Mund und ſie ſahe aus wie eine Furie.
Nun uͤberlief Stillingen der Ingrimm, er griff die Magd am Arm, drehte ſie herum und ſagte ihr mit Nachdruck: Gro- ßer Gott, was macht ſie? — welcher Satan treibt ſie, mich in meinen traurigen Umſtaͤnden ſo zu martern — hat ſie denn kein menſchliches Gefuͤhl mehr? — Dieß war nun Oel ins Feuer gegoſſen, ſie kriſch konvulſiviſch, riß ſich los, fiel hin, und bekam die fallende Sucht auf die ſchrecklichſte Weiſe; in dem naͤmlichen Augenblick hoͤrte er auch Chriſtine die fuͤrch- terlichſten Toͤne ausſtoßen, er lief alſo die Treppe hinauf und fand in der Daͤmmerung ſeine Frau in der allerſchrecklichſten Lage, ſie hatte alles Bettwerk herausgeworfen, und wuͤhlte krampfigt unten im Stroh, alle Beſonnenheit war fort, ſie knirſchte, und die Kraͤmpfe zogen ihr den Kopf hinterwaͤrts bis an die Ferſen. Jetzt ſchlugen ihm die Wellen des Jam- mers uͤber dem Kopf zuſammen, er lief hinaus zu den naͤch- ſten Nachbarn und alten Freunden und rief mit lautem Weh- klagen um Huͤlfe; Maͤnner und Weiber kamen und ſuchten
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ſchoͤne Sommerabend verfuͤhrte die ohnehin ſo leichtſinnige
Magd, ſpazieren zu gehen, daher kamen ſie erſt um neun
Uhr nach Hauſe. Stilling hatte alſo ſeiner Frau das Bett
machen und allerhand Arbeiten ſelbſt verrichten muͤſſen. Beide
waren daher mit Recht verdruͤßlich. So wie die Magd zur
Thuͤr hineintrat, fing Stilling in einem ſanften aber ernſten
Ton an, ihr Ermahnungen zu geben und ſie an ihre Pflich-
ten zu erinnern; die Magd ſchwieg ſtill und ging mit der
Jungfer Friedenberg die Treppe hinab in die Kuͤche. Nach
einer kleinen Weile hoͤrten ſie Beide eine dumpfe, ſchreckliche
und fuͤrchterliche Stimme, und zugleich das Huͤlferufen der
Schweſter. Die ohnehin ſchauerliche Abenddaͤmmerung und
dann der ſchreckliche Ton machten einen ſolchen Eindruck, daß
Stilling ſelbſt eiskalt uͤber den ganzen Leib wurde, die
Kranke aber ſchrie uͤberlaut fuͤr Schrecken. Stilling lief
indeſſen die Treppe hinab, um zu ſehen, was vorging. Da
fand er nun die Magd mit fliegenden Haaren am Waſchſtein
ſtehen und wie eine Unſinnige jenen ſcheußlichen Ton von
ſich geben, der Geifer floß ihr aus dem Mund und ſie ſahe
aus wie eine Furie.
Nun uͤberlief Stillingen der Ingrimm, er griff die Magd
am Arm, drehte ſie herum und ſagte ihr mit Nachdruck: Gro-
ßer Gott, was macht ſie? — welcher Satan treibt ſie, mich
in meinen traurigen Umſtaͤnden ſo zu martern — hat ſie denn
kein menſchliches Gefuͤhl mehr? — Dieß war nun Oel ins
Feuer gegoſſen, ſie kriſch konvulſiviſch, riß ſich los, fiel hin,
und bekam die fallende Sucht auf die ſchrecklichſte Weiſe; in
dem naͤmlichen Augenblick hoͤrte er auch Chriſtine die fuͤrch-
terlichſten Toͤne ausſtoßen, er lief alſo die Treppe hinauf und
fand in der Daͤmmerung ſeine Frau in der allerſchrecklichſten
Lage, ſie hatte alles Bettwerk herausgeworfen, und wuͤhlte
krampfigt unten im Stroh, alle Beſonnenheit war fort, ſie
knirſchte, und die Kraͤmpfe zogen ihr den Kopf hinterwaͤrts
bis an die Ferſen. Jetzt ſchlugen ihm die Wellen des Jam-
mers uͤber dem Kopf zuſammen, er lief hinaus zu den naͤch-
ſten Nachbarn und alten Freunden und rief mit lautem Weh-
klagen um Huͤlfe; Maͤnner und Weiber kamen und ſuchten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/313>, abgerufen am 22.11.2024.
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