Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

ter eines Gelehrten, überhaupt hatte die Gelehrsamkeit keinen
hohen Werth bei ihnen: was nicht das Vermögen vermehrt,
war ihnen sehr gleichgültig; als Kaufleute hatten sie ganz
recht; allein sie waren auch deßwegen nicht fähig, Stillin-
gen
gehörig zu beurtheilen, denn dieser rang nach Wahrheit
und Kenntnissen; die unaufhörliche Ueberlegung, wie jeden
Augenblick Etwas zu verdienen oder zu ersparen sey, konnte
unmöglich einen Geist erfüllen, dessen ganzer Wirkungskreis
mit höhern Dingen beschäftigt war, daher entstand nun eine
Art von Kälte, die Stillings gefühlvolles Herz unsäglich
schmerzte; er suchte seinem Schwiegervater die Sache in ihrer
wahren Gestalt vorzustellen, allein es blieb dabei: ein Mann
muß sich redlich nähren, das ist seine erste Pflicht;
die zweite ist dann freilich die, auch der Welt zu
nützen
. Ganz recht, dachte Stilling, kein Mensch in der
Welt kann's dem edlen Manne verargen, daß er so urtheilt.

Bei dem Ruf nach Rittersburg war Friedenberg nicht
blos gleichgültig, sondern gar mißmuthig; denn da er nun
einmal seinen Schwiegersohn für einen schlechten Haushalter
hielt, so glaubte er, eine fixe Besoldung würde ihm eben so we-
nig helfen, als sein Erwerb in Schönenthal: und da er für
seine Schulden Bürge geworden war, so befürchtete er, er würde
nun die ganze Bürde allein tragen, und vielleicht am Ende
Alles bezahlen müssen. Stillings Herz litte bei dieser
Lage entsetzlich, er konnte nichts dagegen einwenden, sondern
er mußte die Hand auf den Mund legen und schweigen, aber
aus seinem beklemmten Herzen stiegen unaufhörlich die brün-
stigsten Seufzer um Hülfe zum Vater im Himmel empor;
sein Vertrauen wankte nicht, und er glaubte gewiß, Gott werde
ihn herrlich erretten und seinen Glauben krönen. Indessen ver-
sprach er, seinem Schwiegervater jährlich ein paar hundert
Gulden abzutragen, und so immerfort die Last zu erleichtern;
dabei bliebs, und Friedenberg willigte in seinen Abzug.

Des Sonnabends ging nun Stilling mit seiner Chri-
stine
und beiden Kindern nach Rasenheim, um Abschied
zu nehmen. Die Schmerzen, welche bei solchen Gelegenheiten
gewöhnlich sind, wurden jetzt durch die Lage der Sachen sehr

ter eines Gelehrten, uͤberhaupt hatte die Gelehrſamkeit keinen
hohen Werth bei ihnen: was nicht das Vermoͤgen vermehrt,
war ihnen ſehr gleichguͤltig; als Kaufleute hatten ſie ganz
recht; allein ſie waren auch deßwegen nicht faͤhig, Stillin-
gen
gehoͤrig zu beurtheilen, denn dieſer rang nach Wahrheit
und Kenntniſſen; die unaufhoͤrliche Ueberlegung, wie jeden
Augenblick Etwas zu verdienen oder zu erſparen ſey, konnte
unmoͤglich einen Geiſt erfuͤllen, deſſen ganzer Wirkungskreis
mit hoͤhern Dingen beſchaͤftigt war, daher entſtand nun eine
Art von Kaͤlte, die Stillings gefuͤhlvolles Herz unſaͤglich
ſchmerzte; er ſuchte ſeinem Schwiegervater die Sache in ihrer
wahren Geſtalt vorzuſtellen, allein es blieb dabei: ein Mann
muß ſich redlich naͤhren, das iſt ſeine erſte Pflicht;
die zweite iſt dann freilich die, auch der Welt zu
nuͤtzen
. Ganz recht, dachte Stilling, kein Menſch in der
Welt kann’s dem edlen Manne verargen, daß er ſo urtheilt.

