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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Anhang.
diesen Rahmen, die in dieser Stunde nur noch schwarze Flächen ein-
schliessen, ist noch Stoff für mannichfaltigen Genuss und Anlass zu einem
Appendix solcher tiefsinnigen Gespräche, deren Datum ich nie vergessen
werde, denn sie haben mir ein ganz neues Licht aufgesteckt.

E. "Nicht satt wird das Auge vom Sehen, das Ohr vom Hören",
sagt der Prediger Salomo. Ich hoffe wir sind auch noch nicht satt
unsrer Gesellschaft. Lasst uns zur Kathedrale wallen, wo diesen Abend
der Organist einige schöne Moteten Francisco Peraza's spielen wird.

F. O die lasst uns nicht versäumen. Der allein war ein Musiker,
und alle anderen sind Handwerker in Tönen 1) (oficiales).

Tr. Er hatte einen Engel in jedem Finger 2).



1) Dieses Urtheil fällte über ihn der Leierspieler Pedro Bravo. Peraza
(+ 1598) hatte sich mit achtzehn Jahren um die vielerstrebte Racion des Organisten
beworben, und sie durch Lösung der halsbrechenden Aufgaben gewonnen, die ihm
der Kapellmeister Francisco Guerrera in Gegenwart des Erzbischofs de Castro
stellte. Das Wort vom "Engel in den Fingern" stammt von dem Kapellmeister
Philipp II, Felipe Rugier. Er componirte zahllose Kirchenlieder, villancicos, chan-
zonetas
und motetas; das spanische Orgelspiel verdankte ihm nach Pacheco "Grazie
und primores". Jener Guerrera, aus Sevilla (1527 + 99), der Sohn eines Malers,
war der fruchtbarste Componist seiner Zeit für Kirchenmusik, besonders Messen,
Magnificate und Psalmen. "Es giebt keine Kirche in der Christenheit, die nicht
seine Werke besässe und hochschätzte".
2) In dem hier geführten Process zwischen Alten und Jungen fehlt das
richterliche Endwort. Aber diess lag ausserhalb des Gedankenkreises der damaligen
Kunstgelehrten. Das Recht dessen was die Spanier hier borrones nennen, und sonst
manejo libre y magisterioso, die Italiener bravura di tocco, des flotten, unver-
schmolzenen Pinselstrichs, gründet sich auf optische Beobachtungen, nach welchen
gewisse plastische, farbige und Licht-Erscheinungen besser herauskommen, wenn man
das Zusammengehn der Theile, Striche und Farben, dem Vorgang im Sehorgan
überlässt, statt sie schon im Bilde zu bewerkstelligen, was allerdings der Natur-
wahrheit entsprechen würde. Es ist also dieselbe Thatsache, auf der der Vorzug
der Linienmanier in den graphischen Künsten vor der Crayon-Manier, Schwarzkunst
und Lithographie beruht. Diess ist der Grund, weshalb jene Maler sorgfältig
vollendete Gemälde nachträglich mit solchen golpes übergingen. Da aber abgesehen
hiervon Bravour, geistreicher Pinselstrich und drgl. keinen malerischen Werth
haben und kein Zeichen höherer Begabung sind, so war der Aerger des Alten be-
rechtigt gegen die, welche Unfertigkeit und künstliche Rohheit zum Kriterium des
Genies machten und damit eigentlich der Faulheit nach dem Mund redeten.

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diesen Rahmen, die in dieser Stunde nur noch schwarze Flächen ein-
schliessen, ist noch Stoff für mannichfaltigen Genuss und Anlass zu einem
Appendix solcher tiefsinnigen Gespräche, deren Datum ich nie vergessen
werde, denn sie haben mir ein ganz neues Licht aufgesteckt.

E. „Nicht satt wird das Auge vom Sehen, das Ohr vom Hören“,
sagt der Prediger Salomo. Ich hoffe wir sind auch noch nicht satt
unsrer Gesellschaft. Lasst uns zur Kathedrale wallen, wo diesen Abend
der Organist einige schöne Moteten Francisco Peraza’s spielen wird.

F. O die lasst uns nicht versäumen. Der allein war ein Musiker,
und alle anderen sind Handwerker in Tönen 1) (oficiales).

Tr. Er hatte einen Engel in jedem Finger 2).



