Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

hann ins Pfarrhaus, und ließ den Herrn ersuchen, mit nach
Tiefenbach zu gehen, um seinem Mahle beizuwohnen. Johann
ging, er that schon den Hut ab, als er in den Hof kam,
um nichts zu versehen; aber leider, wie oft ist alle mensch-
liche Vorsicht unnütz! Es sprang ein großer Hund hervor;
Johann Stilling griff einen Stein, warf, und traf den
Hund in eine Seite, daß er abscheulich zu heulen anfing.
Der Pastor sah durchs Fenster was passirte; voll von Eifer
sprang er heraus, knüpfte dem armen Johann eine Faust
vor die Nase: Du lumpigter Flegel! krisch er, ich will dich
lernen meinem Hund begegnen! Stilling antwortete: Ich
wußte nicht, daß es Ew. Ehrwürden Hund war. Mein Bru-
der und meine Eltern lassen den Herrn Pastor ersuchen, mit
nach Tiefenbach zu gehen, um der Taufmahlzeit beizuwohnen.
Der Pastor ging und schwieg still. Doch murrte er aus der
Hausthür zurück: Wartet, ich will mitgehen. Er wartete fast
eine Stunde im Hof, liebkosete den Hund, und das arme
Thier war auch wirklich versöhnlicher, als der große Gelehrte,
der nun aus der Hausthüre herausging. Der Mann wan-
delte mit Zuversicht an seinem Rohrstab. Johann trabte
furchtsam hinter ihm mit dem Hut unterem Arm; den Hut
aufzusetzen war eine gefährliche Sache; denn er hatte in sei-
ner Jugend manche Ohrfeige von dem Pastor bekommen, wenn
er ihn nicht früh genug, das ist, so bald er ihn in der Ferne
erblickte, abgezogen hatte. Doch aber eine ganze Stunde lang
mit bloßem Haupt, im September, unter freiem Himmel zu
gehen, war doch auch entsetzlich! Daher sann er auf einen Fund,
wie er füglich seinen Kopf bedecken möchte. Plötzlich fiel der
Herr Stollbein zur Erde, daß es platschte. Johann er-
schrack. Ach! rief er, Herr Pastor, habt Ihr Euch Scha-
den gethan? Was gehts euch an, Schlingel! war die helden-
müthige Antwort dieses Mannes, indem er sich aufraffte.
Nun gerieth Johanns Feuer in etwas in Flammen, daß er
herausfuhr: So freue ich mich denn herzlich, daß Ihr gefallen
seyd, und lächelte noch dazu. Was! Was! rief der Pastor.
Aber Johann setzte den Hut auf, ließ den Löwen brüllen,

hann ins Pfarrhaus, und ließ den Herrn erſuchen, mit nach
Tiefenbach zu gehen, um ſeinem Mahle beizuwohnen. Johann
ging, er that ſchon den Hut ab, als er in den Hof kam,
um nichts zu verſehen; aber leider, wie oft iſt alle menſch-
liche Vorſicht unnuͤtz! Es ſprang ein großer Hund hervor;
Johann Stilling griff einen Stein, warf, und traf den
Hund in eine Seite, daß er abſcheulich zu heulen anfing.
Der Paſtor ſah durchs Fenſter was paſſirte; voll von Eifer
ſprang er heraus, knuͤpfte dem armen Johann eine Fauſt
vor die Naſe: Du lumpigter Flegel! kriſch er, ich will dich
lernen meinem Hund begegnen! Stilling antwortete: Ich
wußte nicht, daß es Ew. Ehrwuͤrden Hund war. Mein Bru-
der und meine Eltern laſſen den Herrn Paſtor erſuchen, mit
nach Tiefenbach zu gehen, um der Taufmahlzeit beizuwohnen.
