Heinrich Stilling hatte mit größter Aufmerksamkeit zu- gehöret. Nun sprach er: Gott sey Dank, daß ich solche El- tern gehabt habe! Ich will sie Alle nett aufschreiben, damit ich's nicht vergesse. Die Ritter nennen ihre Voreltern Ahnen, ich will sie auch meine Ahnen heißen. Der Großvater lächelte und schwieg.
Des andern Tages gingen sie wieder nach Hause, und Hein- rich schrieb alle die Erzählungen in ein altes Schreibbuch, das er umkehrte, und die hinten weiß gebliebenen Blätter mit seinen Ahnen vollpfropfte.
Mir werden die Thränen los, da ich dieses schreibe. Wo seyd ihr doch hingeflohen, ihr sel'ge Stunden! Warum bleibt nur euer Andenken dem Menschen übrig! Welche Freude über- irdischer Fülle schmeckte der gefühlige Geist der Jugend! Es gibt keine Niedrigkeit des Standes, wenn die Seele geadelt ist. Ihr, meine Thränen, die mein durchbrechender Geist her- auspreßt, sagt's jedem guten Herzen, sagt's ohne Worte, was ein Mensch sey, der mit Gott seinem Vater bekannt ist, und all' seine Gaben in ihrer Größe schmeckt!
Heinrich Stilling war die Freude und Hoffnung sei- nes Hauses; denn ob gleich Johann Stilling einen äl- tern Sohn hatte, so war doch niemand auf denselben sonder- lich aufmerksam. Er kam oft, besuchte seine Großeltern, aber wie er kam, so ging er auch wieder. Eine seltsame Sache! -- Eberhard Stilling war doch wahrlich nicht partheiisch. Doch was halt' ich mich hierbei auf? Wer kann dafür, wenn man einen Menschen vor dem andern mehr oder weniger lieben muß? Pastor Stollbein sah wohl, daß unser Knabe Etwas werden würde, wenn man nur was aus ihm machte, daher kam es bei einer Gelegenheit, da er in Stillings Hause war, daß er mit dem Vater und Großvater von dem Jungen redete, und ihnen vorschlug, Wilhelm sollte ihn Latein ler- nen lassen. Wir haben ja zu Florenburg einen guten lateini- schen Schulmeister; schickt ihn hin, es wird wenig kosten. Der alte Stilling saß am Tisch, kaute an einem Spänchen; so
Heinrich Stilling hatte mit groͤßter Aufmerkſamkeit zu- gehoͤret. Nun ſprach er: Gott ſey Dank, daß ich ſolche El- tern gehabt habe! Ich will ſie Alle nett aufſchreiben, damit ich’s nicht vergeſſe. Die Ritter nennen ihre Voreltern Ahnen, ich will ſie auch meine Ahnen heißen. Der Großvater laͤchelte und ſchwieg.
Des andern Tages gingen ſie wieder nach Hauſe, und Hein- rich ſchrieb alle die Erzaͤhlungen in ein altes Schreibbuch, das er umkehrte, und die hinten weiß gebliebenen Blaͤtter mit ſeinen Ahnen vollpfropfte.
Mir werden die Thraͤnen los, da ich dieſes ſchreibe. Wo ſeyd ihr doch hingeflohen, ihr ſel’ge Stunden! Warum bleibt nur euer Andenken dem Menſchen uͤbrig! Welche Freude uͤber- irdiſcher Fuͤlle ſchmeckte der gefuͤhlige Geiſt der Jugend! Es gibt keine Niedrigkeit des Standes, wenn die Seele geadelt iſt. Ihr, meine Thraͤnen, die mein durchbrechender Geiſt her- auspreßt, ſagt’s jedem guten Herzen, ſagt’s ohne Worte, was ein Menſch ſey, der mit Gott ſeinem Vater bekannt iſt, und all’ ſeine Gaben in ihrer Groͤße ſchmeckt!
Heinrich Stilling war die Freude und Hoffnung ſei- nes Hauſes; denn ob gleich Johann Stilling einen aͤl- tern Sohn hatte, ſo war doch niemand auf denſelben ſonder- lich aufmerkſam. Er kam oft, beſuchte ſeine Großeltern, aber wie er kam, ſo ging er auch wieder. Eine ſeltſame Sache! — Eberhard Stilling war doch wahrlich nicht partheiiſch. Doch was halt’ ich mich hierbei auf? Wer kann dafuͤr, wenn man einen Menſchen vor dem andern mehr oder weniger lieben muß? Paſtor Stollbein ſah wohl, daß unſer Knabe Etwas werden wuͤrde, wenn man nur was aus ihm machte, daher kam es bei einer Gelegenheit, da er in Stillings Hauſe war, daß er mit dem Vater und Großvater von dem Jungen redete, und ihnen vorſchlug, Wilhelm ſollte ihn Latein ler- nen laſſen. Wir haben ja zu Florenburg einen guten lateini- ſchen Schulmeiſter; ſchickt ihn hin, es wird wenig koſten. Der alte Stilling ſaß am Tiſch, kaute an einem Spaͤnchen; ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0087"n="79"/><p><hirendition="#g">Heinrich Stilling</hi> hatte mit groͤßter Aufmerkſamkeit zu-<lb/>
gehoͤret. Nun ſprach er: Gott ſey Dank, daß ich ſolche El-<lb/>
tern gehabt habe! Ich will ſie Alle nett aufſchreiben, damit<lb/>
ich’s nicht vergeſſe. Die Ritter nennen ihre Voreltern Ahnen,<lb/>