1) Dieses Urtheil fällte über ihn der Leierspieler Pedro Bravo. Peraza
(† 1598) hatte sich mit achtzehn Jahren um die vielerstrebte Racion des Organisten
beworben, und sie durch Lösung der halsbrechenden Aufgaben gewonnen, die ihm
der Kapellmeister Francisco Guerrera in Gegenwart des Erzbischofs de Castro
stellte. Das Wort vom „Engel in den Fingern“ stammt von dem Kapellmeister
Philipp II, Felipe Rugier. Er componirte zahllose Kirchenlieder, villancicos, chan-
zonetas
und motetas; das spanische Orgelspiel verdankte ihm nach Pacheco „Grazie
und primores“. Jener Guerrera, aus Sevilla (1527 † 99), der Sohn eines Malers,
war der fruchtbarste Componist seiner Zeit für Kirchenmusik, besonders Messen,
Magnificate und Psalmen. „Es giebt keine Kirche in der Christenheit, die nicht
seine Werke besässe und hochschätzte“.
2) In dem hier geführten Process zwischen Alten und Jungen fehlt das
richterliche Endwort. Aber diess lag ausserhalb des Gedankenkreises der damaligen
Kunstgelehrten. Das Recht dessen was die Spanier hier borrones nennen, und sonst
manejo libre y magisterioso, die Italiener bravura di tocco, des flotten, unver-
schmolzenen Pinselstrichs, gründet sich auf optische Beobachtungen, nach welchen
gewisse plastische, farbige und Licht-Erscheinungen besser herauskommen, wenn man
das Zusammengehn der Theile, Striche und Farben, dem Vorgang im Sehorgan
überlässt, statt sie schon im Bilde zu bewerkstelligen, was allerdings der Natur-
wahrheit entsprechen würde. Es ist also dieselbe Thatsache, auf der der Vorzug
der Linienmanier in den graphischen Künsten vor der Crayon-Manier, Schwarzkunst
und Lithographie beruht. Diess ist der Grund, weshalb jene Maler sorgfältig
vollendete Gemälde nachträglich mit solchen golpes übergingen. Da aber abgesehen
hiervon Bravour, geistreicher Pinselstrich und drgl. keinen malerischen Werth
haben und kein Zeichen höherer Begabung sind, so war der Aerger des Alten be-
rechtigt gegen die, welche Unfertigkeit und künstliche Rohheit zum Kriterium des
Genies machten und damit eigentlich der Faulheit nach dem Mund redeten.
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[104/0124] Anhang. diesen Rahmen, die in dieser Stunde nur noch schwarze Flächen ein- schliessen, ist noch Stoff für mannichfaltigen Genuss und Anlass zu einem Appendix solcher tiefsinnigen Gespräche, deren Datum ich nie vergessen werde, denn sie haben mir ein ganz neues Licht aufgesteckt. E. „Nicht satt wird das Auge vom Sehen, das Ohr vom Hören“, sagt der Prediger Salomo. Ich hoffe wir sind auch noch nicht satt unsrer Gesellschaft. Lasst uns zur Kathedrale wallen, wo diesen Abend der Organist einige schöne Moteten Francisco Peraza’s spielen wird. F. O die lasst uns nicht versäumen. Der allein war ein Musiker, und alle anderen sind Handwerker in Tönen 1) (oficiales). Tr. Er hatte einen Engel in jedem Finger 2). 1) Dieses Urtheil fällte über ihn der Leierspieler Pedro Bravo. Peraza († 1598) hatte sich mit achtzehn Jahren um die vielerstrebte Racion des Organisten beworben, und sie durch Lösung der halsbrechenden Aufgaben gewonnen, die ihm der Kapellmeister Francisco Guerrera in Gegenwart des Erzbischofs de Castro stellte. Das Wort vom „Engel in den Fingern“ stammt von dem Kapellmeister Philipp II, Felipe Rugier. Er componirte zahllose Kirchenlieder, villancicos, chan- zonetas und motetas; das spanische Orgelspiel verdankte ihm nach Pacheco „Grazie und primores“. Jener Guerrera, aus Sevilla (1527 † 99), der Sohn eines Malers, war der fruchtbarste Componist seiner Zeit für Kirchenmusik, besonders Messen, Magnificate und Psalmen. „Es giebt keine Kirche in der Christenheit, die nicht seine Werke besässe und hochschätzte“. 2) In dem hier geführten Process zwischen Alten und Jungen fehlt das richterliche Endwort. Aber diess lag ausserhalb des Gedankenkreises der damaligen Kunstgelehrten. Das Recht dessen was die Spanier hier borrones nennen, und sonst manejo libre y magisterioso, die Italiener bravura di tocco, des flotten, unver- schmolzenen Pinselstrichs, gründet sich auf optische Beobachtungen, nach welchen gewisse plastische, farbige und Licht-Erscheinungen besser herauskommen, wenn man das Zusammengehn der Theile, Striche und Farben, dem Vorgang im Sehorgan überlässt, statt sie schon im Bilde zu bewerkstelligen, was allerdings der Natur- wahrheit entsprechen würde. Es ist also dieselbe Thatsache, auf der der Vorzug der Linienmanier in den graphischen Künsten vor der Crayon-Manier, Schwarzkunst und Lithographie beruht. Diess ist der Grund, weshalb jene Maler sorgfältig vollendete Gemälde nachträglich mit solchen golpes übergingen. Da aber abgesehen hiervon Bravour, geistreicher Pinselstrich und drgl. keinen malerischen Werth haben und kein Zeichen höherer Begabung sind, so war der Aerger des Alten be- rechtigt gegen die, welche Unfertigkeit und künstliche Rohheit zum Kriterium des Genies machten und damit eigentlich der Faulheit nach dem Mund redeten.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/124>, abgerufen am 24.11.2024.