Bei dem Ruf nach Rittersburg war Friedenberg nicht
blos gleichguͤltig, ſondern gar mißmuthig; denn da er nun
einmal ſeinen Schwiegerſohn fuͤr einen ſchlechten Haushalter
hielt, ſo glaubte er, eine fixe Beſoldung wuͤrde ihm eben ſo we-
nig helfen, als ſein Erwerb in Schoͤnenthal: und da er fuͤr
ſeine Schulden Buͤrge geworden war, ſo befuͤrchtete er, er wuͤrde
nun die ganze Buͤrde allein tragen, und vielleicht am Ende
Alles bezahlen muͤſſen. Stillings Herz litte bei dieſer
Lage entſetzlich, er konnte nichts dagegen einwenden, ſondern
er mußte die Hand auf den Mund legen und ſchweigen, aber
aus ſeinem beklemmten Herzen ſtiegen unaufhoͤrlich die bruͤn-
ſtigſten Seufzer um Huͤlfe zum Vater im Himmel empor;
ſein Vertrauen wankte nicht, und er glaubte gewiß, Gott werde
ihn herrlich erretten und ſeinen Glauben kroͤnen. Indeſſen ver-
ſprach er, ſeinem Schwiegervater jaͤhrlich ein paar hundert
Gulden abzutragen, und ſo immerfort die Laſt zu erleichtern;
dabei bliebs, und Friedenberg willigte in ſeinen Abzug.

