Kundschaft einzuziehen, und er bekam die befriedigendste Antwort: der Herr von Leesner ließ also seine Augen von verschiede- nen Aerzten besehen, und als Alle darin übereinstimmten, daß er einen heilbaren grauen Staar habe, so übertrug er seinem Hausarzt, dem rechtschaffenen, edeldenkenden Herrn Doktor Hoff- mann, die Sache, um mit Stillingen darüber Briefe zu wechseln, und ihn zu bewegen, nach Frankfurt zu kommen, weil er, als ein alter, blinder und schwächlicher Mann, sich nicht die weite Reise zu machen getraute. Leesner versprach Stillingen tausend Gulden zu zahlen, die Kur möchte ge- lingen, oder nicht; diese tausend Gulden strahlten ihm bei sei- ner kümmerlichen Verfassung gewaltig in die Augen, und Chri- stine, so unerträglich ihr auch die Abwesenheit ihres Mannes vorkam, rieth ihm doch sehr ernstlich, diese Gründung seines Glücks nicht zu versäumen; auch die Friedenbergische Familie und alle seine Freunde riethen ihm dazu. Nur der einzige Theodor Müller war ganz und gar nicht damit zufrieden; er sagte: "Freund, es wird Sie reuen und die tausend Gul- den werden Ihnen theuer zu stehen kommen, ich ahnde traurige Schicksale, bleiben Sie hier, wer nicht zu Ihnen kommen will, der mag wegbleiben, Leesner hat Geld und Zeit, er wird kom- men, wenn er sieht, daß Sie die Reise nicht machen wollen." -- Allein alle Ermahnungen halfen nicht, Stillings ehema- liger Trieb, der Vorsehung vorzulaufen, gewann auch jetzt die Ueberhand, er beschloß also, nach Frankfurt zu reisen, und sagte daher dem Herrn von Leesner zu.
Jetzt träumte sich nun Stilling eine glückliche Zukunft und das Ende seiner Leiden: mit den tausend Gulden glaubte er die dringendsten Schulden bezahlen zu können, und dann sahe er wohl ein, daß eine glückliche Kur an einem solchen Manne großes Aufsehen erregen, und ihm einen gewaltigen und einträglichen Zulauf in der Nähe und Ferne zuwege brin- gen würde. Indessen schien Bauch, der sich noch in Frank- furt aufhielt, die ganze Sache wieder vernichten zu wollen; denn sobald er hörte, daß sich Leesner Stillings Kur anvertrauen wollte, so warnte er ihn angelegentlich und setzte Stilling wegen seiner Dürftigkeit und geringen Kenntnisse
Kundſchaft einzuziehen, und er bekam die befriedigendſte Antwort: der Herr von Leesner ließ alſo ſeine Augen von verſchiede- nen Aerzten beſehen, und als Alle darin uͤbereinſtimmten, daß er einen heilbaren grauen Staar habe, ſo uͤbertrug er ſeinem Hausarzt, dem rechtſchaffenen, edeldenkenden Herrn Doktor Hoff- mann, die Sache, um mit Stillingen daruͤber Briefe zu wechſeln, und ihn zu bewegen, nach Frankfurt zu kommen, weil er, als ein alter, blinder und ſchwaͤchlicher Mann, ſich nicht die weite Reiſe zu machen getraute. Leesner verſprach Stillingen tauſend Gulden zu zahlen, die Kur moͤchte ge- lingen, oder nicht; dieſe tauſend Gulden ſtrahlten ihm bei ſei- ner kuͤmmerlichen Verfaſſung gewaltig in die Augen, und Chri- ſtine, ſo unertraͤglich ihr auch die Abweſenheit ihres Mannes vorkam, rieth ihm doch ſehr ernſtlich, dieſe Gruͤndung ſeines Gluͤcks nicht zu verſaͤumen; auch die Friedenbergiſche Familie und alle ſeine Freunde riethen ihm dazu. Nur der einzige Theodor Muͤller war ganz und gar nicht damit zufrieden; er ſagte: „Freund, es wird Sie reuen und die tauſend Gul- den werden Ihnen theuer zu ſtehen kommen, ich ahnde traurige Schickſale, bleiben Sie hier, wer nicht zu Ihnen kommen will, der mag wegbleiben, Leesner hat Geld und Zeit, er wird kom- men, wenn er ſieht, daß Sie die Reiſe nicht machen wollen.“ — Allein alle Ermahnungen halfen nicht, Stillings ehema- liger Trieb, der Vorſehung vorzulaufen, gewann auch jetzt die Ueberhand, er beſchloß alſo, nach Frankfurt zu reiſen, und ſagte daher dem Herrn von Leesner zu.
