Theil meiner Geschichte, der den Grund zu mei- ner endlichen wahren Bestimmung, nämlich der Befolgung meines religiösen Grundtriebs legte, im geringsten keine Veranlassung gab, sondern daß es pur freie Verfügung der Vorsehung war.
Fragt man mich, warum mich mein himmlischer Führer nicht schon damals auf meinen rechten Posten setzte? so antworte ich: damals war noch gar Vieles an mir weg zu poliren; ich war auch in meinen Grundsätzen noch nicht fest genug; ich kämpfte noch mit dem Determinismus, und dann war es auch noch lange nicht an dem Zeitpunkt, in welchem ich wirksam seyn sollte.
Als endlich die Noth am größten war, und ich weder aus noch ein wußte, so wurde ich auf eine Art gerettet, an die ich nie von Ferne gedacht hatte, und die ich mir nie hätte träumen lassen: auf Veranlassung einer Abhandlung über die Forstwirth- schaftliche Benutzung der Gemeinwaldung im Fürstenthum Nas- sau-Siegen, meinem Vaterland -- womit ich einem gewissen Freund einen Gefallen zu erzeigen glaubte, wurde ich an die neu- errichtete Kameralschule zu Kaiserslautern in der Pfalz zum ordentlichen, öffentlichen Lehrer der Landwirthschaft, Tech- nologie, Handlungswissenschaft und Vieharzneikunde, mit sechs- hundert Gulden fixer Besoldung berufen, und bei meinem Abzug wurden die dringendsten Schulden, nämlich acht hundert Gulden, auf eine eben so unerwartete Art getilgt als in der Schweiz zuletzt vor drittehalb Jahren der Hauptstock derselben getilgt wurde. Ich zog also mit meiner Familie nach Lautern.
Daß dieß abermal nicht mein angelegter Plan, nicht meine Führung, sondern lediglich und allein Plan und Ausführung meines himmlischen Führers war, das muß Jedermann fühlen, der nur einigermaßen des Nachdenkens fähig ist.
Jetzt glaubte ich aber nun gewiß, daß das Studium der Staats- wirthschaft der Beruf sey, wozu mich die Vorsehung von Ju- gend auf geleitet und vorbereitet habe; denn ich hatte Gelegen- heit gehabt, alle die Fächer, die ich lehrte, selbst praktisch zu ler- nen, ich hatte Medizin studirt, weil mir die Hülfswissenschaften dazu in meinem gegenwärtigen Beruf unentbehrlich waren. Durch
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band 39
Theil meiner Geſchichte, der den Grund zu mei- ner endlichen wahren Beſtimmung, naͤmlich der Befolgung meines religioͤſen Grundtriebs legte, im geringſten keine Veranlaſſung gab, ſondern daß es pur freie Verfuͤgung der Vorſehung war.
Fragt man mich, warum mich mein himmliſcher Fuͤhrer nicht ſchon damals auf meinen rechten Poſten ſetzte? ſo antworte ich: damals war noch gar Vieles an mir weg zu poliren; ich war auch in meinen Grundſaͤtzen noch nicht feſt genug; ich kaͤmpfte noch mit dem Determinismus, und dann war es auch noch lange nicht an dem Zeitpunkt, in welchem ich wirkſam ſeyn ſollte.
Als endlich die Noth am groͤßten war, und ich weder aus noch ein wußte, ſo wurde ich auf eine Art gerettet, an die ich nie von Ferne gedacht hatte, und die ich mir nie haͤtte traͤumen laſſen: auf Veranlaſſung einer Abhandlung uͤber die Forſtwirth- ſchaftliche Benutzung der Gemeinwaldung im Fuͤrſtenthum Naſ- ſau-Siegen, meinem Vaterland — womit ich einem gewiſſen Freund einen Gefallen zu erzeigen glaubte, wurde ich an die neu- errichtete Kameralſchule zu Kaiſerslautern in der Pfalz zum ordentlichen, oͤffentlichen Lehrer der Landwirthſchaft, Tech- nologie, Handlungswiſſenſchaft und Vieharzneikunde, mit ſechs- hundert Gulden fixer Beſoldung berufen, und bei meinem Abzug wurden die dringendſten Schulden, naͤmlich acht hundert Gulden, auf eine eben ſo unerwartete Art getilgt als in der Schweiz zuletzt vor drittehalb Jahren der Hauptſtock derſelben getilgt wurde. Ich zog alſo mit meiner Familie nach Lautern.