Des Sonnabends ging nun Stilling mit ſeiner Chri-
ſtine
und beiden Kindern nach Raſenheim, um Abſchied
zu nehmen. Die Schmerzen, welche bei ſolchen Gelegenheiten
gewoͤhnlich ſind, wurden jetzt durch die Lage der Sachen ſehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="366"/>
ter eines Gelehrten, u&#x0364;berhaupt hatte die Gelehr&#x017F;amkeit keinen<lb/>
hohen Werth bei ihnen: was nicht das Vermo&#x0364;gen vermehrt,<lb/>
war ihnen &#x017F;ehr gleichgu&#x0364;ltig; als Kaufleute hatten &#x017F;ie ganz<lb/>
recht; allein &#x017F;ie waren auch deßwegen nicht fa&#x0364;hig, <hi rendition="#g">Stillin-<lb/>
gen</hi> geho&#x0364;rig zu beurtheilen, denn die&#x017F;er rang nach Wahrheit<lb/>
und Kenntni&#x017F;&#x017F;en; die unaufho&#x0364;rliche Ueberlegung, wie jeden<lb/>
Augenblick Etwas zu verdienen oder zu er&#x017F;paren &#x017F;ey, konnte<lb/>
unmo&#x0364;glich einen Gei&#x017F;t erfu&#x0364;llen, de&#x017F;&#x017F;en ganzer Wirkungskreis<lb/>
mit ho&#x0364;hern Dingen be&#x017F;cha&#x0364;ftigt war, daher ent&#x017F;tand nun eine<lb/>
Art von Ka&#x0364;lte, die <hi rendition="#g">Stillings</hi> gefu&#x0364;hlvolles Herz un&#x017F;a&#x0364;glich<lb/>
&#x017F;chmerzte; er &#x017F;uchte &#x017F;einem Schwiegervater die Sache in ihrer<lb/>
wahren Ge&#x017F;talt vorzu&#x017F;tellen, allein es blieb dabei: <hi rendition="#g">ein Mann<lb/>
muß &#x017F;ich redlich na&#x0364;hren, das i&#x017F;t &#x017F;eine er&#x017F;te Pflicht;<lb/>
die zweite i&#x017F;t dann freilich die, auch der Welt zu<lb/>
nu&#x0364;tzen</hi>. Ganz recht, dachte <hi rendition="#g">Stilling</hi>, kein Men&#x017F;ch in der<lb/>
Welt kann&#x2019;s dem edlen Manne verargen, daß er &#x017F;o urtheilt.</p><lb/>
            <p>Bei dem Ruf nach Rittersburg war <hi rendition="#g">Friedenberg</hi> nicht<lb/>
blos gleichgu&#x0364;ltig, &#x017F;ondern gar mißmuthig; denn da er nun<lb/>
einmal &#x017F;einen Schwieger&#x017F;ohn fu&#x0364;r einen &#x017F;chlechten Haushalter<lb/>
hielt, &#x017F;o glaubte er, eine fixe Be&#x017F;oldung wu&#x0364;rde ihm eben &#x017F;o we-<lb/>
nig helfen, als &#x017F;ein Erwerb in Scho&#x0364;nenthal: und da er fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine Schulden Bu&#x0364;rge geworden war, &#x017F;o befu&#x0364;rchtete er, er wu&#x0364;rde<lb/>
nun die ganze Bu&#x0364;rde <hi rendition="#g">allein</hi> tragen, und vielleicht am Ende<lb/>
Alles bezahlen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#g">Stillings</hi> Herz litte bei <hi rendition="#g">die&#x017F;er</hi><lb/>
Lage ent&#x017F;etzlich, er konnte nichts dagegen einwenden, &#x017F;ondern<lb/>
er mußte die Hand auf den Mund legen und &#x017F;chweigen, aber<lb/>
aus &#x017F;einem beklemmten Herzen &#x017F;tiegen unaufho&#x0364;rlich die bru&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tig&#x017F;ten Seufzer um Hu&#x0364;lfe zum Vater im Himmel empor;<lb/>
&#x017F;ein Vertrauen wankte nicht, und er glaubte gewiß, Gott werde<lb/>
ihn herrlich erretten und &#x017F;einen Glauben kro&#x0364;nen. Inde&#x017F;&#x017F;en ver-<lb/>
&#x017F;prach er, &#x017F;einem Schwiegervater ja&#x0364;hrlich ein paar hundert<lb/>
Gulden abzutragen, und &#x017F;o immerfort die La&#x017F;t zu erleichtern;<lb/>
dabei bliebs, und <hi rendition="#g">Friedenberg</hi> willigte in &#x017F;einen Abzug.</p><lb/>
            <p>Des Sonnabends ging nun <hi rendition="#g">Stilling</hi> mit &#x017F;einer <hi rendition="#g">Chri-<lb/>
&#x017F;tine</hi> und beiden Kindern nach <hi rendition="#g">Ra&#x017F;enheim</hi>, um Ab&#x017F;chied<lb/>
zu nehmen. Die Schmerzen, welche bei &#x017F;olchen Gelegenheiten<lb/>
gewo&#x0364;hnlich &#x017F;ind, wurden jetzt durch die Lage der Sachen &#x017F;ehr<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0374] ter eines Gelehrten, uͤberhaupt hatte die Gelehrſamkeit keinen hohen Werth bei ihnen: was nicht das Vermoͤgen vermehrt, war ihnen ſehr gleichguͤltig; als Kaufleute hatten ſie ganz recht; allein ſie waren auch deßwegen nicht faͤhig, Stillin- gen gehoͤrig zu beurtheilen, denn dieſer rang nach Wahrheit und Kenntniſſen; die unaufhoͤrliche Ueberlegung, wie jeden Augenblick Etwas zu verdienen oder zu erſparen ſey, konnte unmoͤglich einen Geiſt erfuͤllen, deſſen ganzer Wirkungskreis mit hoͤhern Dingen beſchaͤftigt war, daher entſtand nun eine Art von Kaͤlte, die Stillings gefuͤhlvolles Herz unſaͤglich ſchmerzte; er ſuchte ſeinem Schwiegervater die Sache in ihrer wahren Geſtalt vorzuſtellen, allein es blieb dabei: ein Mann muß ſich redlich naͤhren, das iſt ſeine erſte Pflicht; die zweite iſt dann freilich die, auch der Welt zu nuͤtzen. Ganz recht, dachte Stilling, kein Menſch in der Welt kann’s dem edlen Manne verargen, daß er ſo urtheilt. Bei dem Ruf nach Rittersburg war Friedenberg nicht blos gleichguͤltig, ſondern gar mißmuthig; denn da er nun einmal ſeinen Schwiegerſohn fuͤr einen ſchlechten Haushalter hielt, ſo glaubte er, eine fixe Beſoldung wuͤrde ihm eben ſo we- nig helfen, als ſein Erwerb in Schoͤnenthal: und da er fuͤr ſeine Schulden Buͤrge geworden war, ſo befuͤrchtete er, er wuͤrde nun die ganze Buͤrde allein tragen, und vielleicht am Ende Alles bezahlen muͤſſen. Stillings Herz litte bei dieſer Lage entſetzlich, er konnte nichts dagegen einwenden, ſondern er mußte die Hand auf den Mund legen und ſchweigen, aber aus ſeinem beklemmten Herzen ſtiegen unaufhoͤrlich die bruͤn- ſtigſten Seufzer um Huͤlfe zum Vater im Himmel empor; ſein Vertrauen wankte nicht, und er glaubte gewiß, Gott werde ihn herrlich erretten und ſeinen Glauben kroͤnen. Indeſſen ver- ſprach er, ſeinem Schwiegervater jaͤhrlich ein paar hundert Gulden abzutragen, und ſo immerfort die Laſt zu erleichtern; dabei bliebs, und Friedenberg willigte in ſeinen Abzug. Des Sonnabends ging nun Stilling mit ſeiner Chri- ſtine und beiden Kindern nach Raſenheim, um Abſchied zu nehmen. Die Schmerzen, welche bei ſolchen Gelegenheiten gewoͤhnlich ſind, wurden jetzt durch die Lage der Sachen ſehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/374
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/374>, abgerufen am 10.06.2024.