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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
dass er ein Jahr bei Herrera blieb, so würde er als dreizehn-
jähriger (1612) in dessen Akademie eingetreten sein.

Trotz dieser Jugend und trotz der Kürze der Lehrzeit, ist
seit Cean die ziemlich allgemeine Annahme, dass er Herrera
den ersten Anstoss zu der Malweise verdankte, durch die er in
den Annalen der neueren Malerei gross und einzig dasteht. Da
Herrera, wie man sagt, die Freiheit der Manier dort entdeckt
hat, was liegt näher, als dass Velazquez, das unerreichte Ideal
geistreicher Faktur, von diesem enfant terrible spanischer Colo-
risten die Taufe mit dem Geist und Feuer empfing. Es war der
immer tiefgehendste erste Eindruck 1).

Gegen diese Wahrscheinlichkeit lässt sich doch einiges
einwenden. Die Aehnlichkeit beider Manieren ist eine ganz allge-
meine, vage. Die Freiheit der Hand lag im Zug der Zeit,
sie hat schon lange vor Herrera in den Werken des Greco den
Castiliern gefallen. In dem ersten Jahrzehnt seiner Meister-
jahre ist von dieser "Freiheit des Pinsels" wenig zu sehn. Erst
viel später, in Madrid, allmählich, unter besondern Verhältnissen,
eigentlich erst in seiner zweiten Lebenshälfte ist er auf jene
Vortragsweise gekommen. Zunächst findet man eine eng ans
Modell gebundene Zeichnung und harte Plastik, ganz entgegen
den lockeren Contouren der aus einer ungestümen Phantasie auf
die Leinwand geschleuderten Figuren des Herrera. Seine ersten
Werke geben uns den Eindruck einer kühlen, besonnenen, ganz
auf Erfassung der sichtbaren Erscheinung in ihren grossen Verhält-
nissen und besondern Feinheiten gerichteten Künstlernatur. Was
konnte einem solchen Lernbgierigen der verwilderte "Michelangelo
von Sevilla" nützen, der nur noch namenlose Riesen von unde-
finirbarem Charakter nach seinem Ebenbilde ins Dasein rief, die
in Wolken hausen und von Wolkenlicht umflossen sind. Eine
Beobachternatur begegnete hier einem Visionär. Jedenfalls war
es ein Glück, dass ihn Herrera abstiess. Ein vierzehnjähriger,
der für Ungebundenheit (soltura) schwärmt, fängt an wo er en-
digen sollte. Uns scheint, dass ihm Herrera höchstens genützt

1) The principles of his method are to be traced in all the works of his
pupil, improved indeed by a higher quality of touch and intention. Ford, Penny
Cyclopaedia. Il y contracta l'habitude d'une execution libre, energique et fiere, qui
tranchait avec le faire timide des peintres d'Andalousie, et a force de voir son
maeitre reussir par l'audace, il s'accoutuma lui-meme a une maniere pleine de fran-
chise et de vigueur. Charles Blanc, Historie des peintres. Velazquez, en quien dio
el primer impulso con su titanica fuerza. Sentenach, a. a. O. 54.

Zweites Buch.
dass er ein Jahr bei Herrera blieb, so würde er als dreizehn-
jähriger (1612) in dessen Akademie eingetreten sein.

Trotz dieser Jugend und trotz der Kürze der Lehrzeit, ist
seit Cean die ziemlich allgemeine Annahme, dass er Herrera
den ersten Anstoss zu der Malweise verdankte, durch die er in
den Annalen der neueren Malerei gross und einzig dasteht. Da
Herrera, wie man sagt, die Freiheit der Manier dort entdeckt
hat, was liegt näher, als dass Velazquez, das unerreichte Ideal
geistreicher Faktur, von diesem enfant terrible spanischer Colo-
risten die Taufe mit dem Geist und Feuer empfing. Es war der
immer tiefgehendste erste Eindruck 1).