ich will ſie auch meine Ahnen heißen. Der Großvater laͤchelte<lb/>
und ſchwieg.</p><lb/><p>Des andern Tages gingen ſie wieder nach Hauſe, und <hirendition="#g">Hein-<lb/>
rich</hi>ſchrieb alle die Erzaͤhlungen in ein altes Schreibbuch, das<lb/>
er umkehrte, und die hinten weiß gebliebenen Blaͤtter mit ſeinen<lb/>
Ahnen vollpfropfte.</p><lb/><p>Mir werden die Thraͤnen los, da ich dieſes ſchreibe. Wo<lb/>ſeyd ihr doch hingeflohen, ihr ſel’ge Stunden! Warum bleibt<lb/>
nur euer Andenken dem Menſchen uͤbrig! Welche Freude uͤber-<lb/>
irdiſcher Fuͤlle ſchmeckte der gefuͤhlige Geiſt der Jugend! Es<lb/>
gibt keine Niedrigkeit des Standes, wenn die Seele geadelt<lb/>
iſt. Ihr, meine Thraͤnen, die mein durchbrechender Geiſt her-<lb/>
auspreßt, ſagt’s jedem guten Herzen, ſagt’s ohne Worte, was<lb/>
ein Menſch ſey, der mit Gott ſeinem Vater bekannt iſt, und<lb/>
all’ſeine Gaben in ihrer Groͤße ſchmeckt!</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Heinrich Stilling</hi> war die Freude und Hoffnung ſei-<lb/>
nes Hauſes; denn ob gleich <hirendition="#g">Johann Stilling</hi> einen aͤl-<lb/>
tern Sohn hatte, ſo war doch niemand auf denſelben ſonder-<lb/>
lich aufmerkſam. Er kam oft, beſuchte ſeine Großeltern, aber<lb/>
wie er kam, ſo ging er auch wieder. Eine ſeltſame Sache! —<lb/><hirendition="#g">Eberhard Stilling</hi> war doch wahrlich nicht partheiiſch.<lb/>
Doch was halt’ ich mich hierbei auf? Wer kann dafuͤr, wenn<lb/>
man einen Menſchen vor dem andern mehr oder weniger lieben<lb/>
muß? Paſtor <hirendition="#g">Stollbein</hi>ſah wohl, daß unſer Knabe Etwas<lb/>
werden wuͤrde, wenn man nur was aus ihm machte, daher<lb/>
kam es bei einer Gelegenheit, da er in <hirendition="#g">Stillings</hi> Hauſe<lb/>
war, daß er mit dem Vater und Großvater von dem Jungen<lb/>
redete, und ihnen vorſchlug, <hirendition="#g">Wilhelm</hi>ſollte ihn Latein ler-<lb/>
nen laſſen. Wir haben ja zu Florenburg einen guten lateini-<lb/>ſchen Schulmeiſter; ſchickt ihn hin, es wird wenig koſten. Der<lb/>
alte <hirendition="#g">Stilling</hi>ſaß am Tiſch, kaute an einem Spaͤnchen; ſo<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[79/0087]
Heinrich Stilling hatte mit groͤßter Aufmerkſamkeit zu-
gehoͤret. Nun ſprach er: Gott ſey Dank, daß ich ſolche El-
tern gehabt habe! Ich will ſie Alle nett aufſchreiben, damit
ich’s nicht vergeſſe. Die Ritter nennen ihre Voreltern Ahnen,
ich will ſie auch meine Ahnen heißen. Der Großvater laͤchelte
und ſchwieg.
Des andern Tages gingen ſie wieder nach Hauſe, und Hein-
rich ſchrieb alle die Erzaͤhlungen in ein altes Schreibbuch, das
er umkehrte, und die hinten weiß gebliebenen Blaͤtter mit ſeinen
Ahnen vollpfropfte.
Mir werden die Thraͤnen los, da ich dieſes ſchreibe. Wo
ſeyd ihr doch hingeflohen, ihr ſel’ge Stunden! Warum bleibt
nur euer Andenken dem Menſchen uͤbrig! Welche Freude uͤber-
irdiſcher Fuͤlle ſchmeckte der gefuͤhlige Geiſt der Jugend! Es
gibt keine Niedrigkeit des Standes, wenn die Seele geadelt
iſt. Ihr, meine Thraͤnen, die mein durchbrechender Geiſt her-
auspreßt, ſagt’s jedem guten Herzen, ſagt’s ohne Worte, was
ein Menſch ſey, der mit Gott ſeinem Vater bekannt iſt, und
all’ ſeine Gaben in ihrer Groͤße ſchmeckt!
Heinrich Stilling war die Freude und Hoffnung ſei-
nes Hauſes; denn ob gleich Johann Stilling einen aͤl-
tern Sohn hatte, ſo war doch niemand auf denſelben ſonder-
lich aufmerkſam. Er kam oft, beſuchte ſeine Großeltern, aber
wie er kam, ſo ging er auch wieder. Eine ſeltſame Sache! —
Eberhard Stilling war doch wahrlich nicht partheiiſch.
Doch was halt’ ich mich hierbei auf? Wer kann dafuͤr, wenn
man einen Menſchen vor dem andern mehr oder weniger lieben
muß? Paſtor Stollbein ſah wohl, daß unſer Knabe Etwas
werden wuͤrde, wenn man nur was aus ihm machte, daher
kam es bei einer Gelegenheit, da er in Stillings Hauſe
war, daß er mit dem Vater und Großvater von dem Jungen
redete, und ihnen vorſchlug, Wilhelm ſollte ihn Latein ler-
nen laſſen. Wir haben ja zu Florenburg einen guten lateini-
ſchen Schulmeiſter; ſchickt ihn hin, es wird wenig koſten. Der
alte Stilling ſaß am Tiſch, kaute an einem Spaͤnchen; ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/87>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.