Der Paſtor ging und ſchwieg ſtill. Doch murrte er aus der
Hausthuͤr zuruͤck: Wartet, ich will mitgehen. Er wartete faſt
eine Stunde im Hof, liebkoſete den Hund, und das arme
Thier war auch wirklich verſoͤhnlicher, als der große Gelehrte,
der nun aus der Hausthuͤre herausging. Der Mann wan-
delte mit Zuverſicht an ſeinem Rohrſtab. Johann trabte
furchtſam hinter ihm mit dem Hut unterem Arm; den Hut
aufzuſetzen war eine gefaͤhrliche Sache; denn er hatte in ſei-
ner Jugend manche Ohrfeige von dem Paſtor bekommen, wenn
er ihn nicht fruͤh genug, das iſt, ſo bald er ihn in der Ferne
erblickte, abgezogen hatte. Doch aber eine ganze Stunde lang
mit bloßem Haupt, im September, unter freiem Himmel zu
gehen, war doch auch entſetzlich! Daher ſann er auf einen Fund,
wie er fuͤglich ſeinen Kopf bedecken moͤchte. Ploͤtzlich fiel der
Herr Stollbein zur Erde, daß es platſchte. Johann er-
ſchrack. Ach! rief er, Herr Paſtor, habt Ihr Euch Scha-
den gethan? Was gehts euch an, Schlingel! war die helden-
muͤthige Antwort dieſes Mannes, indem er ſich aufraffte.
Nun gerieth Johanns Feuer in etwas in Flammen, daß er
herausfuhr: So freue ich mich denn herzlich, daß Ihr gefallen
ſeyd, und laͤchelte noch dazu. Was! Was! rief der Paſtor.
Aber Johann ſetzte den Hut auf, ließ den Loͤwen bruͤllen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0055" n="47"/>
hann</hi> ins Pfarrhaus, und ließ den Herrn er&#x017F;uchen, mit nach<lb/>
Tiefenbach zu gehen, um &#x017F;einem Mahle beizuwohnen. <hi rendition="#g">Johann</hi><lb/>
ging, er that &#x017F;chon den Hut ab, als er in den Hof kam,<lb/>
um nichts zu ver&#x017F;ehen; aber leider, wie oft i&#x017F;t alle men&#x017F;ch-<lb/>
liche Vor&#x017F;icht unnu&#x0364;tz! Es &#x017F;prang ein großer Hund hervor;<lb/><hi rendition="#g">Johann Stilling</hi> griff einen Stein, warf, und traf den<lb/>
Hund in eine Seite, daß er ab&#x017F;cheulich zu heulen anfing.<lb/>
Der Pa&#x017F;tor &#x017F;ah durchs Fen&#x017F;ter was pa&#x017F;&#x017F;irte; voll von Eifer<lb/>
&#x017F;prang er heraus, knu&#x0364;pfte dem armen <hi rendition="#g">Johann</hi> eine Fau&#x017F;t<lb/>
vor die Na&#x017F;e: Du lumpigter Flegel! kri&#x017F;ch er, ich will dich<lb/>
lernen meinem Hund begegnen! <hi rendition="#g">Stilling</hi> antwortete: Ich<lb/>
wußte nicht, daß es Ew. Ehrwu&#x0364;rden Hund war. Mein Bru-<lb/>
der und meine Eltern la&#x017F;&#x017F;en den Herrn Pa&#x017F;tor er&#x017F;uchen, mit<lb/>
nach Tiefenbach zu gehen, um der Taufmahlzeit beizuwohnen.<lb/>
Der Pa&#x017F;tor ging und &#x017F;chwieg &#x017F;till. Doch murrte er aus der<lb/>
Hausthu&#x0364;r zuru&#x0364;ck: Wartet, ich will mitgehen. Er wartete fa&#x017F;t<lb/>
eine Stunde im Hof, liebko&#x017F;ete den Hund, und das arme<lb/>
Thier war auch wirklich ver&#x017F;o&#x0364;hnlicher, als der große Gelehrte,<lb/>
der nun aus der Hausthu&#x0364;re herausging. Der Mann wan-<lb/>
delte mit Zuver&#x017F;icht an &#x017F;einem Rohr&#x017F;tab. <hi rendition="#g">Johann</hi> trabte<lb/>
furcht&#x017F;am hinter ihm mit dem Hut unterem Arm; den Hut<lb/>
aufzu&#x017F;etzen war eine gefa&#x0364;hrliche Sache; denn er hatte in &#x017F;ei-<lb/>
ner Jugend manche Ohrfeige von dem Pa&#x017F;tor bekommen, wenn<lb/>
er ihn nicht fru&#x0364;h genug, das i&#x017F;t, &#x017F;o bald er ihn in der Ferne<lb/>
