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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
tern. Auch untermalte er das Gemälde im grossen ohne Hülfe
der Quadratur, um die Leichtigkeit nicht einzubüssen.

Das wichtigste Stück im Colorit ist das Relief. Das Bild
soll aus dem Rahmen hervorspringen, von nahe und fern leben-
dig, und sich zu bewegen scheinen. Seine Kraft und Rundung
übt auf das Auge eine so mächtige Wirkung, dass es selbst
für den Mangel so bedeutender Dinge, wie Schönheit (der Ver-
hältnisse) und Farbenreiz (suavidad) entschädigen kann. Deshalb
geht er so weit, es mit Alberti und Leonardo für den vornehm-
sten Theil der Kunst zu erklären (II, 9).

Endlich aber räth er, wenn man, nach Beendigung des Ele-
mentarunterrichts, als Vorbereitung zum Schaffen, sich in Wieder-
gaben grosser Maler versuchen wolle, "stets die Manier zu wählen,
die zu unserem Naturell und zu unserer Neigung passt, am besten
die eines Meisters". Also kein Eklekticismus.

In diesen Worten sind Grundsätze niedergelegt, nach denen
in der That die Gemälde des Velazquez gearbeitet sind, der hier
nach den Worten, nicht nach den Werken seines Meisters that.
Einige passen so genau, als hätte er sie selbst geschrieben.

Besonders seine Bemerkungen über Bildnissmalerei verdienen
hier einen Platz. Der Bildnissmaler wird, wie der Poet, geboren.
Die erste, unentbehrlichste Eigenschaft des Bildnisses ist ohne
Zweifel die Aehnlichkeit; aber sie ist künstlerisch ein geringes
Verdienst, sie liegt auch im Bereich des Dilettanten. Man soll
die Fehler zwar nicht verstecken, aber es auch nicht machen
wie die, welche wie toll darauf sind, auffällige Unschönheiten zu
betonen. Um ein guter Bildnissmaler zu sein, muss man mehr
sein, denn die, welche das Porträtiren ausschliesslich betreiben,
pflegen sich nur an einen vagen Gesammteindruck zu halten
(el aire de la persona); in den Theilen vernachlässigen sie das
Individuelle; ihre Stücke haben alle Familienähnlichkeit. Man
soll seine Ehre darin suchen, in der guten Manier der Farbe,
der Kraft und des Reliefs zu arbeiten; dann wird das Bildniss
auch dem mit der Person unbekannten Genuss bereiten; in ihm
leben dann beide, das Original und der Maler fort, es verkündet,
wer beide waren.

Man nehme ein Zimmer nach Norden. Die Morgenstunden
(9--12) sind die besten, wo keine anderweitigen Beschäftigungen
uns zerstreut haben. Man wähle die linke Seite, wegen des
milden Lichts; die Schattenflecken missfallen den Frauen. Die
wahre Nachahmung liegt in der Umrisslinie (II, 134); ich kann

Zweites Buch.
tern. Auch untermalte er das Gemälde im grossen ohne Hülfe
der Quadratur, um die Leichtigkeit nicht einzubüssen.

Das wichtigste Stück im Colorit ist das Relief. Das Bild
soll aus dem Rahmen hervorspringen, von nahe und fern leben-
dig, und sich zu bewegen scheinen. Seine Kraft und Rundung
übt auf das Auge eine so mächtige Wirkung, dass es selbst
für den Mangel so bedeutender Dinge, wie Schönheit (der Ver-
hältnisse) und Farbenreiz (suavidad) entschädigen kann. Deshalb
geht er so weit, es mit Alberti und Leonardo für den vornehm-
sten Theil der Kunst zu erklären (II, 9).

Endlich aber räth er, wenn man, nach Beendigung des Ele-
mentarunterrichts, als Vorbereitung zum Schaffen, sich in Wieder-
gaben grosser Maler versuchen wolle, „stets die Manier zu wählen,
die zu unserem Naturell und zu unserer Neigung passt, am besten
die eines Meisters“. Also kein Eklekticismus.

In diesen Worten sind Grundsätze niedergelegt, nach denen
in der That die Gemälde des Velazquez gearbeitet sind, der hier
nach den Worten, nicht nach den Werken seines Meisters that.
Einige passen so genau, als hätte er sie selbst geschrieben.