Daß dieß abermal nicht mein angelegter Plan, nicht meine Fuͤhrung, ſondern lediglich und allein Plan und Ausfuͤhrung meines himmliſchen Fuͤhrers war, das muß Jedermann fuͤhlen, der nur einigermaßen des Nachdenkens faͤhig iſt.
Jetzt glaubte ich aber nun gewiß, daß das Studium der Staats- wirthſchaft der Beruf ſey, wozu mich die Vorſehung von Ju- gend auf geleitet und vorbereitet habe; denn ich hatte Gelegen- heit gehabt, alle die Faͤcher, die ich lehrte, ſelbſt praktiſch zu ler- nen, ich hatte Medizin ſtudirt, weil mir die Huͤlfswiſſenſchaften dazu in meinem gegenwaͤrtigen Beruf unentbehrlich waren. Durch
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band 39
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Theil meiner Geſchichte, der den Grund zu mei-
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im geringſten keine Veranlaſſung gab, ſondern
daß es pur freie Verfuͤgung der Vorſehung war.
Fragt man mich, warum mich mein himmliſcher Fuͤhrer nicht
ſchon damals auf meinen rechten Poſten ſetzte? ſo antworte ich:
damals war noch gar Vieles an mir weg zu poliren; ich war
auch in meinen Grundſaͤtzen noch nicht feſt genug; ich kaͤmpfte
noch mit dem Determinismus, und dann war es auch noch
lange nicht an dem Zeitpunkt, in welchem ich wirkſam ſeyn ſollte.
Als endlich die Noth am groͤßten war, und ich weder aus
noch ein wußte, ſo wurde ich auf eine Art gerettet, an die ich
nie von Ferne gedacht hatte, und die ich mir nie haͤtte traͤumen
laſſen: auf Veranlaſſung einer Abhandlung uͤber die Forſtwirth-
ſchaftliche Benutzung der Gemeinwaldung im Fuͤrſtenthum Naſ-
ſau-Siegen, meinem Vaterland — womit ich einem gewiſſen
Freund einen Gefallen zu erzeigen glaubte, wurde ich an die neu-
errichtete Kameralſchule zu Kaiſerslautern in der Pfalz
zum ordentlichen, oͤffentlichen Lehrer der Landwirthſchaft, Tech-
nologie, Handlungswiſſenſchaft und Vieharzneikunde, mit ſechs-
hundert Gulden fixer Beſoldung berufen, und bei meinem Abzug
wurden die dringendſten Schulden, naͤmlich acht hundert Gulden,
auf eine eben ſo unerwartete Art getilgt als in der Schweiz
zuletzt vor drittehalb Jahren der Hauptſtock derſelben getilgt wurde.
Ich zog alſo mit meiner Familie nach Lautern.
Daß dieß abermal nicht mein angelegter Plan, nicht meine
Fuͤhrung, ſondern lediglich und allein Plan und Ausfuͤhrung
meines himmliſchen Fuͤhrers war, das muß Jedermann fuͤhlen,
der nur einigermaßen des Nachdenkens faͤhig iſt.
Jetzt glaubte ich aber nun gewiß, daß das Studium der Staats-
wirthſchaft der Beruf ſey, wozu mich die Vorſehung von Ju-
gend auf geleitet und vorbereitet habe; denn ich hatte Gelegen-
heit gehabt, alle die Faͤcher, die ich lehrte, ſelbſt praktiſch zu ler-
nen, ich hatte Medizin ſtudirt, weil mir die Huͤlfswiſſenſchaften
dazu in meinem gegenwaͤrtigen Beruf unentbehrlich waren. Durch
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band 39
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/605>, abgerufen am 23.11.2024.
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