"gib mir auch Kraft, und ich will gern noch wirken und dulden!"
Nachher sagte seine dritte Tochter: Ach, was müssen Sie da so schlecht liegen; darauf erwiederte er: "Sag nur das doch "nicht immer; unser Herr lag noch ganz anders da!" Spä- terhin, uns Alle um sich bemerkend, unsere traurenden Blicke auf ihn geheftet, sagte er: "Wenn Ihr mit mir sprechen wollt, so thut es doch!"
Als man ihm das Nachtlicht, das er sich gewöhnlich um die Schlafzeit kommen ließ, brachte, sagte er: "Ich brauche es nicht, "ich reise die ganze Nacht!" Späterhin fuhr er fort: "Wenn "man zur christlichen Gemeinde gehört, so muß nicht nur Mann "und Weib, sondern auch alle Kinder in einem Punkte überein- "stimmen; und das ist schrecklich schwer."
Gegen Morgen hatte er folgenden Traum, den er nach dem Erwachen seinem ältesten Sohne und der dritten Tochter erzählte: "Ich habe mich mit meiner seligen Gattin im Hauswesen thä- "tig gefühlt; nachher ist mir der graue Mann, aber nicht der "im Heimweh, erschienen, und hat mich in Himmel geführt, "und gesagt: Ich solle mich um meine Frau nichts bekümmern, "dieser gehe es wohl; er selbst habe sie von einer Stufe der "Vollendung zur andern geführt, aber ich müsse noch warten!" Nachher erklärte er: "Ach ich fühle eine unbeschreibliche Seelen- "ruhe, die ihr mir bei meinem körperlichen Elend nicht ansehet!" Unterdessen stieg aber seine Schwäche, und es ward ihm schwer, anhaltende Worte zu reden, da schon vorher seine Stimme die Stärke verloren, darum that er mehr abgebrochene Aeußerungen, als: "Eine völlige Hingabe an den Herrn," u. dergl. und hätte oft gerne fortgefahren, wenn es die Schwäche zugelassen haben würde.
Aber es stieg auch seine Ruhe und feierliche Stimmung zu immer höherem Grade, und in seiner Gegenwart konnte man nur beten. Da war es, als er sich kräftig fühlte, ein erhabe- nes hohepriesterliches Gebet auszusprechen, darin er zu Gott flehete: "Er möge seine Kinder alle in dem Glauben an Je- "sum Christum erhalten, sie als Reben am Weinstocke bewah- "ren, daß er sie noch nach Jahrtausenden gleich einem Reisbünd- "lein zusammengebunden, fände!"
„gib mir auch Kraft, und ich will gern noch wirken und dulden!“
Nachher ſagte ſeine dritte Tochter: Ach, was muͤſſen Sie da ſo ſchlecht liegen; darauf erwiederte er: „Sag nur das doch „nicht immer; unſer Herr lag noch ganz anders da!“ Spaͤ- terhin, uns Alle um ſich bemerkend, unſere traurenden Blicke auf ihn geheftet, ſagte er: „Wenn Ihr mit mir ſprechen wollt, ſo thut es doch!“
Als man ihm das Nachtlicht, das er ſich gewoͤhnlich um die Schlafzeit kommen ließ, brachte, ſagte er: „Ich brauche es nicht, „ich reiſe die ganze Nacht!“ Spaͤterhin fuhr er fort: „Wenn „man zur chriſtlichen Gemeinde gehoͤrt, ſo muß nicht nur Mann „und Weib, ſondern auch alle Kinder in einem Punkte uͤberein- „ſtimmen; und das iſt ſchrecklich ſchwer.“
Gegen Morgen hatte er folgenden Traum, den er nach dem Erwachen ſeinem aͤlteſten Sohne und der dritten Tochter erzaͤhlte: „Ich habe mich mit meiner ſeligen Gattin im Hausweſen thaͤ- „tig gefuͤhlt; nachher iſt mir der graue Mann, aber nicht der „im Heimweh, erſchienen, und hat mich in Himmel gefuͤhrt, „und geſagt: Ich ſolle mich um meine Frau nichts bekuͤmmern, „dieſer gehe es wohl; er ſelbſt habe ſie von einer Stufe der „Vollendung zur andern gefuͤhrt, aber ich muͤſſe noch warten!“ Nachher erklaͤrte er: „Ach ich fuͤhle eine unbeſchreibliche Seelen- „ruhe, die ihr mir bei meinem koͤrperlichen Elend nicht anſehet!“ Unterdeſſen ſtieg aber ſeine Schwaͤche, und es ward ihm ſchwer, anhaltende Worte zu reden, da ſchon vorher ſeine Stimme die Staͤrke verloren, darum that er mehr abgebrochene Aeußerungen, als: „Eine voͤllige Hingabe an den Herrn,“ u. dergl. und haͤtte oft gerne fortgefahren, wenn es die Schwaͤche zugelaſſen haben wuͤrde.