Besonders seine Bemerkungen über Bildnissmalerei verdienen
hier einen Platz. Der Bildnissmaler wird, wie der Poet, geboren.
Die erste, unentbehrlichste Eigenschaft des Bildnisses ist ohne
Zweifel die Aehnlichkeit; aber sie ist künstlerisch ein geringes
Verdienst, sie liegt auch im Bereich des Dilettanten. Man soll
die Fehler zwar nicht verstecken, aber es auch nicht machen
wie die, welche wie toll darauf sind, auffällige Unschönheiten zu
betonen. Um ein guter Bildnissmaler zu sein, muss man mehr
sein, denn die, welche das Porträtiren ausschliesslich betreiben,
pflegen sich nur an einen vagen Gesammteindruck zu halten
(el aire de la persona); in den Theilen vernachlässigen sie das
Individuelle; ihre Stücke haben alle Familienähnlichkeit. Man
soll seine Ehre darin suchen, in der guten Manier der Farbe,
der Kraft und des Reliefs zu arbeiten; dann wird das Bildniss
auch dem mit der Person unbekannten Genuss bereiten; in ihm
leben dann beide, das Original und der Maler fort, es verkündet,
wer beide waren.

Man nehme ein Zimmer nach Norden. Die Morgenstunden
(9—12) sind die besten, wo keine anderweitigen Beschäftigungen
uns zerstreut haben. Man wähle die linke Seite, wegen des
milden Lichts; die Schattenflecken missfallen den Frauen. Die
wahre Nachahmung liegt in der Umrisslinie (II, 134); ich kann

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[116/0136] Zweites Buch. tern. Auch untermalte er das Gemälde im grossen ohne Hülfe der Quadratur, um die Leichtigkeit nicht einzubüssen. Das wichtigste Stück im Colorit ist das Relief. Das Bild soll aus dem Rahmen hervorspringen, von nahe und fern leben- dig, und sich zu bewegen scheinen. Seine Kraft und Rundung übt auf das Auge eine so mächtige Wirkung, dass es selbst für den Mangel so bedeutender Dinge, wie Schönheit (der Ver- hältnisse) und Farbenreiz (suavidad) entschädigen kann. Deshalb geht er so weit, es mit Alberti und Leonardo für den vornehm- sten Theil der Kunst zu erklären (II, 9). Endlich aber räth er, wenn man, nach Beendigung des Ele- mentarunterrichts, als Vorbereitung zum Schaffen, sich in Wieder- gaben grosser Maler versuchen wolle, „stets die Manier zu wählen, die zu unserem Naturell und zu unserer Neigung passt, am besten die eines Meisters“. Also kein Eklekticismus. In diesen Worten sind Grundsätze niedergelegt, nach denen in der That die Gemälde des Velazquez gearbeitet sind, der hier nach den Worten, nicht nach den Werken seines Meisters that. Einige passen so genau, als hätte er sie selbst geschrieben. Besonders seine Bemerkungen über Bildnissmalerei verdienen hier einen Platz. Der Bildnissmaler wird, wie der Poet, geboren. Die erste, unentbehrlichste Eigenschaft des Bildnisses ist ohne Zweifel die Aehnlichkeit; aber sie ist künstlerisch ein geringes Verdienst, sie liegt auch im Bereich des Dilettanten. Man soll die Fehler zwar nicht verstecken, aber es auch nicht machen wie die, welche wie toll darauf sind, auffällige Unschönheiten zu betonen. Um ein guter Bildnissmaler zu sein, muss man mehr sein, denn die, welche das Porträtiren ausschliesslich betreiben, pflegen sich nur an einen vagen Gesammteindruck zu halten (el aire de la persona); in den Theilen vernachlässigen sie das Individuelle; ihre Stücke haben alle Familienähnlichkeit. Man soll seine Ehre darin suchen, in der guten Manier der Farbe, der Kraft und des Reliefs zu arbeiten; dann wird das Bildniss auch dem mit der Person unbekannten Genuss bereiten; in ihm leben dann beide, das Original und der Maler fort, es verkündet, wer beide waren. Man nehme ein Zimmer nach Norden. Die Morgenstunden (9—12) sind die besten, wo keine anderweitigen Beschäftigungen uns zerstreut haben. Man wähle die linke Seite, wegen des milden Lichts; die Schattenflecken missfallen den Frauen. Die wahre Nachahmung liegt in der Umrisslinie (II, 134); ich kann

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/136>, abgerufen am 21.11.2024.