Jetzt traͤumte ſich nun Stilling eine gluͤckliche Zukunft und das Ende ſeiner Leiden: mit den tauſend Gulden glaubte er die dringendſten Schulden bezahlen zu koͤnnen, und dann ſahe er wohl ein, daß eine gluͤckliche Kur an einem ſolchen Manne großes Aufſehen erregen, und ihm einen gewaltigen und eintraͤglichen Zulauf in der Naͤhe und Ferne zuwege brin- gen wuͤrde. Indeſſen ſchien Bauch, der ſich noch in Frank- furt aufhielt, die ganze Sache wieder vernichten zu wollen; denn ſobald er hoͤrte, daß ſich Leesner Stillings Kur anvertrauen wollte, ſo warnte er ihn angelegentlich und ſetzte Stilling wegen ſeiner Duͤrftigkeit und geringen Kenntniſſe
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Kundſchaft einzuziehen, und er bekam die befriedigendſte Antwort:
der Herr von Leesner ließ alſo ſeine Augen von verſchiede-
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er einen heilbaren grauen Staar habe, ſo uͤbertrug er ſeinem
Hausarzt, dem rechtſchaffenen, edeldenkenden Herrn Doktor Hoff-
mann, die Sache, um mit Stillingen daruͤber Briefe zu
wechſeln, und ihn zu bewegen, nach Frankfurt zu kommen,
weil er, als ein alter, blinder und ſchwaͤchlicher Mann, ſich
nicht die weite Reiſe zu machen getraute. Leesner verſprach
Stillingen tauſend Gulden zu zahlen, die Kur moͤchte ge-
lingen, oder nicht; dieſe tauſend Gulden ſtrahlten ihm bei ſei-
ner kuͤmmerlichen Verfaſſung gewaltig in die Augen, und Chri-
ſtine, ſo unertraͤglich ihr auch die Abweſenheit ihres Mannes
vorkam, rieth ihm doch ſehr ernſtlich, dieſe Gruͤndung ſeines
Gluͤcks nicht zu verſaͤumen; auch die Friedenbergiſche Familie
und alle ſeine Freunde riethen ihm dazu. Nur der einzige
Theodor Muͤller war ganz und gar nicht damit zufrieden;
er ſagte: „Freund, es wird Sie reuen und die tauſend Gul-
den werden Ihnen theuer zu ſtehen kommen, ich ahnde traurige
Schickſale, bleiben Sie hier, wer nicht zu Ihnen kommen will,
der mag wegbleiben, Leesner hat Geld und Zeit, er wird kom-
men, wenn er ſieht, daß Sie die Reiſe nicht machen wollen.“
— Allein alle Ermahnungen halfen nicht, Stillings ehema-
liger Trieb, der Vorſehung vorzulaufen, gewann auch jetzt die
Ueberhand, er beſchloß alſo, nach Frankfurt zu reiſen, und
ſagte daher dem Herrn von Leesner zu.
Jetzt traͤumte ſich nun Stilling eine gluͤckliche Zukunft
und das Ende ſeiner Leiden: mit den tauſend Gulden glaubte
er die dringendſten Schulden bezahlen zu koͤnnen, und dann
ſahe er wohl ein, daß eine gluͤckliche Kur an einem ſolchen
Manne großes Aufſehen erregen, und ihm einen gewaltigen
und eintraͤglichen Zulauf in der Naͤhe und Ferne zuwege brin-
gen wuͤrde. Indeſſen ſchien Bauch, der ſich noch in Frank-
furt aufhielt, die ganze Sache wieder vernichten zu wollen;
denn ſobald er hoͤrte, daß ſich Leesner Stillings Kur
anvertrauen wollte, ſo warnte er ihn angelegentlich und ſetzte
Stilling wegen ſeiner Duͤrftigkeit und geringen Kenntniſſe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/336>, abgerufen am 22.11.2024.
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