Jetzt bitte ich nun inständig, Gott und der Wahrheit die Ehre zu geben, und folgende Sätze genau zu prüfen:
1. Zeigt meine ganze Lebensgeschichte nicht unwiderstehlich, daß mich nicht menschlicher Verstand und Weisheit, sondern der -- der der Menschen Herz, Handlungen und Schicksale -- doch ohne Zwang ihres freien Willens -- zu lenken versteht, von An- fang bis zu Ende wahrhaft nach einem vorbedachten Plan ge- leitet, gebildet und erzogen habe?
2. Zeigt meine Geschichte nicht ebenfalls unwiderlegbar, daß von meiner Seite nicht das Geringste, weder zum Entwurf, noch zur Ausführung meines Lebensplans geschehen sey? -- weder Schwärmerei noch Irrthümer hatten an jenem Plan, an dessen Ausführung Theil: denn wo ich schwärmte oder irrte, da wurde ich immer durch die Entwicklung eines Bessern belehrt.
3. Wenn mich also nun der Allweise, Allgütige und Alles- vermögende Weltregent selbst geleitet, vor- und zubereitet hat, ohne daß weder ich selbst, noch irgend ein Mensch, Antheil an seinem Plan hatte: kann Ihm da sein Werk mißlungen seyn? -- kann Er einen Irrgeist, einen Schwärmer und Obscuranten -- so -- leiten und führen wie mich, um die Menschen zu täuschen? -- Ja! zulassen kann Ers, daß sich ein Schwärmer und Verführer selbst durch Schwierigkeiten durcharbeitet und eigenmächtig sich ein Publi- kum erwirbt: denn Er läßt freie Wesen auch frei wirken, so lange es mit seinem hohen Rath bestehen kann; aber zeige mir Einer in meinem ganzen Leben, daß ich mich irgendwo durch Schwierigkeiten von der Art durchgearbeitet, oder gesucht habe, mir ein Publikum in religiöser Hinsicht zu erwerben.
4. Folgt also nun nicht aus dem Allem, daß mein religiöses Lehrsystem, welches kein anderes ist, als dasjenige, welches Chri- stus und seine Apostel -- und nachher alle rechtgläubige Kirchen- väter alle Jahrhunderte durch, gelehrt haben, wahr, und aber- mals durch meine Führung legitimirt worden sey? -- ich kann Ideen, -- ich kann Nebenbegriffe haben, die noch unlauter, noch nicht genug berichtiget sind, aber in der Hauptsache des Christenthums irre ich so gewiß nicht, als ich gewiß bin, daß mich Gott mein ganzes Leben durch geführt, und selbst zum Zeu-
Jetzt bitte ich nun inſtaͤndig, Gott und der Wahrheit die Ehre zu geben, und folgende Saͤtze genau zu pruͤfen:
1. Zeigt meine ganze Lebensgeſchichte nicht unwiderſtehlich, daß mich nicht menſchlicher Verſtand und Weisheit, ſondern der — der der Menſchen Herz, Handlungen und Schickſale — doch ohne Zwang ihres freien Willens — zu lenken verſteht, von An- fang bis zu Ende wahrhaft nach einem vorbedachten Plan ge- leitet, gebildet und erzogen habe?
2. Zeigt meine Geſchichte nicht ebenfalls unwiderlegbar, daß von meiner Seite nicht das Geringſte, weder zum Entwurf, noch zur Ausfuͤhrung meines Lebensplans geſchehen ſey? — weder Schwaͤrmerei noch Irrthuͤmer hatten an jenem Plan, an deſſen Ausfuͤhrung Theil: denn wo ich ſchwaͤrmte oder irrte, da wurde ich immer durch die Entwicklung eines Beſſern belehrt.