Aber es ſtieg auch ſeine Ruhe und feierliche Stimmung zu immer hoͤherem Grade, und in ſeiner Gegenwart konnte man nur beten. Da war es, als er ſich kraͤftig fuͤhlte, ein erhabe- nes hoheprieſterliches Gebet auszuſprechen, darin er zu Gott flehete: „Er moͤge ſeine Kinder alle in dem Glauben an Je- „ſum Chriſtum erhalten, ſie als Reben am Weinſtocke bewah- „ren, daß er ſie noch nach Jahrtauſenden gleich einem Reisbuͤnd- „lein zuſammengebunden, faͤnde!“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0652"n="644"/>„gib mir auch Kraft, und ich will gern noch wirken und dulden!“</p><lb/><p>Nachher ſagte ſeine dritte Tochter: Ach, was muͤſſen Sie da<lb/>ſo ſchlecht liegen; darauf erwiederte er: „Sag nur das doch<lb/>„nicht immer; unſer Herr lag noch ganz anders da!“ Spaͤ-<lb/>
terhin, uns Alle um ſich bemerkend, unſere traurenden Blicke<lb/>
auf ihn geheftet, ſagte er: „Wenn Ihr mit mir ſprechen wollt,<lb/>ſo thut es doch!“</p><lb/><p>Als man ihm das Nachtlicht, das er ſich gewoͤhnlich um die<lb/>
Schlafzeit kommen ließ, brachte, ſagte er: „Ich brauche es nicht,<lb/>„ich reiſe die ganze Nacht!“ Spaͤterhin fuhr er fort: „Wenn<lb/>„man zur chriſtlichen Gemeinde gehoͤrt, ſo muß nicht nur Mann<lb/>„und Weib, ſondern auch alle Kinder in einem Punkte uͤberein-<lb/>„ſtimmen; und das iſt ſchrecklich ſchwer.“</p><lb/><p>Gegen Morgen hatte er folgenden Traum, den er nach dem<lb/>
Erwachen ſeinem aͤlteſten Sohne und der dritten Tochter erzaͤhlte:<lb/>„Ich habe mich mit meiner ſeligen Gattin im Hausweſen thaͤ-<lb/>„tig gefuͤhlt; nachher iſt mir der graue Mann, aber nicht der<lb/>„im Heimweh, erſchienen, und hat mich in Himmel gefuͤhrt,<lb/>„und geſagt: Ich ſolle mich um meine Frau nichts bekuͤmmern,<lb/>„dieſer gehe es wohl; er ſelbſt habe ſie von einer Stufe der<lb/>„Vollendung zur andern gefuͤhrt, aber ich muͤſſe noch warten!“<lb/>
Nachher erklaͤrte er: „Ach ich fuͤhle eine unbeſchreibliche Seelen-<lb/>„ruhe, die ihr mir bei meinem koͤrperlichen Elend nicht anſehet!“<lb/>
Unterdeſſen ſtieg aber ſeine Schwaͤche, und es ward ihm ſchwer,<lb/>
anhaltende Worte zu reden, da ſchon vorher ſeine Stimme die<lb/>
Staͤrke verloren, darum that er mehr abgebrochene Aeußerungen,<lb/>
als: „Eine voͤllige Hingabe an den Herrn,“ u. dergl. und haͤtte oft<lb/>
gerne fortgefahren, wenn es die Schwaͤche zugelaſſen haben<lb/>
wuͤrde.</p><lb/><p>Aber es ſtieg auch ſeine Ruhe und feierliche Stimmung zu<lb/>
immer hoͤherem Grade, und in ſeiner Gegenwart konnte man<lb/>
nur beten. Da war es, als er ſich kraͤftig fuͤhlte, ein erhabe-<lb/>