erblickte, abgezogen hatte. Doch aber eine ganze Stunde lang<lb/>
mit bloßem Haupt, im September, unter freiem Himmel zu<lb/>
gehen, war doch auch ent&#x017F;etzlich! Daher &#x017F;ann er auf einen Fund,<lb/>
wie er fu&#x0364;glich &#x017F;einen Kopf bedecken mo&#x0364;chte. Plo&#x0364;tzlich fiel der<lb/>
Herr <hi rendition="#g">Stollbein</hi> zur Erde, daß es plat&#x017F;chte. <hi rendition="#g">Johann</hi> er-<lb/>
&#x017F;chrack. Ach! rief er, Herr Pa&#x017F;tor, habt Ihr Euch Scha-<lb/>
den gethan? Was gehts euch an, Schlingel! war die helden-<lb/>
mu&#x0364;thige Antwort die&#x017F;es Mannes, indem er &#x017F;ich aufraffte.<lb/>
Nun gerieth <hi rendition="#g">Johanns</hi> Feuer in etwas in Flammen, daß er<lb/>
herausfuhr: So freue ich mich denn herzlich, daß Ihr gefallen<lb/>
&#x017F;eyd, und la&#x0364;chelte noch dazu. Was! Was! rief der Pa&#x017F;tor.<lb/>
Aber <hi rendition="#g">Johann</hi> &#x017F;etzte den Hut auf, ließ den Lo&#x0364;wen bru&#x0364;llen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0055] hann ins Pfarrhaus, und ließ den Herrn erſuchen, mit nach Tiefenbach zu gehen, um ſeinem Mahle beizuwohnen. Johann ging, er that ſchon den Hut ab, als er in den Hof kam, um nichts zu verſehen; aber leider, wie oft iſt alle menſch- liche Vorſicht unnuͤtz! Es ſprang ein großer Hund hervor; Johann Stilling griff einen Stein, warf, und traf den Hund in eine Seite, daß er abſcheulich zu heulen anfing. Der Paſtor ſah durchs Fenſter was paſſirte; voll von Eifer ſprang er heraus, knuͤpfte dem armen Johann eine Fauſt vor die Naſe: Du lumpigter Flegel! kriſch er, ich will dich lernen meinem Hund begegnen! Stilling antwortete: Ich wußte nicht, daß es Ew. Ehrwuͤrden Hund war. Mein Bru- der und meine Eltern laſſen den Herrn Paſtor erſuchen, mit nach Tiefenbach zu gehen, um der Taufmahlzeit beizuwohnen. Der Paſtor ging und ſchwieg ſtill. Doch murrte er aus der Hausthuͤr zuruͤck: Wartet, ich will mitgehen. Er wartete faſt eine Stunde im Hof, liebkoſete den Hund, und das arme Thier war auch wirklich verſoͤhnlicher, als der große Gelehrte, der nun aus der Hausthuͤre herausging. Der Mann wan- delte mit Zuverſicht an ſeinem Rohrſtab. Johann trabte furchtſam hinter ihm mit dem Hut unterem Arm; den Hut aufzuſetzen war eine gefaͤhrliche Sache; denn er hatte in ſei- ner Jugend manche Ohrfeige von dem Paſtor bekommen, wenn er ihn nicht fruͤh genug, das iſt, ſo bald er ihn in der Ferne erblickte, abgezogen hatte. Doch aber eine ganze Stunde lang mit bloßem Haupt, im September, unter freiem Himmel zu gehen, war doch auch entſetzlich! Daher ſann er auf einen Fund, wie er fuͤglich ſeinen Kopf bedecken moͤchte. Ploͤtzlich fiel der Herr Stollbein zur Erde, daß es platſchte. Johann er- ſchrack. Ach! rief er, Herr Paſtor, habt Ihr Euch Scha- den gethan? Was gehts euch an, Schlingel! war die helden- muͤthige Antwort dieſes Mannes, indem er ſich aufraffte. Nun gerieth Johanns Feuer in etwas in Flammen, daß er herausfuhr: So freue ich mich denn herzlich, daß Ihr gefallen ſeyd, und laͤchelte noch dazu. Was! Was! rief der Paſtor. Aber Johann ſetzte den Hut auf, ließ den Loͤwen bruͤllen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/55
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/55>, abgerufen am 15.05.2024.