3. Wenn mich alſo nun der Allweiſe, Allguͤtige und Alles- vermoͤgende Weltregent ſelbſt geleitet, vor- und zubereitet hat, ohne daß weder ich ſelbſt, noch irgend ein Menſch, Antheil an ſeinem Plan hatte: kann Ihm da ſein Werk mißlungen ſeyn? — kann Er einen Irrgeiſt, einen Schwaͤrmer und Obſcuranten — ſo — leiten und fuͤhren wie mich, um die Menſchen zu taͤuſchen? — Ja! zulaſſen kann Ers, daß ſich ein Schwaͤrmer und Verfuͤhrer ſelbſt durch Schwierigkeiten durcharbeitet und eigenmaͤchtig ſich ein Publi- kum erwirbt: denn Er laͤßt freie Weſen auch frei wirken, ſo lange es mit ſeinem hohen Rath beſtehen kann; aber zeige mir Einer in meinem ganzen Leben, daß ich mich irgendwo durch Schwierigkeiten von der Art durchgearbeitet, oder geſucht habe, mir ein Publikum in religioͤſer Hinſicht zu erwerben.
4. Folgt alſo nun nicht aus dem Allem, daß mein religioͤſes Lehrſyſtem, welches kein anderes iſt, als dasjenige, welches Chri- ſtus und ſeine Apoſtel — und nachher alle rechtglaͤubige Kirchen- vaͤter alle Jahrhunderte durch, gelehrt haben, wahr, und aber- mals durch meine Fuͤhrung legitimirt worden ſey? — ich kann Ideen, — ich kann Nebenbegriffe haben, die noch unlauter, noch nicht genug berichtiget ſind, aber in der Hauptſache des Chriſtenthums irre ich ſo gewiß nicht, als ich gewiß bin, daß mich Gott mein ganzes Leben durch gefuͤhrt, und ſelbſt zum Zeu-
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Jetzt bitte ich nun inſtaͤndig, Gott und der Wahrheit die Ehre
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mich nicht menſchlicher Verſtand und Weisheit, ſondern der —
der der Menſchen Herz, Handlungen und Schickſale — doch
ohne Zwang ihres freien Willens — zu lenken verſteht, von An-
fang bis zu Ende wahrhaft nach einem vorbedachten Plan ge-
leitet, gebildet und erzogen habe?
2. Zeigt meine Geſchichte nicht ebenfalls unwiderlegbar, daß
von meiner Seite nicht das Geringſte, weder zum Entwurf,
noch zur Ausfuͤhrung meines Lebensplans geſchehen ſey? —
weder Schwaͤrmerei noch Irrthuͤmer hatten an jenem Plan, an
deſſen Ausfuͤhrung Theil: denn wo ich ſchwaͤrmte oder irrte, da
wurde ich immer durch die Entwicklung eines Beſſern belehrt.
3. Wenn mich alſo nun der Allweiſe, Allguͤtige und Alles-
vermoͤgende Weltregent ſelbſt geleitet, vor- und zubereitet hat,
ohne daß weder ich ſelbſt, noch irgend ein Menſch,
Antheil an ſeinem Plan hatte: kann Ihm da ſein
Werk mißlungen ſeyn? — kann Er einen Irrgeiſt, einen
Schwaͤrmer und Obſcuranten — ſo — leiten und fuͤhren wie
mich, um die Menſchen zu taͤuſchen? — Ja! zulaſſen kann
Ers, daß ſich ein Schwaͤrmer und Verfuͤhrer ſelbſt durch
Schwierigkeiten durcharbeitet und eigenmaͤchtig ſich ein Publi-
kum erwirbt: denn Er laͤßt freie Weſen auch frei wirken, ſo
lange es mit ſeinem hohen Rath beſtehen kann; aber zeige mir
Einer in meinem ganzen Leben, daß ich mich irgendwo durch
Schwierigkeiten von der Art durchgearbeitet, oder geſucht habe,
mir ein Publikum in religioͤſer Hinſicht zu erwerben.
4. Folgt alſo nun nicht aus dem Allem, daß mein religioͤſes
Lehrſyſtem, welches kein anderes iſt, als dasjenige, welches Chri-
ſtus und ſeine Apoſtel — und nachher alle rechtglaͤubige Kirchen-
vaͤter alle Jahrhunderte durch, gelehrt haben, wahr, und aber-
mals durch meine Fuͤhrung legitimirt worden ſey? — ich kann
Ideen, — ich kann Nebenbegriffe haben, die noch unlauter,
noch nicht genug berichtiget ſind, aber in der Hauptſache des
Chriſtenthums irre ich ſo gewiß nicht, als ich gewiß bin, daß
mich Gott mein ganzes Leben durch gefuͤhrt, und ſelbſt zum Zeu-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/608>, abgerufen am 24.11.2024.
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