Gegen diese Wahrscheinlichkeit lässt sich doch einiges
einwenden. Die Aehnlichkeit beider Manieren ist eine ganz allge-
meine, vage. Die Freiheit der Hand lag im Zug der Zeit,
sie hat schon lange vor Herrera in den Werken des Greco den
Castiliern gefallen. In dem ersten Jahrzehnt seiner Meister-
jahre ist von dieser „Freiheit des Pinsels“ wenig zu sehn. Erst
viel später, in Madrid, allmählich, unter besondern Verhältnissen,
eigentlich erst in seiner zweiten Lebenshälfte ist er auf jene
Vortragsweise gekommen. Zunächst findet man eine eng ans
Modell gebundene Zeichnung und harte Plastik, ganz entgegen
den lockeren Contouren der aus einer ungestümen Phantasie auf
die Leinwand geschleuderten Figuren des Herrera. Seine ersten
Werke geben uns den Eindruck einer kühlen, besonnenen, ganz
auf Erfassung der sichtbaren Erscheinung in ihren grossen Verhält-
nissen und besondern Feinheiten gerichteten Künstlernatur. Was
konnte einem solchen Lernbgierigen der verwilderte „Michelangelo
von Sevilla“ nützen, der nur noch namenlose Riesen von unde-
finirbarem Charakter nach seinem Ebenbilde ins Dasein rief, die
in Wolken hausen und von Wolkenlicht umflossen sind. Eine
Beobachternatur begegnete hier einem Visionär. Jedenfalls war
es ein Glück, dass ihn Herrera abstiess. Ein vierzehnjähriger,
der für Ungebundenheit (soltura) schwärmt, fängt an wo er en-
digen sollte. Uns scheint, dass ihm Herrera höchstens genützt

1) The principles of his method are to be traced in all the works of his
pupil, improved indeed by a higher quality of touch and intention. Ford, Penny
Cyclopaedia. Il y contracta l’habitude d’une exécution libre, énergique et fière, qui
tranchait avec le faire timide des peintres d’Andalousie, et à force de voir son
maître réussir par l’audace, il s’accoutuma lui-même à une manière pleine de fran-
chise et de vigueur. Charles Blanc, Historie des peintres. Velazquez, en quien dió
el primer impulso con su titánica fuerza. Sentenach, a. a. O. 54.
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[112/0132] Zweites Buch. dass er ein Jahr bei Herrera blieb, so würde er als dreizehn- jähriger (1612) in dessen Akademie eingetreten sein. Trotz dieser Jugend und trotz der Kürze der Lehrzeit, ist seit Cean die ziemlich allgemeine Annahme, dass er Herrera den ersten Anstoss zu der Malweise verdankte, durch die er in den Annalen der neueren Malerei gross und einzig dasteht. Da Herrera, wie man sagt, die Freiheit der Manier dort entdeckt hat, was liegt näher, als dass Velazquez, das unerreichte Ideal geistreicher Faktur, von diesem enfant terrible spanischer Colo- risten die Taufe mit dem Geist und Feuer empfing. Es war der immer tiefgehendste erste Eindruck 1). Gegen diese Wahrscheinlichkeit lässt sich doch einiges einwenden. Die Aehnlichkeit beider Manieren ist eine ganz allge- meine, vage. Die Freiheit der Hand lag im Zug der Zeit, sie hat schon lange vor Herrera in den Werken des Greco den Castiliern gefallen. In dem ersten Jahrzehnt seiner Meister- jahre ist von dieser „Freiheit des Pinsels“ wenig zu sehn. Erst viel später, in Madrid, allmählich, unter besondern Verhältnissen, eigentlich erst in seiner zweiten Lebenshälfte ist er auf jene Vortragsweise gekommen. Zunächst findet man eine eng ans Modell gebundene Zeichnung und harte Plastik, ganz entgegen den lockeren Contouren der aus einer ungestümen Phantasie auf die Leinwand geschleuderten Figuren des Herrera. Seine ersten Werke geben uns den Eindruck einer kühlen, besonnenen, ganz auf Erfassung der sichtbaren Erscheinung in ihren grossen Verhält- nissen und besondern Feinheiten gerichteten Künstlernatur. Was konnte einem solchen Lernbgierigen der verwilderte „Michelangelo von Sevilla“ nützen, der nur noch namenlose Riesen von unde- finirbarem Charakter nach seinem Ebenbilde ins Dasein rief, die in Wolken hausen und von Wolkenlicht umflossen sind. Eine Beobachternatur begegnete hier einem Visionär. Jedenfalls war es ein Glück, dass ihn Herrera abstiess. Ein vierzehnjähriger, der für Ungebundenheit (soltura) schwärmt, fängt an wo er en- digen sollte. Uns scheint, dass ihm Herrera höchstens genützt 1) The principles of his method are to be traced in all the works of his pupil, improved indeed by a higher quality of touch and intention. Ford, Penny Cyclopaedia. Il y contracta l’habitude d’une exécution libre, énergique et fière, qui tranchait avec le faire timide des peintres d’Andalousie, et à force de voir son maître réussir par l’audace, il s’accoutuma lui-même à une manière pleine de fran- chise et de vigueur. Charles Blanc, Historie des peintres. Velazquez, en quien dió el primer impulso con su titánica fuerza. Sentenach, a. a. O. 54.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/132>, abgerufen am 21.11.2024.