nes hoheprieſterliches Gebet auszuſprechen, darin er zu Gott<lb/>
flehete: „Er moͤge ſeine Kinder alle in dem Glauben an Je-<lb/>„ſum Chriſtum erhalten, ſie als Reben am Weinſtocke bewah-<lb/>„ren, daß er ſie noch nach Jahrtauſenden gleich einem Reisbuͤnd-<lb/>„lein zuſammengebunden, faͤnde!“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[644/0652]
„gib mir auch Kraft, und ich will gern noch wirken und dulden!“
Nachher ſagte ſeine dritte Tochter: Ach, was muͤſſen Sie da
ſo ſchlecht liegen; darauf erwiederte er: „Sag nur das doch
„nicht immer; unſer Herr lag noch ganz anders da!“ Spaͤ-
terhin, uns Alle um ſich bemerkend, unſere traurenden Blicke
auf ihn geheftet, ſagte er: „Wenn Ihr mit mir ſprechen wollt,
ſo thut es doch!“
Als man ihm das Nachtlicht, das er ſich gewoͤhnlich um die
Schlafzeit kommen ließ, brachte, ſagte er: „Ich brauche es nicht,
„ich reiſe die ganze Nacht!“ Spaͤterhin fuhr er fort: „Wenn
„man zur chriſtlichen Gemeinde gehoͤrt, ſo muß nicht nur Mann
„und Weib, ſondern auch alle Kinder in einem Punkte uͤberein-
„ſtimmen; und das iſt ſchrecklich ſchwer.“
Gegen Morgen hatte er folgenden Traum, den er nach dem
Erwachen ſeinem aͤlteſten Sohne und der dritten Tochter erzaͤhlte:
„Ich habe mich mit meiner ſeligen Gattin im Hausweſen thaͤ-
„tig gefuͤhlt; nachher iſt mir der graue Mann, aber nicht der
„im Heimweh, erſchienen, und hat mich in Himmel gefuͤhrt,
„und geſagt: Ich ſolle mich um meine Frau nichts bekuͤmmern,
„dieſer gehe es wohl; er ſelbſt habe ſie von einer Stufe der
„Vollendung zur andern gefuͤhrt, aber ich muͤſſe noch warten!“
Nachher erklaͤrte er: „Ach ich fuͤhle eine unbeſchreibliche Seelen-
„ruhe, die ihr mir bei meinem koͤrperlichen Elend nicht anſehet!“
Unterdeſſen ſtieg aber ſeine Schwaͤche, und es ward ihm ſchwer,
anhaltende Worte zu reden, da ſchon vorher ſeine Stimme die
Staͤrke verloren, darum that er mehr abgebrochene Aeußerungen,
als: „Eine voͤllige Hingabe an den Herrn,“ u. dergl. und haͤtte oft
gerne fortgefahren, wenn es die Schwaͤche zugelaſſen haben
wuͤrde.
Aber es ſtieg auch ſeine Ruhe und feierliche Stimmung zu
immer hoͤherem Grade, und in ſeiner Gegenwart konnte man
nur beten. Da war es, als er ſich kraͤftig fuͤhlte, ein erhabe-
nes hoheprieſterliches Gebet auszuſprechen, darin er zu Gott
flehete: „Er moͤge ſeine Kinder alle in dem Glauben an Je-
„ſum Chriſtum erhalten, ſie als Reben am Weinſtocke bewah-
„ren, daß er ſie noch nach Jahrtauſenden gleich einem Reisbuͤnd-
„lein zuſammengebunden, faͤnde!“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/652>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.