ein Buch, welches oben bemerkte, durchaus unerwartete Wir- kung that.
Der Ursprung des Heimweh's war eben so wenig planmä- ßig: Stilling hatte durch eine besondere Veranlassung den Tristram Shandy von Lorenz Sterne aufmerksam gelesen.
Bald nachher fügte es sich auch, daß er die Lebensläufe in aufsteigender Linie las. Beide Bücher sind bekannt- lich in einem sententiösen humoristischen Styl geschrieben. Bei dieser Lectüre hatte Stilling einen weit andern Zweck als den, welchen die Vorsehung dabei bezielte.
Zu diesen zweien Vorbereitungen kam nun noch eine dritte: Stilling hatte seit Jahr und Tag den Gebrauch gehabt, täglich einen Spruch aus dem alten Testament, aus dem Hebräischen, und auch einen aus dem neuen Testament, aus dem Griechischen zu übersetzen, und dann daraus eine kurzge- faßte und reichhaltige Sentenz zu formiren. Dieser Senten- zen hatte er in einer großen Menge vorräthig, und dabei keinen andern Zweck, als Bibelstudium. Wer konnte sich nun vorstellen, daß diese geringfügigen und im Grunde nichts bedeutenden Sachen den wahren und eigentlichen Grund zur Entwicklung einer so merkwürdigen Führung legen sollten? -- Wahrlich! Stilling ahnte so etwas nie von Ferne.
Bald nach dem Lesen oben bemerkter Bücher, etwa gegen das Ende des Julius 179[3], kam an einem Vormittag der Buchhändler Krieger in Marburg zu Stilling und bat ihn, er möchte ihm doch auch einmal etwas Aesthetisches, etwa einen Roman, in Verlag geben, damit er Etwas hätte, das ihm Nutzen brächte, mit den trockenen Kompendien ging es so langsam her, u. s. w. Stilling fand in seinem Ge- müth Etwas, das diesen Antrag billigte; er versprach ihm also ein Werk von der Art, und daß er auf der Stelle da- mit anfangen wolle.
Jetzt fiel Stilling plötzlich der Gedanke ein, er habe von Jugend auf den Wunsch in seiner Seele genährt, nach Johann Bunians Beispiel, den Buß-, Bekehrungs- und Heiligungs-Weg des wahren Christen, unter dem Bilde einer
ein Buch, welches oben bemerkte, durchaus unerwartete Wir- kung that.
Der Urſprung des Heimweh’s war eben ſo wenig planmaͤ- ßig: Stilling hatte durch eine beſondere Veranlaſſung den Triſtram Shandy von Lorenz Sterne aufmerkſam geleſen.
Bald nachher fuͤgte es ſich auch, daß er die Lebenslaͤufe in aufſteigender Linie las. Beide Buͤcher ſind bekannt- lich in einem ſententioͤſen humoriſtiſchen Styl geſchrieben. Bei dieſer Lectuͤre hatte Stilling einen weit andern Zweck als den, welchen die Vorſehung dabei bezielte.
Zu dieſen zweien Vorbereitungen kam nun noch eine dritte: Stilling hatte ſeit Jahr und Tag den Gebrauch gehabt, taͤglich einen Spruch aus dem alten Teſtament, aus dem Hebraͤiſchen, und auch einen aus dem neuen Teſtament, aus dem Griechiſchen zu uͤberſetzen, und dann daraus eine kurzge- faßte und reichhaltige Sentenz zu formiren. Dieſer Senten- zen hatte er in einer großen Menge vorraͤthig, und dabei keinen andern Zweck, als Bibelſtudium. Wer konnte ſich nun vorſtellen, daß dieſe geringfuͤgigen und im Grunde nichts bedeutenden Sachen den wahren und eigentlichen Grund zur Entwicklung einer ſo merkwuͤrdigen Fuͤhrung legen ſollten? — Wahrlich! Stilling ahnte ſo etwas nie von Ferne.
Bald nach dem Leſen oben bemerkter Buͤcher, etwa gegen das Ende des Julius 179[3], kam an einem Vormittag der Buchhaͤndler Krieger in Marburg zu Stilling und bat ihn, er moͤchte ihm doch auch einmal etwas Aeſthetiſches, etwa einen Roman, in Verlag geben, damit er Etwas haͤtte, das ihm Nutzen braͤchte, mit den trockenen Kompendien ging es ſo langſam her, u. ſ. w. Stilling fand in ſeinem Ge- muͤth Etwas, das dieſen Antrag billigte; er verſprach ihm alſo ein Werk von der Art, und daß er auf der Stelle da- mit anfangen wolle.
Jetzt fiel Stilling ploͤtzlich der Gedanke ein, er habe von Jugend auf den Wunſch in ſeiner Seele genaͤhrt, nach Johann Bunians Beiſpiel, den Buß-, Bekehrungs- und Heiligungs-Weg des wahren Chriſten, unter dem Bilde einer
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ein Buch, welches oben bemerkte, durchaus unerwartete Wir-
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Der Urſprung des Heimweh’s war eben ſo wenig planmaͤ-
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Triſtram Shandy von Lorenz Sterne aufmerkſam
geleſen.
Bald nachher fuͤgte es ſich auch, daß er die Lebenslaͤufe
in aufſteigender Linie las. Beide Buͤcher ſind bekannt-
lich in einem ſententioͤſen humoriſtiſchen Styl geſchrieben. Bei
dieſer Lectuͤre hatte Stilling einen weit andern Zweck als
den, welchen die Vorſehung dabei bezielte.
Zu dieſen zweien Vorbereitungen kam nun noch eine dritte:
Stilling hatte ſeit Jahr und Tag den Gebrauch gehabt,
taͤglich einen Spruch aus dem alten Teſtament, aus dem
Hebraͤiſchen, und auch einen aus dem neuen Teſtament, aus
dem Griechiſchen zu uͤberſetzen, und dann daraus eine kurzge-
faßte und reichhaltige Sentenz zu formiren. Dieſer Senten-
zen hatte er in einer großen Menge vorraͤthig, und dabei
keinen andern Zweck, als Bibelſtudium. Wer konnte ſich
nun vorſtellen, daß dieſe geringfuͤgigen und im Grunde nichts
bedeutenden Sachen den wahren und eigentlichen Grund zur
Entwicklung einer ſo merkwuͤrdigen Fuͤhrung legen ſollten? —
Wahrlich! Stilling ahnte ſo etwas nie von Ferne.
Bald nach dem Leſen oben bemerkter Buͤcher, etwa gegen
das Ende des Julius 1793, kam an einem Vormittag der
Buchhaͤndler Krieger in Marburg zu Stilling und
bat ihn, er moͤchte ihm doch auch einmal etwas Aeſthetiſches,
etwa einen Roman, in Verlag geben, damit er Etwas haͤtte,
das ihm Nutzen braͤchte, mit den trockenen Kompendien ging
es ſo langſam her, u. ſ. w. Stilling fand in ſeinem Ge-
muͤth Etwas, das dieſen Antrag billigte; er verſprach ihm
alſo ein Werk von der Art, und daß er auf der Stelle da-
mit anfangen wolle.
Jetzt fiel Stilling ploͤtzlich der Gedanke ein, er habe
von Jugend auf den Wunſch in ſeiner Seele genaͤhrt, nach
Johann Bunians Beiſpiel, den Buß-, Bekehrungs- und
Heiligungs-Weg des wahren Chriſten, unter dem Bilde einer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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